Paul Newman ist tot:Wider alle Klischees

Wenn je einer aus Hollywood ein aussichtsreicher Kandidat für das Paradies war, dann Paul Newman. Sein Leben war das Werk eines Geschichtenerzählers.

Tobias Kniebe

Das Blau soll nun also erloschen sein. Die Leuchtkraft dieser Augen, die wie keine anderen durch die Leinwand zu strahlen schienen, deren Einsatz sehr sorgfältig dosiert werden musste, weil sie ganze Filme aus der Balance werfen konnten. Man kann es sich kaum vorstellen.

Paul Newman ist tot: Gauner, Gangster, Gönner: Paul Newman spielte in seinem Leben viele Rollen - als Schauspieler, Rennfahrer und Regisseur. Und darüber hinaus wurde er noch für sein soziales Engagement geehrt.

Gauner, Gangster, Gönner: Paul Newman spielte in seinem Leben viele Rollen - als Schauspieler, Rennfahrer und Regisseur. Und darüber hinaus wurde er noch für sein soziales Engagement geehrt.

(Foto: Montage: sueddeutsche.de)

"Einen Unfall der Genetik" hat der Regisseur Martin Ritt, der einige ihrer größten Momente inszeniert hat, diese Augen einmal genannt: "Gewöhnliche Sterbliche werden nicht mit solchen Gaben bedacht."

Aber die Frage ist natürlich, was macht einer damit im Lauf eines Lebens. Und ob solche Augen am Ende ein Segen sind, oder doch eher ein Fluch. Paul Newman schien sich darüber selbst lange nicht im Klaren zu sein. Er sah so unverschämt gut aus, als er Mitte der Fünfzigerjahre auf den Leinwänden Amerikas auftauchte, dass man nicht einfach so tun konnte, als wäre da nichts.

Sogar die Filme selbst mussten das thematisieren. So wie er sich in "Die Katze auf dem heißen Blechdach" in Schwäche und Selbstmitleid suhlt, alkoholvernebelt, schweißüberströmt, mit gebrochenem Bein, das ist schon eine erste Antwort auf dieses Problem. Da kämpft einer gegen die Potenz seiner eigenen Physis an und deutet Tennessee Williams zugleich für die eigenen Zwecke um. "Wenn du nur nicht so gut aussehen würdest", seufzt, das Offensichtliche aussprechend, Maggie the Cat alias Elizabeth Taylor.

James Dean hätte Newmans erste große Rollen eigentlich spielen sollen, den Boxer Rocky Graziano in "Die Hölle ist in mir". Auch Montgomery Clift hatte abgelehnt. Zuvor hatte Newman schon vergeblich als Deans kleiner Bruder vorgesprochen, für "Jenseits von Eden", und beim Casting für "Die Faust im Nacken" zog er gegen Brando den Kürzeren.

Revoluzzer versus Selfmade-Männer

Sie kamen eben alle aus der "method generation", vom New Yorker Actor's Studio, vom neuen Broadway der revolutionär verschwitzen Unterhemden - eine große, wilde Zeit. Gegen die übermächtigen Väter zogen sie damals zu Felde, diese verschlossenen und harten Selfmade-Männer, die ihren Söhnen alles geben konnten, nur eben keine Liebe.

Auch bei Newman spiegelt das eine Realität. 1925 in Shaker Heights, Ohio, geboren, kämpfte als Funker bei den Marinefliegern im Pazifik, kehrte heim als einziger Überlebender seines Geschwaders, absolvierte das Kenyon College nicht weit von Zuhause und führte bis zum Tod des Vaters 1950 pflichtschuldig das familiäre Sportgeschäft. Alle Schauspielambitionen aber wischte der Alte beiseite. "Er sah mich immer als Leichtgewicht", hat Newman gesagt. "Und er hatte alles Recht dazu."

Im Spiel mit den harten, oft brutalen Vätern und Mentoren in Newmans frühen Filmen, darunter Größen wie Orson Welles, Melvyn Douglas oder George C. Scott in dem tiefschwarzen "Haie der Großstadt", ist diese Verletzung zu spüren, gibt seinem Spiel eine Kraft jenseits der Actors-Studio-Tricks, des Tod-oder-Teufel-Grinsens, des Wissens um den eigenen Killercharme - einem Charme, in dem doch auch die Selbstbefragung und Verunsicherung lauert, ob da mehr zu sehen ist als ein hübsches Gesicht.

