Legende der Verlagswelt: Das Penguin-Taschenbuch:Wappentier des Buchzeitalters

Penguin books

Nach einem deutschen Vorbild und selbst Modell für viele erfolgreiche Taschenbuchreihen: Die Penguin Books in verschiedenen Signalfarben.

(Foto: UrbanImages/Alamy/mauritius images)

Random House bringt die klassischen Buchcover von Penguin auf den deutschen Buchmarkt. Und damit Geschichten aus der Ära in Erinnerung, als das Taschenbuch ein hochpolitisches Medium war.

Von Willi Winkler

Es gibt Geschichten, die sind zu schön, um auch noch wahr zu sein, aber diese ist es: Terry Waite verhandelte in den Achtzigerjahren als Bevollmächtigter des Erzbischofs von Canterbury in Libanon über die Freilassung westlicher Geiseln. Doch im Januar 1987 wurde der Parlamentär selbst vom Islamischen Dschihad festgehalten und verbrachte fast fünf Jahre in Gefangenschaft, die meiste Zeit an eine Wand gekettet, in Einzelhaft. Die Verständigung war nicht leicht: Waite konnte nicht Arabisch, seine Wärter sprachen kein Englisch, doch immerhin konnte er ihnen mitteilen, dass er etwas zum Lesen brauche. Der Gedanke, dass jemand lesen wolle, war ihnen fremd, wie Waite später erzählte, sie waren Kämpfer, aber doch so guten Willens, dass sie ihm, ohne die Ironie zu erkennen, erst ein Buch über Ausbruchsabenteuer brachten und dann einen Still-Berater. Schließlich zeichnete er einen Pinguin und machte damit seinen Wärtern klar, dass er ein richtiges Buch haben wollte, ein Buch aus dem Verlag, der den Vogel im Schild führte.

Er ist zu einem transkulturellen Markenzeichen geworden, auf das auch der weltumspannende deutsche Verlag Random House nicht verzichten mag, der sich nach der vollständigen Übernahme von Penguin Books im vergangenen Jahr in Penguin Random House umbenannt hat. Um den Gütersloher Bertelsmann-Hintergrund ein bisschen zu überspielen und an die zugekaufte Tradition zu erinnern, bringt der Verlag gerade bewährte Titel von F. Scott Fitzgerald, Tania Blixen, Stefan Zweig und Jane Austen als "Penguin Edition" heraus und reklamestakkatiert dazu "Zeitlos. Kultig. Bunt".

Das mit der Zeitlosigkeit dürfte sogar richtig sein: Vor zwölf Jahren wurde der Penguin-Umschlag neben dem Mini, der Concorde und der roten Telefonzelle in eine Briefmarkenserie mit "britischen Designklassikern" aufgenommen. Der Entwurf stammt von Edward Young, der seine Laufbahn beim Verlag The Bodley Head begonnen hatte. Einer der Geschäftsführer war Allen Lane. Nach einem Besuch bei Agatha Christie hatte er am Bahnhof Exeter nach Reiseunterhaltung für die Rückfahrt nach London gesucht und nichts gefunden und gründete deshalb Penguin Books, einen Verlag mit Büchern für den "intelligenten Laien".

Legende der Verlagswelt: Das Penguin-Taschenbuch: Reklame für die neue Buchreihe in alten Umschlägen, neu in deutscher Sprache.

Reklame für die neue Buchreihe in alten Umschlägen, neu in deutscher Sprache.

(Foto: Pressefoto/Penguin Edition)

Im Verlagsgewerbe herrschte in den Dreißigern nicht nur in Großbritannien ein gewaltiger Dünkel, verbunden mit einer kaum kleineren Angst vor der Gegenwart. Kurt Tucholsky sandte 1932 seinen "Avis an meinen Verleger" Ernst Rowohlt mit der dreimal wiederholten Aufforderung: "Macht unsre Bücher billiger!" Bei Chatto & Windus machte man die Preissenkungen, eine Folge auch der Wirtschaftskrise, dafür verantwortlich, dass es "unser Gewerbe so schwer hat, aus der Baisse wieder hochzukommen". Die Verzagtheit war allgemein: In seiner Eigenschaft als Verleger von Faber & Faber wollte der Dichter T. S. Eliot aus Angst vor der Zensur James Joyce' "Ulysses" lieber nicht veröffentlichen; Allen Lane brachte das Buch noch bei Bodley Head heraus.

