Architektur und Nachhaltigkeit:Denk mal

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Welche Bedeutung hat die Architektur für die Umweltbilanz? Eine Pariser Ausstellung berechnet den CO₂-Ausstoß und zeigt, warum es strengere Vorgaben braucht.

Von Joseph Hanimann

Der moderne Ingenieurs- und Architektentraum des Leichtmachens hatte kein Glück. Seit hundert Jahren wurde er nie wirklich ausgeträumt und bewegt deshalb weiter die Fantasie. Die ersten Anläufe zum Wohnungsbau mit vorfabrizierten Fertigteilen unter dem Einfluss der beginnenden Autoindustrie kamen zwischen Weltwirtschaftskrise und Zweitem Weltkrieg ins Stocken. Die akute Wohnungskrise nach dem Krieg gab dem Fertigbau dann eine zweite Chance. Planungsfehler, Spekulation und die Ölkrise 1973 brachten aber bald einen neuen Dämpfer. Bietet das gegenwärtige Streben nach Reduzierung von Material- und Energieaufwand unter dem Druck der Umweltbelastung dem Leichtbau nun eine weitere Chance? Eine Ausstellung des Pariser Architekturzentrums im Pavillon de l'Arsenal liefert ein paar Antworten darauf.

"How much does your building weigh?", fragte der amerikanische Architekt Richard Buckminster Fuller gern seine Kollegen. Wie schwer drückt ein Gebäude heute auf die Umweltbilanz? - fragt die Ausstellung. Sie fragt aber nicht einfach so allgemein. 33 Einzelbeispiele von Häuserbau mit Fertigteilen, angefangen mit Buckminster Fullers 1929 entwickeltem "Dymaxion House" mit Aluminiumhaut, wurden ausgewählt und in Zusammenarbeit mit der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich auf Massengewicht und CO₂-Ausstoß pro Quadratmeter sowie auf die Anzahl verwendeter Materialtypen und die Gesamtzahl der Bestandteile analysiert.

Weltweit verschlingt der Häuserbau 35 Prozent des gesamten Energieaufwands

Abgesehen davon, dass solche Werte für ältere Bauten nachträglich schwer zu eruieren sind, mag eine derartige Datenanhäufung zum bloßen Kürlauf der Zahlenergebnisse verleiten. Ist das "Packaged House" von Walter Gropius und Konrad Wachsmann aus den Vierzigerjahren mit seinen 292 Kilogramm Baumasse und 84 Kilogramm CO₂-Ausstoß pro Quadratmeter effizienter als Werner Sobeks Aktivhaus-Siedlung in Winnenden aus den Jahren 2015/16, deren Masse auf 526 Kilogramm und deren CO₂-Belastung auf 251 Kilogramm pro Quadratmeter kommt? Zahlen antworten im engen Rahmen, auf den hin man sie befragt.

Als Denkanstoß ist das Panorama aus hundert Jahren Leichtbautechnik dennoch interessant. Es hilft, die abstrakten Wertvorgaben der heutigen Baureglementierung anschaulich zu machen. Die Hälfte der in Europa verarbeiteten natürlichen Ressourcen gehen in die Bautätigkeit und fast ein Drittel des produzierten Mülls kommt aus dieser Branche. Weltweit verschlingt der Häuserbau 35 Prozent des gesamten Energieaufwands. Das verlangt strengere Vorschriften. So wird das französische Baureglement vom nächsten Januar an für Neubauten nicht mehr nur den CO₂-Ausstoß durch die künftige Nutzung, sondern auch den durch den Bauprozess verursachten einberechnen. Über eine entsprechende Einkalkulierung der "grauen Energie" wird auch in Deutschland diskutiert.