Ein Pionier war er nicht, Brando und andere hatten den Weg schon freigesprengt. Zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein, der Mann, dem alles gelingt, begünstigt vom sprichwörtlichen "Newman's Luck" - das war ihm aber auch bald zu wenig.

Wie kein Star seiner Generation ist er skeptisch geblieben gegenüber dem eigenen Ruhm und den eigenen Fähigkeiten, hat immer wieder hart an sich gearbeitet, sich ganz in den Dienst seiner Geschichten gestellt. "Im Innersten glaubte er nicht wirklich daran, Paul Newman zu sein", hat der Autor William Goldman, der "Ein Fall für Harper" und "Butch Cassidy and the Sundance Kid" für ihn schrieb, das einmal auf den Punkt gebracht.

Abschied vom herzlosen Hud

Sein Publikum aber war bald entschlossen, diese Augen und diesen Mann ohne Vorbedingung zu lieben. Heute staunt man, was für ein genuin herzloser Bastard sein moderner Cowboy Hud in "Der Wildeste unter Tausend" zum Beispiel ist, clever, zynisch, vollkommen selbstbezogen - aber ausgerechnet mit dieser Rolle wurde er 1963 zum Superstar, nahm den großen Bruch mit dem Establishment, die Jugendbewegung der Sixties vorweg.

Achtunddreißig war er damals und wirkte doch wie zwanzig, und dieses Gefühl des großen Leichtsinns, der scheinbar ewigen Jugend, sollte sein Image bis tief in die siebziger Jahre prägen - seinen Ausbrecherkönig Cool Hand Luke in "Der Unbeugsame" etwa, den glücklosen Banditen Butch Cassidy, oder den Gentleman-Gauner Henry Gondorff in "Der Clou".

Eine Fortsetzung fand dieses Lebensgefühl später in seiner Begeisterung für Autorennen, als Fahrer und Rennstallbesitzer, mit gewonnenen Championships bis ins siebzigste Lebensjahrzehnt hinein - "meine letzte Möglichkeit, pubertär zu sein", wie er einmal erklärte.

Auf Seite 2: Eine Paul-Newman-Szene vor dem Wächter des Paradieses

Wider alle Klischees

Jenseits der Rennstrecken aber wurde er irgendwann entschieden erwachsen. Mitte der Sixties muss er das bewusst beschlossen haben. Seine Rollen für Robert Altman, in Buffalo Bill" und "Quintett", auch seine sechs Regiearbeiten, wo er stets die Schauspieler auf Händen trug, von "Die Liebe eines Sommers" bis zur "Glasmenagerie", zeugen davon.

Und es war wohl auch notwendig. Die Hysterie speziell der weiblichen Fans nahm überhand, und etwa nach der zehntausendsten Bitte, einmal live in diese blauen Augen schauen zu dürften, nahm er die Sonnenbrille in der Öffentlichkeit nie mehr ab.

Platz 19 auf Nixons Feindesliste

Im Grunde seines Wesens sei er ein scheuer Mensch, hat sein Freund Sidney Lumet einmal gesagt - Selbstentblößung, auch die vor der Kamera, sei stets schmerzhaft für ihn gewesen. Jenen Regisseuren aber, die ihn wirklich dazu bringen konnten - wie Lumet selbst in dem sagenhaft guten "The Verdict" - schenkte er unvergessliche Performances. Gerade dieser Film machte Anfang der achtziger Jahre noch einmal schmerzhaft klar, wie selten Newman in seiner Karriere wirklich gefordert wurde.

Selbst der große Martin Scorsese war, nachdem er "Die Farbe des Geldes" auf ihn zugeschnitten hatte, plötzlich mehr am Lauf der Billardkugeln interessiert als am Innenleben seines Stars. Und so gehört es zur Geschichte der eher unrühmlichen Kompromisse der Academy, dass Newman erst für diesen Film 1987 einen richtigen Oscar gewann, nachdem er im Jahr zuvor ehrenhalber bedacht worden war.

Das Trauma, nur ein Leichtgewicht zu sein, der Wunsch, einem Vater das Gegenteil zu beweisen, dem man nichts mehr beweisen konnte - das scheint Newman auch sonst geprägt zu haben. Seine erste Ehe hielt die branchenüblichen zehn Jahre; die zweite aber, mit der Kollegin Joanne Woodward, die er 1953 bei Proben am Broadway kennenlernte und 1958 heiratete, war glücklich bis zum Ende seines Lebens.