Mit seinem neuen Verlag wollte Lane in der Gegenwart ankommen und ein großes Publikum erreichen. Gegen den Kulturdünkel setzte er bewusst auf Billigware. Das Buch war ein industrielles Massenprodukt und technisch unendlich reproduzierbar. Seine Bücher sollten nicht mehr als Sixpence oder den Gegenwert einer Schachtel Zigaretten kosten, der Verkauf der modernen Zeit angepasst. In der Londoner Charing Cross Road wurde ein Penguincubator installiert, aus dem sich bei Einwurf 24/7 ein Buch ziehen ließ.

Die Idee, mit kleinem Preis und großer Auflage trotz bescheidener Handelsspanne Geld zu verdienen, stammte aus Deutschland, genauer gesagt aus Hamburg, wo Christian Wegner drei Jahre zuvor zusammen mit Kurt Enoch und dem naturalisierten Engländer John Holroyd-Reece den Albatross-Verlag gegründet hatte, der Kontinentaleuropa mit Büchern englischer Autoren in der Originalsprache versorgen sollte. Die Bücher wurden im Goldenen Schnitt produziert, sie erschienen broschiert und trugen als Illustration nur die Typografie auf dem Titel.

Books For All

Allen Lane, der Gründer von Penguin Books, präsentiert eine ungekürzte Ausgabe von D. H. Lawrences "Lady Chatterley's Lover", nachdem eine Gerichtsentscheidung das Buch vom Vorwurf der Obszönität freigesprochen hatte.

(Foto: Central Press/Getty Images)

Lane lehnte sich an dieses Vorbild an, aus dem Albatros wurde ein anderer, nicht ganz so flugtüchtiger Vogel. Der verlagseigene Mythos überliefert, dass Lane seinen Assistenten Edward Young zur Inspiration in den Londoner Zoo schickte, um Tierstudien anzufertigen. Hinterher beklagte sich Young darüber, "wie furchtbar diese Vögel stinken". Trotzdem wurde der Pinguin das Wappentier des Buchzeitalters.

Als unerschrockener Marketingfachmann fand Lane nichts dabei, mit einem leibhaftigen Pinguin zu posieren, dem er ein Buch vor die Nase hielt. Hätte das Tier lesen gelernt, es hätte sogar seine Freude daran haben können, es handelte sich um "The Thin Man" von Dashiell Hammett. Zu den ersten Titeln gehörte Ernest Hemingways "A Farewell to Arms" (übersetzt als "In einem anderen Land"), eine Percy-Shelley-Biografie von André Maurois und Agatha Christies "The Mysterious Affair at Styles" ("Das fehlende Glied in der Kette"), der erste Hercule Poirot.

Aber es war nicht zuletzt das Design, das hier das Bewusstsein bestimmte. Lane organisierte seine Bücher nach Farben: Orange für die Romane, Blau für Biografien und die Krimis grün. Die Konkurrenz hatte ihm schnelles Scheitern prophezeit, doch er hatte Glück, weil er mit einem weiteren Billigheimer ins Geschäft kam.

Der Woolworth-Legende nach war es die Frau von Clifford Prescott, bei Woolworth zuständig für den Einkauf von Geschenkartikeln und Galanteriewaren, die auf einen Band Agatha Christie aufmerksam wurde, den Allen Lane mit anderen Büchern auf dem Tisch ausgelegt hatte. Lane bot einen Woolworth-konformen niedrigen Preis, er versprach in großen Mengen zu liefern, und der Verlag war im Geschäft. Bodley Head, wo man weiter auf hochpreisige Prestige-Werke setzte, musste bald nach Lanes Abgang Konkurs anmelden.

