Peaches in Hamburg:Das Wort "Fuck" in all seinen Konstellationen

Peaches Hamburg/Kampnagel

"Whose Jizz is This?" : Wenn Peaches auftritt, dann spritzt es gewaltig, auf der Bühne wie im Kunstverein.

(Foto: Lydia Daniller)

Peaches, die aktuell wohl einzige ernst zu nehmende Thronfolgerin von Madonna, gibt in Hamburg die Orgienversion eines Beyoncé-Konzerts. Leider auch mit einer Ausstellung.

Von Till Briegleb

Es ist irgendwie putzig, wenn eine "ikonische, feministische Musikerin" ihr 20-jähriges Bühnenjubiläum feiert wie eine Langverheiratete das Datum ihrer Hochzeit. Aber die "ikonische" Peaches, wie die kanadische Queen der Queer-Kultur sich zum Anlass ihres Jubiläumskonzerts beim Internationalen Sommerfestival in Hamburg ankündigen ließ, ist ja tatsächlich in ehelicher Treue monogam verbunden. Zwar keinem Menschen oder Trachtenverein, aber einem Thema: dem Geschlecht. Das weibliche setzt sie sich und anderen seit Jahren auf den Kopf als Tanzputz, das männliche wird bei ihren Konzerten riesig aufgeblasen, um "Jizz" ins Publikum zu spritzen. Aber vor allem geht es in ihren Texten um wenig mehr als Vagina und Schwanz, und ihr größter Hit heißt auch nicht umsonst "Fuck the Pain Away".

Man mag denken, dass diese wenigen Zutaten zu einer eindimensionalen Befreiungsbotschaft, die seit 20 Jahren Prüderie und männlich-christliche Sexualnormen geißelt, als lebten wir noch in den Fünfzigern, nur einen monotonen Abklatschabend ergeben kann. Eine dieser schematischen Shows, wie Peaches sie seit langer Zeit inszeniert, wo sie selbst auf einem Podest in häufigem Kostümwechsel "Shake your titties, shake your dicks!" in unterschiedlichen Variationen performt, davor zwei Tänzerinnen oder Tänzer mit Vulva-Maske und ein riesiger Namenszug im Hintergrund. Dazu die extrem schlichte Retro-Musik aus den Achtzigern mit geraden hämmernden Beats und Synthie-Sequenzern, ab und zu mal eingestreut eine AC/DC-Gitarre mit einem einzigen Riff in Endlosschleife.

Nein, Komplexität war nie das Thema dieser Ansagerin von unverkrampfter Schamlosigkeit, und genau dafür feiern ihre Fans Peaches, vor allem in jenen urbanen Szenen, wo sexuelle Identitätsfragen das Wichtigste im Leben zu sein scheinen, und sie wissen sich ermutigt und verstanden durch die schöne Botschaft: Sei wie und wer du willst! Doch die Porzellanhochzeit von Peaches mit ihrem Monothema wurde dann doch eine wilde vielfältige Supersause. Von den theatralisch sexualisierten Bühnenshows der Tubes aus den Siebzigern über die Menschmaschine-Balletts von Daft Punk bis zu den arschwackelnden Choreografien aus Hip-Hop-Videos zitierte sich Peaches durchs Entertainmentrepertoire des Pop.

Mit einer riesigen Frauenband und teilweise über 30 halbnackten Akteurinnen und Akteuren auf der Bühne inszenierte Peaches ein bezauberndes Sodom und Gomorrha der Unanständigkeit, die Orgienversion eines Beyoncé-Konzerts, eine lüsterne Erinnerung an die wilden Zwanziger in Berlin, wie sie nie gewesen sind. Sie selbst verkleidet in den Rapunzel-Perücken des französischen Kostümfriseurs Charlie Le Mindu, die meiste Zeit aber barbusig, zentrierte Peaches die Auftritte diverser Kollaborateure zu einer Show im schmutzigen Las-Vegas-Format.