So wurde das Paar zu jener strahlenden Ausnahme, die alle Regeln des sonst so treulosen Showgeschäfts erst bestätigte. Zehnmal standen Newman und Woodward gemeinsam vor der Kamera - und viermal spielte sie unter seiner Regie.

Und auch der Rest von Newmans Existenz nahm bald Züge des Exemplarischen an: Engagement in der Bürgerrechtsbewegung und bei den Demokraten, was ihm einen ehrenvollen Platz 19 auf Richard Nixons Feindesliste eintrug, und karitativ motiviertes Unternehmertum, das mit dem Verkauf seiner im Freundeskreis berühmten Salatsoße begann und sich zu einem Lebensmittel-Imperium namens "Newman's Own" auswuchs, das heute mehr als hundert Produkte umfasst und bis dato sagenhafte 250 Millionen Dollar für wohltätige Zwecke erwirtschaftet hat.

Der geborene Geschichtenerzähler

Leicht könnte all dem etwas Triumphales anhaften: Einer, dem viel geschenkt wurde, der aber das beste daraus gemacht hat und am Ende sogar darauf bestand, mehr zu geben als zu nehmen. Gerade die triumphale Geste aber war Paul Newman vollkommen fremd, und wenn ihn das Glück einmal verließ - wie beim Drogentod seines rebellischen Sohnes Scott im Jahr 1978 - musste er auch die eigene Machtlosigkeit in unvergleichlicher Härte erfahren. So kann sich keiner, der mit ihm gearbeitet hat, auch nur an eine Episode der Arroganz oder Egomanie erinnern, stattdessen fallen selbst die scharfzüngigsten Chronisten Hollywoods immer nur Vokabeln wie großzügig, ehrenhaft und uneitel ein, wenn sie ihre Erfahrungen mit ihm beschreiben sollen.

Am besten stellt man sich dieses Leben also als das Werk eines geborenen Geschichtenerzählers vor, der früh erkannt hat, dass seine äußere Erscheinung nach einer Antwort verlangte - und natürlich nach einer Antwort, die allen erwartbaren Klischees wiedersprach. Noch einmal Martin Ritt: "Am Ende erkennt man einen Mann daran, was er tut. Nicht daran, was er sagt, oder wie blau seine Augen sind." Am Freitag ist Paul Newman, nach längerem Kampf gegen den Krebs, über den zu sprechen er sich bis zuletzt standhaft weigerte, in in seinem abgeschiedenen Haus am Aspetuck River in Westport, Connecticut, gestorben. Seine Familie war bei ihm. Er wurde 83 Jahre alt.

In diesem Moment also steht er, so stellen wir uns das vor, an der Pforte des Paradieses. Wenn je einer aus Hollywood dort ein aussichtsreicher Kandidat war, dann er. Und ganz sicher wird es dort eine echte Paul-Newman-Szene zu sehen geben.

Er wird also erst zu Boden schauen oder zur Seite, sein halb herausforderndes, halb verlegenes Grinsen grinsen, Augenkontakt vermeiden, vielleicht einen seiner schlechten Witze reißen und mit leicht aufgerauter Stimme ein paar Dinge aufzählen, die ein Mann von seiner Klasse eben über sich selber sagt.

Dass seine Freunde ihn nur PL nannten zum Beispiel, wobei das L für Leonard, aber auch für "lunkhead" alias Dummkopf stehen konnte; dass er Frank Sinatra erfolgreich aus dem Spaghettisoßenbusiness verdrängt habe; dass er im Guiness Buch der Rekorde als ältester Rennfahrer gelistet sei, der je ein professionelles Autorennen gewonnen habe; und dass er bei Leuten, die es wissen müssen, allgemein als der schlechteste Fischer der Ostküste galt.

Ganz zum Schluss aber wird er den Wächter des Paradieses plötzlich und unvermittelt anschauen, ganz direkt. Mit diesem blauen Leuchten in den Augen. Mit einem dieser Newman-Blicke, gegen die auf Erden kein Widerstand möglich war, und die jetzt auch im Himmel ihre todsichere Wirkung entfalten werden.

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