Performance:Möglicherweise vielfältig

Plattform der Freien Szene: Das Theater Hoch X ist eröffnet

Von Sabine Leucht

Schön ist es geworden, hell, freundlich und mit diesem leichten Duft nach frisch geschlagenem Holz. Die Getränkeauswahl des Hoch X übertrumpft die seines Vorgängers I-Camp mit links, auch wenn die Bar noch an derselben Stelle steht und die Schankerlaubnis erst last minute kam. Nicht immer allerdings wird Marc Gegenfurtner vom Kulturreferat mit dem Bierfassanstich betraut sein, den man sich zum Wiesn-Eröffnungs-Samstag hat einfallen lassen. Und auch designtechnisch lässt sich das junge Leitungsteam nicht lumpen. Dazu man muss nur auf die neue Theater-Website sehen, wo wilde Tiger und knackige Gurken farbenfroh in die dunkle Jahres- und erste Spielzeit locken.

Ulrich Eisenhofer, Ute Gröbel, Benno Heisel und Susanne Weinzierl haben im vergangenen Jahr vermutlich mehr Geduld, Ausdauer und Nerven bewiesen, als es sich irgendwer vorstellen kann. Sie machen als leicht aufgeregte Gastgeber mit gut weggeblinzelter Restmüdigkeit eine gute Figur. Dass sie nicht mehr sind als das - Gast- und Strukturgeber, Ermöglicher und allseitige Handreicher - also weder Produzenten noch Kuratoren, gerät dabei schnell mal in Vergessenheit. Die Spielstätte, die die Potenz der freien Szene im Namen trägt, ist nach wie vor nur eine Plattform, auf der sich zeigen kann, was in dieser Stadt institutionsunabhängig tanzt, theatert, performt oder Musik macht. Dass hier die Kunst nicht neu erfunden wird, signalisiert der Mini-Guckkasten, in dem Ruth Geiersberger in "Lost Yesterdays" sitzt und in ihrer Handtasche "nach dem gestrigen Tag" sucht. Demenz ist das Thema der Produktion des Kollektivs Inter:ference. Die sieht zunächst so aus, als sei das Theater selbst in den naturalistischen Mief zurückgestoßen worden, in den auch Christa Hartnagel eingesperrt ist. Eine grausige Puppenstube mit Schrankwand und Spitzendeckchen über dem Sesselrücken, mit einem Rahmen aus Holz, in den die Falldaten der Erkrankten eingraviert sind wie die Notate eines Insekten-Präparators.

Die Münchner Performerin spielt die Heimatlosigkeit in einem jeden Tag wieder fremden Raum anrührend und fast staatstheaterkompatibel. Wegweisend aber könnte diese Arbeit allenfalls durch ihre Internationalität und Interdisziplinarität sein, denn in das Kleinbürgerbarock fallen drei (polnische) Tänzer mit betont expressiven Bewegungen ein wie Gäste aus einer besseren Vergangenheit oder Trugbilder, die aus der Familienaufstellung kippen und über die Möbel fließen. Das aber ist alles aufdringlichst symbolisch. Zudem hatte die Inszenierung bereits im Januar in der koproduzierenden Bayerischen Theaterakademie Premiere. Auch wenn man begrüßt, dass im Hoch X künftig mehr und Vielfältigeres zu erleben sein wird als im nur punktuell belebten I-Camp zuvor, eine Zweitverwertungsstelle für Akademie-Produktionen braucht die Stadt nicht. Doch wie das neue Leitungsteam selbst kommt auch die zweite Eröffnungspremiere aus dieser Ecke: Clara Hinterbergers "Audiogramm. Eine Stadtteilkomposition" beginnt vielversprechend als Installation von verlassenen Terrarien unterschiedlicher Größe, tastet sich verbal an die Entenbachstraße und das Theaterhaus mit der Nummer 37 heran, wo bei den Renovierungsarbeiten ein Orchestergraben freigelegt werden konnte. Dort hinein tröpfelt ein Chor aus einem guten Dutzend Frauen und wispert, summt und stimmt ein Schlaflied an. Weil das alles wenig miteinander zu tun hat, übergießt es Schauspielerin Ines Hollinger mit dezidiert geheimnisvollen, hoch redundanten Satzschleifen, die ein Rätselspiel generieren, dessen Auflösung bald nicht mehr interessiert. Nur Klang - und Menschen, die darin aufgehen, ihn zu produzieren und modulieren - wäre besser gewesen. Das gab es dann zum Ausklang mit den Soundtüftlern von Joasihno. Da ist noch Luft nach oben.

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