Theater:Bis es wehtut

Theater: Der Künstler Paul McCarthy ist bekannt dafür, die Ekelgrenze zu überschreiten. Mit der Schauspielerin Lilith Stangenberg und sich selbst als Adolf inszeniert er nun "Adolf & Eva" auf der großen Bühne in Hamburg.

Der Künstler Paul McCarthy ist bekannt dafür, die Ekelgrenze zu überschreiten. Mit der Schauspielerin Lilith Stangenberg und sich selbst als Adolf inszeniert er nun "Adolf & Eva" auf der großen Bühne in Hamburg.

(Foto: Alex Stevens/© Paul McCarthy und Hauser & Wirth)

Paul McCarthy und Sigalit Landau stellen in ihren Stücken die Frage, wie Gewalt im Theater verhandelt werden kann. Das Publikum wird dabei nicht geschont.

Von Till Briegleb

Kann extreme Kunst dem Theater neue Impulse geben? Speziell extrem gewalttätige und körperbetonte Performancekunst? In einer Zeit, wo viele Menschen im Bereich des Theaters hauptsächlich mit der Frage beschäftigt zu sein scheinen, was sie ihrem angeblich kränkungsempfindlichen Publikum nicht mehr zeigen wollen, ist die Freiheit, die sich Paul McCarthy und Sigalit Landau zu nehmen pflegen, pure Opposition.

McCarthy ist seit den Siebzigerjahren schonungslos darin, aggressive Sexualität und Gewalt als Subtext der Konsumgesellschaft in Performances zu zelebrieren, die gezielt die Ekelgrenze überschreiten. Die israelische Künstlerin Landau inszeniert radikale Attacken gegen den Körper dagegen nur in einem Teil ihres Werkes, etwa in der großen Ausstellung "The Dining Hall" 2008 in den Kunstwerken Berlin, wo gehäutete Menschen in einem Blutinferno dargestellt waren, das man durch ein Krematorium betrat.

Der Abend in Hamburg gehört zu dem Extremsten, was seit Langem im deutschen Theater zu sehen war

Beide haben nun mit Eröffnungsinszenierungen zur neuen Saison die Frage thematisiert, wie Gewalt im Theater verhandelt werden kann: McCarthy im Deutschen Schauspielhaus in Hamburg, Sigalit Landau zum Start des Kunstfestes Weimar. Und zumindest im Fall von "Adolf & Eva", das der kalifornische Schocktherapeut eines brutalen Unterbewussten zusammen mit der Schauspielerin Lilith Stangenberg auf der großen Bühne in Hamburg inszeniert hat, kann man sagen, dass dieser Abend zu dem Extremsten gehört, was seit langer Zeit im deutschen Theater zu sehen war. Die explizite Darstellung von "ungewöhnlichen" Sexualpraktiken bis hin zum Kannibalismus wird in überaus realistischer Manier bis zum blutigen Finale gesteigert.

Theater: "Adolf & Eva" im Deutschen Schauspielhaus Hamburg.

"Adolf & Eva" im Deutschen Schauspielhaus Hamburg.

(Foto: Thomas Aurin)

Zunächst, wenn Adolf Hitler und Eva Braun betrunken in den Zuschauerraum torkeln, mag man noch nörgeln, dass dieser Auftritt schlecht recherchiert ist, denn bekanntlich hat der Führer keinen Alkohol getrunken. Aber es ist auch nicht bekannt, dass Eva Braun sich wie Marilyn Monroe verkleidet hätte, die erst nach der tödlichen Hochzeit des Paares im Führerbunker ihre Karriere begann. Wie Micky Mouse, Arafat, Schneewittchen, der Weihnachtsmann oder Donald Trump, die in 50 Jahren bei McCarthys Enthemmungs-Partys Hauptrollen gespielt haben, ist auch dieses destruktive Liebespaar keine historische Rekonstruktion, sondern eine metaphorische.

Zur Hälfte besteht der Text der knapp zweistündigen Premiere aus dem Wort "Fuck"

Denn das souveräne Bild erfolgreicher und mächtiger Menschen und Figuren provoziert McCarthy auch mit 77 Jahren noch als eine groteske Lüge. Unter der attraktiven Oberfläche der Wohlstandskultur mit ihren Schmerzorgasmen des Hollywood-Kinos und der Weltnachrichten wuchere eine Anderswelt der Verrohung, über die sich diese Inszenierung keinerlei Illusionen hingeben will. Der ständige Kampf um Überlegenheit, den der Kapitalismus tief in die Gesellschaft verwurzelt hat, geht nach McCarthys Diagnose einher mit einem inneren Morast aus emotionaler Retardiertheit und rücksichtslosem Egoismus, den er schonungslos ausstellt. Bisher tat er das in Performances, die er in seinem Studio in Kalifornien aufzeichnete, jetzt wagt er es erstmals, das Schocktheater mit sich selbst als Adolf auch live aufzuführen.