Churchill verlor die Wahl, und die Konservativen machten die Penguin-Bücher verantwortlich

Es waren die Dreißiger, die Welt war in wenig heilvoller Bewegung. Europa begann sich zwar, von der Wirtschaftskrise zu erholen, doch Spanien trieb in den Bürgerkrieg, in Frankreich kam es zu einer Volksfront, in Deutschland schoben die preußischen Junker ihren Hindenburg und Hitler ins Reichskanzleramt. In der Folge wurde das erste Pogrom gegen die Juden organisiert, der Exodus nach Frankreich und England setzte ein. Penguin lieferte das Bildungsprogramm für eine aufgewühlte Zeit.

Der Sozialist George Bernard Shaw lobte Lane für seine erschwinglichen Bücher. Er verschaffte ihm auch seine erste Originalausgabe, indem er seinen "Wegweiser für die intelligente Frau zum Sozialismus und Kapitalismus" aktualisierte und das um die Kapitel "Sowjetismus und Faschismus" erweiterte zweibändige Werk Lane überließ, der damit die Nebenreihe Pelican mit populären Sachbüchern eröffnen konnte. Obwohl Lane als Verleger kaum unter einem größeren Volksbildungsauftrag gelitten haben dürfte, sondern schlicht Geld verdienen wollte, dürfte der kulturelle und politische Einfluss von Penguin nicht zu unterschätzen sein.

Als Winston Churchill im Juli 1945, nur zweieinhalb Monate nach Deutschlands bedingungsloser Kapitulation, die doch ihm zu verdanken war, die Parlamentswahlen verlor, machten die Konservativen den Einfluss der Bücher von Penguin für die Niederlage verantwortlich. England wurde vorübergehend sozialistisch. Genau ein Jahr später erschien zur Feier von Shaws 90. Geburtstag die "Shaw-Million" - zehn seiner Titel kamen in einer Auflage von jeweils hunderttausend Stück neu heraus. Die Kundschaft stand vor den Bahnhofsbuchhandlungen Schlange, und der Verlag hatte Mühe mit dem Nachdrucken.

Gegensatz zwischen hoher Auflage und geringer Bereitschaft, das gekaufte Buch zu lesen

Der intelligente Laie wurde in den folgenden Jahrzehnten großzügig versorgt. Das Taschenbuch breitete sich aus, der Buchmarkt wuchs mit jedem Jahr, begleitet vom rituellen Hände-über-dem-Kopf-Zusammenschlagen ob der massenhaften Produktion. Nach dem Zweiten Weltkrieg folgte Rowohlt tatsächlich Tucholskys Aufforderung und begann mit seinen Rotationsromanen. Die anderen Verlage entwickelten bald eigene Billigreihen. Nicht ohne kulturkritische Untertöne untersuchte der junge Hans Magnus Enzensberger 1959 das Phänomen der "Bildung als Konsumgut" und klagte darüber, dass sich die Taschenbuchverlage den "Luxus einer 'Linie', einer wie auch immer gearteten Ansicht von der Welt und der Literatur", nicht mehr leisten wollten und sich deshalb allenfalls "wie die Automodelle zweier Marken in derselben Saison" unterschieden. Als gewiefter Dialektiker fand er beim Gegensatz zwischen hoher Auflage und geringer Bereitschaft, das einmal gekaufte Buch auch zu lesen, zu dem friedlichen Fazit: "Sein Gutes hat das Taschenbuch darin, dass die Vielzahl seiner Konsumenten, welche das Risiko scheut, die Minderheit seiner Leser subventioniert." Drei Jahre später war Enzensberger Herausgeber der Edition Suhrkamp, einer Reihe, die tatsächlich unverwechselbar wurde, und zwar nicht zuletzt, weil ihr der Designer Willy Fleckhaus ihr einprägsam schlichtes Image gab.

Edward Young, auf den das Penguin-Image zurückgeht, verließ den Verlag 1939, meldete sich im Jahr darauf in den Krieg und wurde der erste Freiwillige, der ein U-Boot befehligen durfte. Nach seinem Kriegsdienst war er wieder im Verlagswesen tätig. 1952 brachte er unter dem bescheidenen Titel "One of Our Submarines" ("Eines unserer U-Boote") seine Autobiografie heraus. Zwei Jahre später erschien sie als Taschenbuch bei Penguin, die Bandnummer 1000 für den Vogel- und Kriegshelden lorbeerumkränzt. Das Buch wurde, wie könnte es auch anders sein, ein Penguin-Bestseller.

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