Aluminium nach dem Ersten Weltkrieg, Plastik und aus Erdöl gewonnene Kunststoffe nach dem Zweiten beflügelten dank ihrem Leichtgewicht und ihrer beliebigen Formbarkeit den Geist der Gestalter. Vorbei schien die Zeit des mühevollen Stein-auf-Stein-Schichtens. Jene des schnellen Zusammensetzens sollte beginnen. Die kompakte "Tonnen-Gebirgsunterkunft" für acht Personen von Charlotte Perriand und Le Corbusiers Mitarbeiter Pierre Jeanneret aus dem Jahr 1938 konnte von sechs Arbeitern in drei Tage montiert werden. Und die Industriellen stiegen zunächst enthusiastisch ein ins verheißungsvolle Geschäft, ja waren manchmal selbst Auftraggeber. So ließ das französische Gießereiwerk AFC während dem Krieg 1941 von Jean Prouvé und Pierre Jeanneret für seine Ingenieure in Fabriknähe die Fertigbauhäuser "F 8x8 BBC" aus Holz und Wellblech entwerfen. Auch das aus Moduleinheiten bestehende "Espansiva"-Haus des Architekten Jørn Utzon entstand 1969 im Auftrag des Dänischen Holzverbandes.

Ihren Höhepunkt erreichte die Leichtigkeit als Lebensstil in jenen Jahren der Hochkonjunktur, als etwa der Architekt Jean Benjamin Maneval buntfarbene Feriengehäuse aus Polyester in die französische Landschaft stellte oder Georges Candilis seine auf die damalige Landstraßenbreite kalibrierten "Hexacube"-Wohnzellen entwarf, die mit einem 8-Millimeter-Schraubschlüssel in zwei Stunden zusammensetzbar waren. Mit dem Pavillon "Swinging Germany" von Frei Otto für die Expo 1967 in Montreal fand die Euphorie gestalterischer Unbeschwertheit zu einer einprägsamen Gestalt. In der Pariser Ausstellung kommt jenes Projekt allerdings nicht vor, denn sie beschränkt sich auf den Sektor der Einzelwohnhäuser.

Offensichtlich lag im Hinblick auf Umwelt und Klima schon länger der Taschenrechner mit auf dem Reißbrett

Ernster und sachlicher ging es hingegen bei den Projekten aus den letzten fünfzig Jahren her. Da lag offensichtlich im Hinblick auf Umwelt und Klima schon der Taschenrechner mit auf dem Reißbrett. Wenn etwa die Stuttgarter Architekten Frank Huster und Peter Hübner ihr für Extremtemperaturen in Saudi-Arabien entwickeltes Tropical Building System 1977 auch für einen Wohnhaus-Prototypen in hiesigen Breitengraden anwandten, sah das schon sehr nach vorausschauender Sorge aus.

Im Jahr 1995 warf der Brite Richard Horden den Begriff "Light Tech" in die Debatte. Er bezeichnete damit etwas, was er mit seinem vom Segelschiffbau inspirierten "Yacht House" seit 1983 erforschte: optimales Aufwand-Leistungs-Ergebnis durch technische Material-Optimierung. Die Ökobilanz seines Aluminium- und Inox-Hauses mit seinen 514 Kilogramm Massengewicht und 216 Kilogramm CO₂-Ausstoß pro Quadratmeter fiel allerdings eher mäßig aus, was unter anderem am massiven Beton-Fundament liegt. Lydia Haack und John Höpfner, Hordens ehemalige Assistenten an der TU München, haben das mit ihrem elegant ausgetüftelten "Micro Compact Home" von sieben Quadratmetern Wohnfläche zu korrigieren versucht. Zugleich haben sie dabei gezeigt, dass mit Bilanzzahlen in der Architektur nicht alles gesagt ist. Der Architektur-Theoretiker Vittorio Magnago Lampugnani pries einst gegen die Baumaterialen Glas und Stahl die Dauerhaftigkeit geschichteter Steine. Ihre Kinderkrankheit des quantitativen Rekordstemmens hat die Architektur des Leichtbaus jedoch überwunden. Im Zeichen der Klimakrise ist sie ins weniger lustige Alter der Besonnenheit getreten.

L'empreinte d'un habitat. Construire léger et décarboné. Pavillon de l'Arsenal, Paris. Bis 27. Februar. Dokumentation mit den 33 Projektbeschreibungen samt Leistungswerten für 13 Euro.

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