Das maßlos Stumpfe brabbelt dabei nur mit wenigen Vokabeln aus dem Liebespaar. Zur Hälfte besteht der Text der knapp zweistündigen Premiere aus dem Wort "Fuck", während Adolf und Eva in der drehbaren Filmkulisse einer schäbigen Wohnung bestürzend wichtige Fragen zu klären versuchen: "Want to fuck your daughter?", "Let's get married, Adolf?" oder "Give me a baby before you die." Manchmal beschimpft die kraftblonde Eva im weißen Pelz den alten Mann mit dem Nasenbart auch als "privileged impotent capitalist" oder kündigt die späteren Exzesse an: "I can cut your dick off."

"Do it", antwortet der Führer, und macht mit seinem iPad Stimmungsmusik: Wagners "Fliegender Holländer" begleitet die folgenden Schmerzgrenzen-Erprobungen. Bald ist der Schwanz des alten Herren draußen, der Rock der jungen Frau oben, und nach der matschigen Herstellung eines Sandwiches wird dieses mit einem dicken Strahl von Evas Urin eingeweicht, in den sich Adolf giggelnd hineinwirft. Die nächste Portion kommt aus Lilith Stangenbergs Hintern und wird mit gleicher Euphorie auf Hitlers Gesicht verschmiert. Doch weil nach diesem Vorspiel noch immer keine Härte in Adolfs Stängel kommen will, erhält das Fortpflanzungsorgan eine fiese Spritze in die Eichel.

Die tatsächliche Friedensbotschaft von McCarthy geht beim Ertragen des Stücks vermutlich etwas verloren

Dieser Extrem-Porno bis zu Evas Nachtmahl aus Adolfs Gehirn, das sie mit einem Baseballschläger aus seinem Kopf befreit, nachdem sie vorher schon seinen Penis gelutscht und dann abgebissen hat, ist superrealistisch inszeniert und wird von mehreren Filmteams auf zwei große Leinwände übertragen. Das ist nicht für jede und jeden im Publikum erträglich. Manche gehen spätestens nach der Ess-meine-Kacke-Szene, andere lachen oder überspielen ihre innere Reserve zu der Übelkeitsprozedur mit zur Schau getragener Langeweile. Am Ende gibt es schließlich befreienden Jubel.

Die tatsächliche Friedensbotschaft von McCarthys Wirken, es gäbe einen zwingenden Zusammenhang zwischen der Begeisterung für Gewalt in unserer Kultur und unseren verdrängten Gelüsten, den es zu erkennen und zu lösen gilt, um eine weniger kaputte Gesellschaft zu bilden, geht beim Ertragen des Abends aber vermutlich etwas verloren.

Theater: "Olivenhain" von Sigalit Landau.

"Olivenhain" von Sigalit Landau.

(Foto: Rami Zarnegar)

Demgegenüber ist der Affront, den Sigalit Landau mit ihrer Freiluft-Performance neben dem Goethe-und-Schiller-Denkmal in Weimar produziert, von weniger drastischer, aber vielleicht gemeinerer Botschaft. Denn ihre Verbindung von Video-Installation, Tanz und Mitmach-Theater lässt das Publikum in eine Falle laufen. Auf sechs großen Screens und zu bedrohlicher Musik zeigt Landau industrielle Olivenernte. Die Darstellung monströser Rüttelmaschinen, begleitet von Arbeitern, die mit Stangen auf die Zweige einschlagen, ist ein starkes symbolisches Bild von massiver Gewalt gegen die Natur, das sofort als Metapher für zwischenmenschliche Gewalt erkennbar ist.

Fortgesetzt wird die Visualisierung von unterversöhnlicher Zerstörungswut durch die Dokumentation der brutalen Rodung eines Olivenwalds, sowie durch weitere symbolische Bilder, etwa einer nackten schutzlosen Frau gefesselt in den Fangnetzen. Dazu tanzen ein syrischer und ein israelischer Tänzer etwas pathetische Szenen von Gewalt und Versöhnung, die wieder in Konfrontation übergehen. Alle diese Bilder legen Assoziationen zu der vollkommen verfahrenen Situation zwischen Juden und Palästinensern in Israel nahe, mit der sich Sigalit Landau intensiv auseinandersetzt.

Am Ende beginnt das Publikum in Weimar eine fröhliche Party vor den Bildern der gequälten Bäume

Doch gegen Ende dieses Infernos der symbolischen Gewalt holen die beiden Tänzer plötzlich das Publikum zu sich und beginnen eine fröhliche Party vor den Bildern der gequälten Bäume. Mit Tanzmusik und unter Rufen wie "Wir wollen glücklich sein" oder "Mit uns in die Zukunft" verführen sie die Zuschauer zu einem verstörenden Bild der Umstandslosigkeit, mit der Schreckensbotschaften egal werden, wenn es um den eigenen Spaß geht. Hunderte Gäste lassen sich zu dieser Mitmachperformance einladen, ohne zu merken, wie sie für ein Bild der Bigotterie instrumentalisiert werden. Und das ist auf subtilere Weise ähnlich drastisch wie das Liebesspiel von Adolf und Eva.

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