Performance-Hotel:Susanna im Blutbad

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Kunststudenten eröffnen "Notel Prinzregent"

Von Evelyn Vogel, München

Menschen im Hotel - das bedeutet Ausnahmesituation. Wenn man nicht gerade wie Udo Lindenberg sein ganzes Leben dort verbringt. ABBA , Anne-Sophie Mutter und Freddy Quinn. Derrick, Ruth Maria Kubitschek und Kalli Feldkamp. Sogar Joachim Gauck und Angela Merkel. Sie alle waren schon einmal in diesem Hotel. Haben hier genächtigt oder Lobby, Bar und Restaurant für ein Treffen genutzt. Und nun? Schluss. Aus. Abriss. Das Hotel Prinzregent unweit des Friedensengels, gegenüber der Villa Stuck hat dicht gemacht. Bald werden Abrissbirne und Bagger anrücken und das Familienhotel, das 33 Jahre im Besitz der Hoteliersfamilie Biermann war, platt machen. Luxusappartements statt livrierter Hoteldiener, Gentrifizierung statt Gästebetreuung.

Doch bis es so weit ist, toben sich mehr als 70 Studenten der Kunstakademie im Gebäude aus. Machen aus dem Hotel ein "Notel", bieten Kunst statt Kommerz an, arbeiten mit und in den Räumen, mit den Emotionen und Erinnerungen, die in dem Hotel stecken, aber auch den Erwartungshaltungen und Vorurteilen, die mit Luxussanierung und Investorengehabe verbunden sind. Entstanden ist ein irrsinnig lustvoller Kunstraum, in dem man hinter jeder Tür mal skurrile Interieurs betritt, mal wie in einer Peepshow nur durch einen Spalt oder ein Loch in den Raum hineinspähen oder vom Garten aus einen Blick durchs Fenster wagen kann. Betreten verboten? Ganz unterschiedlich. Ein Raum wurde komplett abgefackelt - allein der Geruch treibt einen schnell wieder hinaus. In einer Suite steigt einem schon nach wenigen Minuten der Alkoholdunst so zu Kopf, dass man halb-trunken - auch vor Freude - auf die zeitgenössische Live-Interpretation der "Susanne im Bade" oder der "Ophelia" blickt.

In den Wäscheraum der ersten Etage hat sich Caro Jost mit ihrer Briefkastenfirma "Panama Paperworks Ltd." eingemietet. (Foto: Notel Prinzregent)

Dass ein Hotel nicht nur zum Schlafen da ist, hat eine Reihe von Studenten inspiriert. In einer Wäschekammer harren Sexpuppen und -videos ihrer Bestellung: "Haben Sie heute schon ihr Herzblatt angerufen?" lockt die Zimmerkarte. In einem anderen Raum türmen sich unzählige phallische Skulptürchen auf dem Bett, kriechen in die Wäsche, laufen über den Teppichboden, spritzen die Wände hoch. Was für ein spermidables Ambiente!

Kein Hotel ohne Kunst an den Wänden - oder dem, was Hoteleinrichter so als Kunst bezeichnen. Die Fotografen unter den Studenten haben zum Teil dokumentarisch gearbeitet, zum Teil lustvoll die bisherigen Nutzungen kommentiert. Neben einzelnen Arbeiten und Serien wurden auch ganze Zimmer mit fotografischen Arbeiten tapeziert, ihnen somit ein temporäres zweites Dasein verliehen. Auch viele Skulpturen sind entstanden. Am wenigsten haben sich die Studenten rein malerisch mit den Gegebenheiten auseinandergesetzt. Statt dessen gibt es jede Menge Collagen und Sounds, Multi-Media-Installationen, Environments und Fotos. In einem Zimmer wird zu Tisch geladen - was sich zu einem Spiel mit dem Spieglein an der Wand entwickelt. Eine ehemalige Kleiderkammer wurde rundum mit Gesetzestexten tapeziert. Hier residiert eine Briefkastenfirma namens "Panama Paperworks Ltd.", die nummerierte und signierte Papierarbeiten auf der Grundlage deutscher Gesetzgebung schafft. Von wegen rechtsfreier Raum.

Immer wieder reflektieren die Studenten mit ihren Arbeiten auch Wohnungsnot, Immobilienleerstand oder die vielfältigen Schikanen bei Luxussanierungen. Da wurde rausgerissen, ausgeschnitten und eingebaut, da wurde verschoben, gehoben und unter Wasser gesetzt - vom Dach bis hinunter zu Disco, Sauna, Tiefgarage und Versorgungseinheiten.

Apropos herausgerissen: Kurz bevor die Akademiestudenten das Hotel "beziehen" konnten, war eine Firma zu Gange, die eine ganze Etageneinrichtung gekauft hatte. Die nahmen jedoch nicht nur alles mit, was nicht niet- und nagelfest war, sondern rissen auch Stromleitungen und Gardinenstangen aus ihren Verankerungen. Beinahe wäre das Projekt daran gescheitert. Nicht nur, weil plötzlich die Sicherheit nicht mehr gewährleistet war, sondern auch, weil sich für einige Projekte die Ausgangssituation total verändert hatte. So mussten plötzlich neue Stoffbahnen gekauft werden, um die Fassadenarbeit mit den wehenden Vorhängen realisieren zu können. Andernorts gab's neue Billigleuchten aus dem Baumarkt, um das Stockwerk zu illuminieren.

Über drei Stockwerke flattert Tamara Flades Rauminstallation vor der Fassade des Notel Prinzregent. (Foto: Rainer Herrmann/oh)

Nach 14 Tagen nervenaufreibender Aktivitäten hat das Notel Prinzregent dann doch pünktlich am Donnerstagabend seine ersten Gäste begrüßen können. Fantastische, lustvolle, hochgradig borderlinige, aber auch nachdenklich stimmende Arbeiten sind unter der kuratorischen Betreuung von Jonathan Drews, Michael Hofstetter, Kim Noble und Janina Totzauer entstanden. Die eigene Website für das Hotelprojekt www.notel-prinzregent.com liefert etliche Infos, auch über die zusätzlichen Events. Und die im Konferenzsaal eingezogene Begleitagentur bietet einen "Escortservice" für Künstler und Kunstinteressierte an. Wer sich dort anmeldet und was derjenige anbietet, soll man auch über die Website www.escortartist.com abrufen können. Am Freitagnachmittag war dieser Dienst allerdings noch nicht erreichbar. Bleibt also nur: Hingehen und Schauen. Ein großer Spaß mit kritischem Hintergrund, in dem die Ausnahmesituationen zur Regel werden.

Notel Prinzregent , Ismaninger Str. 42-44, bis 19. Juni, Mo-Fr 16-21 Uhr, Sa/So 14-21 Uhr, Führungen, Künstlergespräche und Performances: Do 20 Uhr, So 16 Uhr, www.notel-prinzregent.com

© SZ vom 04.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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