Als Piratinnen verkleidete Tänzerinnen aus New Orleans brachten Peaches' Rap-Stücke aufs Yippie-Niveau. Eine archaisch wirkende Truppe fast nackter Performer, die nicht nach dem Raster des perfekten Körpers ausgewählt wurde, sorgte mehr für die konvulsiven Momente des Abends. Ihr Anführer, der als Sex-Alien maskierte New Yorker Multigender-Choreograf Christeene exaltierte sich als das Teuflische der Lust, während der Stuttgarter Staatsballetttänzer Louis Stiens in goldenen Boxershorts die begehrenswerte Balletttunte gab. Die Trapezakrobatin Empress Stah lieferte die Zirkuseinlage mit Laserpointer im Po. Und Iggy Pop sang sein schräges Anbagger-Duett mit Peaches, "Kick it", als Videoeinspielung.

Leider halt nicht fernsehtauglich

Ja, es ging auch an diesem Abend ausnahms- und umstandslos um das eine, das Wort "Fuck" in all seinen vorstellbaren Konstellationen. Bestimmt entsetzlich ermüdend, wenn man die Augen geschlossen und nur auf Text und Musik gehört hätte. Aber zuschauend verschwand die Monotonie sofort durch perfekte Choreografien von schwitzender Wildheit auf den drei Laufstegen ins Publikum, durch die grüne Laserorgel, die scheinbar durch Unterbrechung des Lichtstrahls gespielt wurde, und die stotternden Marschtänze mit Gasmaske, durch Showeinlage auf Showeinlage, mit der Peaches sich erstmals als ernst zu nehmende Thronfolgerin von Madonna empfahl, leider halt nicht fernsehtauglich.

Als sie dann als Zugabe endlich "Fuck the Pain Away" ins Mikrofon sangschrie, konnte man nur antworten: Nicht mehr nötig. Doch die Popwelt ist leider nicht mehr genug für Peaches. Neben einer Reihe von Shows und Konzerten, die sie im Rahmen des Sommerfestivals "kuratiert" hatte, darunter das mindestens ebenso sexualisierte Exzess-Varieté "Shaboom!" von Christeene, musste die Schmutz-Madonna nun auch noch als richtige Künstlerin mit einer Ausstellung im lokalen Kunstverein gewürdigt werden. Und da war es dann wieder, das irgendwie doch eher verklemmt wirkende Monothema "Ficken", inszeniert als Objektparcours.

Peaches Hamburg/Kampnagel

Ja, es ging auch an diesem Abend ausnahms- und umstandslos um das Eine: das Wort „Fuck“.

(Foto: Lydia Daniller)

Erzählt wird auf dieser Kunst-Peepshow mit dem Titel "Whose Jizz is This?" (Wessen Sperma ist das?) von der "geistigen" Evolution des "Double Masterbators", eines Sextoys mit Frauenmund und dem primären weiblichen Geschlechtsorgan als Nachbildung zur männlichen Selbstbefriedigung. Dieses rosa Plastikding lernt bei Peaches denken und sprechen, begreift sich als missbraucht, und gründet dann mit allen anderen "Me Too"-Opfern aus Weichplastik eine neue Apartheid. Darin gibt es dann klar bezeichnete Plätze nur für Menschen und solche nur für "Fleshies", wie die hydraulisch und digital animierten Onaniehilfen sich nun selbst nennen.

Doch diese ebenfalls mit extrem großem Aufwand inszenierte Emanzipationsfabel, bei der die fleischwurstähnlichen Spermarollatoren mal als riesiger Springbrunnen Wasser spritzen, als David-Cronenberg-Zitat ungelenke Bewegungen vollführen, eine Hashtag-Gruppe gründen oder ineinander verschlungen auf einer Bühne Peaches-Lieder singen, ist in ihrer ganzen Botschaft so platt, dass man - hätten es ein paar Jungs inszeniert - von pubertärer Albernheit irgendwie zwanghaft Sexfixierter reden würde. Und zwar einer Albernheit, die in ihrer totalen Redundanz leider überhaupt nicht komisch ist.

Vielleicht ist ja für manche, gerade jüngere Menschen Peaches der Bravo-Doktor der Sexratschläge, für Pornosüchtige ein Anlass, über ihre Einsamkeit nachzudenken, oder für Diskriminierungsempfindliche ein Idol der freien Rede über ein Thema, das sie weiterhin als Tabu empfinden. Es wäre halt nur einfach dem Begriff der Kunst angemessener, wenn der Inhalt von Peaches' Inszenierungen nicht so enervierend eindeutig wäre. So wie bei ihrem Jahrestag auf Kampnagel, der eine würdige Demonstration von Vielfalt und Selbstbewusstsein war.

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