Pedro Almodóvars "Die Haut in der ich wohne":Vom Design der Begierde

Grausame Rache nimmt der Held in Pedro Almodóvars neuem Film. In "Die Haut in der ich wohne" mit Antonio Banderas geht der Regisseur in Thriller-Manier bis zu den Ursprüngen von Wissenschaft und Kino zurück - und dabei so weit wie noch nie.

Fritz Göttler

Respiro steht an den Wänden des großen sterilen unterirdischen Raums. Respiro. Respiro. Respiro. Respiro. Respiro ... Dazu die Daten all der Tage der letzten Jahre, einzeln hintereinander festgeschrieben. Ich atme, ich weiß, dass ich atme, ich atme, also bin ich. Ein Akt der Selbstversicherung des Menschen, der in diesem Raum wohnen muss, ein Zellentagebuch.

Themendienst Kino: Die Haut, in der ich wohne

Ein Chirurg und sein Meisterwerk: Antonio Banderas und Elena Anaya in "Die Haut in der ich wohne".

(Foto: dapd)

Ein Mann nimmt Rache in diesem Film, das stellt sich erst allmählich heraus, und das besondere dieser Rache ist, dass sie mit kühler Neugier gemixt ist, mit wissenschaftlicher Forscherfaszination. Doktor Robert Ledgard hat seine Frau verloren - sie hat bei einem Autounfall schwere Verbrennungen erlitten, hat sich, mit dem eigenen entstellten Anblick in einer Spiegelung konfrontiert, in den Tod gestürzt - und er hat seine Tochter verloren - auch sie endete durch Selbstmord, sie ist, wie der Vater annimmt, von einem Jungen aus der Stadt vergewaltigt worden. Unfasslich grausam ist die Strafaktion des Vaters dafür. Auch deshalb, weil dabei Schuldgefühle mitspielen, wie immer wenn es um Rache geht, eine Selbstbestrafung - als hätte man seine Pflicht vernachlässigt und die geliebten Menschen nicht mit dem ihnen zustehenden Schutz versehen.

Ich bin wohl gerade in meiner Thrillerperiode, hat Pedro Almodóvar kokett angemerkt zu seinem neuen Film La piel que habito / Die Haut in der ich wohne. Diese Periode begann mit Live Flesh, nach einem Roman von Ruth Rendell, und ging dann weiter zu Volver und Zerrissene Umarmungen. Der neue Film ist inspiriert vom italienischen Krimi-Giallo-Genre, von den Gothic Horrors aus dem Hollywood der Dreißiger, von Georges Franjus Les yeux sans Visage, von der boshaften Tristesse Buñuels, von der verstörenden Puppenkunst der Louise Bourgeois, und - wie die meisten Almodóvarfilme - von Hitchcocks Vertigo. Von dem hat er die Kühle, die klinische Bedächtigkeit.

Der Doktor Robert Ledgard (Antonio Banderas, nach zwanzig Jahren wieder unter der Regie von Almodóvar) lebt und forscht in seiner noblen Villa El Cigarral, im Umfeld der Stadt Toledo. Er ist Genetiker, arbeitet an einer künstlichen Haut, die robuster und widerstandsfähiger ist als die des Menschen. Gal nennt er diese Haut, das ist der Name seiner toten Frau, und wenn die genetische Forschung seinerzeit schon so weit gewesen wäre, hätte er sie und ihre Schönheit retten können.

Psychopath und Künstler

Das Wesen, an dem er seine Experimente durchführt, heißt Vera (Elena Anaya, man kennt sie aus Julio Medems spektakulärem Room in Rome und dem fantastischen Horrorfilm Hierro von Gabe Ibáñez) und wird in dem sterilen unterirdischen Raum in der Villa gehalten, gehüllt in einen fleischfarbenen Ganzkörperanzug, der nur den Kopf frei lässt, ohne Kontakt zur Außenwelt. Sie wird nur von des Doktors mütterlich sorgender Haushälterin - Marisa Paredes, zuverlässige Almodóvar-Mitspielerin seit vielen Jahren - versorgt über einen Speisenaufzug. Vera macht Yoga mit einem großen Ball, sie hat drei Fernsehprogramme zur Auswahl und ein paar Bücher, sie bastelt ein wenig in der Louise-Bourgeois-Tradition.

Monitore überwachen den Raum, der eine liefert Schwarzweißbilder von oben herab, in der Totale totalitär den Raum erfassend, der andere farbige, auf einem Riesenbildschirm im Schlafzimmer des Doktors, und hier kann das Bild groß herangezoomt werden, bis Veras Kopf die ganze Wand füllt. Gern setzt sich Robert Ledgard abends vor diesem Monitor und setzt sich diesem überwältigenden Anblick aus. In den Gängen seines Hauses hängen üppige Gemälde, darunter eine Venus von Tizian, aber irgendwann, das ist die Schuld des Kinos mit seinem Verständnis des Voyeurismus, schauen die Gemälde auf die Betrachter zurück.

Der Liebende und das gar nicht obskure Objekt seiner Begierde, der Künstler und sein Geschöpf, das sind die uralten Themen im Werk von Almodóvar. Robert Ledgard mag in seiner Motivation ein Psychopath sein und ein skrupelloser Krimineller, aber in seiner Wissenschaft ist er ein Künstler, und seine Wissenschaft ist im Zeitalter der genetischen Forschung zur archaischen Unschuld des Forschens in seinen Anfängen, in der Renaissance zurückgekehrt. Ganz selbstverständlich reklamiert sie wieder die Grenzenlosigkeit ihrer Ambition, die Freiheit von moralischen Einschränkungen, die Konkurrenz zu Gott - der neue Prometheus!

Juan Gatti, mit dem Almodóvar seit 1988 zusammenarbeitet, hat in diesem Sinne für eins der Plakate zum Film eine Collage gestaltet mit Ausrissen aus wissenschaftlichen Handbüchern des 18. und 19. Jahrhunderts: Gräser und Zweige und Blüten, ein Schmetterling und ein Flamingo, ein nackter Menschenkörper, von hinten, dem die Haut abgerollt ist, viviseziert, aber nur, um den Blutkreislauf zu zeigen, das schöne plastische Netz der Adern, und auch das phantastische Design der Begierden. Das Plakat verkörpert den paradiesischen Zustand des Forschens, wie er auch dem Kino eignet, eine Neugier, in der Zärtlichkeit mit Grausamkeit gepaart ist. Lange hatte Almodóvar daran gedacht, die Geschichte als einen Stummfilm zu verfilmen, in der Tradition von Fritz Lang und F. W. Murnau.

Moment des absoluten Schreckens

Almodóvar hat das Gesetz des Thrillers verstanden, dass die von Schuld und Sühne determinierte Geschichte, mit der er beginnt und in die er uns mit atemloser Spannung bannt, sich zersetzt und eine ganz andere Spannung produziert, die des Spiels der Begehrlichkeiten und der Perversionen, in ihrem Jenseits von Gut und Böse. Travestie und Transvestitentum waren schon immer Almodóvars Ding. Hier aber geht er so weit wie nie zuvor, in den Bereich jener genetischen Manipulation, die unter dem Begriff Transgenese firmiert. Es gibt einen Moment des absoluten Schreckens in diesem Film, so radikal, wie er nur im Kino möglich ist, eine Pervertierung des Plots und des Begehrens, die mit Worten nicht mehr zu beschreiben ist.

Identität, die alte Chimäre der klassischen Philosophie, spukt auch in den Katakomben des Dr. Ledgard herum. Vera ist ein synthetisches Wesen, auf ihrer künstlichen Haut sind wie auf einem Schnittmuster die roten Verbindungslinien zu sehen. Sie kann nach den schrecklichen Erfahrungen, die sie durchmachte, keinen Ort, an dem sie wohnte, keine Vergangenheit für sich reklamieren, die ihr ein konsequentes Ich verbürgt.

Ihre Zukunft liegt allein in einem neuen Konzept der Persönlichkeit, wie es Michel Foucault immer wieder beschworen hat in seinen Texten und Vorlesungen, und das mit der rätselvollen, aber tröstlichen Kategorie der Sympathie eine Ordnung der Dinge beschreibt, die auch Almodóvar sehr vertraut ist: "Die Sympathie ist eine Instanz des Gleichen ... Sie hat die gefährliche Kraft zu assimilieren, die Dinge miteinander identisch zu machen, sie zu mischen und in ihrer Individualität verschwinden zu lassen, sie also dem fremd zu machen, was sie waren. Die Sympathie transformiert." Am Ende scheint sich, auch wenn alles dem Thriller gemäß mit Tod endet, perverserweise doch so etwas wie ein bizarres Happy-End abzuzeichnen.

Regie, Buch: Pedro Almodóvar. Nach dem Roman von Thierry Jonquet. Kamera: José Luis Alcaine. Schnitt: José Salcedo. Musik: Alberto Iglesias. Maske/Frisuren: Aleix Torrecillas. Mit: Antonio Banderas, Elena Anaya, Marisa Paredes, Jan Cornet, Roberto Álamo, Blanca Suárez, Eduard Fernández, Bárbara Lennie. Tobis, 120 Minuten.

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