Paul Kuhn über die Musik beim Zapfenstreich:"Immerhin lässt er sich nicht 'My Way' vorspielen"

Die Sehnsuchtsmelodie eines jungen Mädchens aus Kansas: Mit "Over the Rainbow" lässt sich Christian Wulff beim Großen Zapfenstreich aus dem Amt verabschieden. Passend, meint der Jazz-Pianist Paul Kuhn. Wer als Vorbild eines Landes "Ich lerne noch" sagt, der kann sich auch ein naives Märchenlied vorspielen lassen.

Martin Zips

Mit musikalischen Standards kennt sich wohl keiner besser aus als Paul Kuhn, der am kommenden Montag seinen 86. Geburtstag feiert. Kuhn, der früher mit Harald Juhnke tourte und noch immer mit Max Greger auftritt, komponierte Schlager wie "Es gibt kein Bier auf Hawaii". Auch wird er heute international als herausragender Jazz-Pianist gefeiert. Der von Harold Arlen komponierte Song "Over the Rainbow" gehört fest zu seinem Repertoire.

Paul Kuhn gibt Konzert

Jazz-Pianist Paul Kuhn: "Der Text enthält ja völlig unerfüllbare Wünsche. Ein Land über dem Regenbogen, dort wo die Hüttensänger fliegen und die Träume wahr werden."

(Foto: dpa/dpaweb)

SZ: Herr Kuhn, was fällt Ihnen zum Stück "Over the Rainbow" ein?

Kuhn: Oh, das habe ich oft gespielt. Das Stück ist heute noch unheimlich beliebt. Es gibt ja so viele Cover-Versionen.

SZ: Mindestens hundert. Zum Beispiel die von diesem dicken hawaiianischen Sänger. Oder von Marusha in den neunziger Jahren.

Kuhn: "Over the Rainbow" - das ist für mich ein naives Märchenlied. Der Text enthält ja völlig unerfüllbare Wünsche. Ein Land über dem Regenbogen, dort wo die Hüttensänger fliegen und die Träume wahr werden und die Sorgen wie Zitronenbonbons schmelzen? Also mit Realität hat das doch nichts zu tun.

SZ: Das Stück ist deutlich Dur-geprägt. Moll-Akkorde kommen nur am Rande vor.

Kuhn: Das ist eine wundervolle Sehnsuchtsmelodie, die für den Wunsch eines Kindes steht. Es beginnt auch ungeheuer simpel, nämlich mit einer Oktave.

SZ: Es ist der gesungene Wunsch des Mädchens Dorothy im Film "The Wizard of Oz" von 1939.

Kuhn: Den habe ich schon als Kind gesehen, glaube ich. Ich bin ja auch nur sechs Jahre jünger als die Judy Garland, die das Lied dort singt. Na ja, jedenfalls landet die ja dann sturmbedingt mit dem Haus irgendwo dort oben über dem Regenbogen - und siehe da: Das Leben ist dort auch nicht besser.

SZ: Dort oben, könnte das nicht auch Großburgwedel sein, wo der scheidende Bundespräsident Christian Wulff jetzt gelandet ist? Schließlich wünscht er sich "Over the Rainbow" als Lied für seinen Großen Zapfenstreich.

Kuhn: Eine clevere Wahl. Der Hurrikan ist da, nun wird man sehen, wo man landet. Was hat Wulff damals gesagt, als er noch Bundespräsident war? "Ich lerne noch." Aber das geht doch nicht, wenn man Vorbild sein muss, in einem Land. Insofern passt es gut, dass sich Wulff noch mal das Sehnsuchtslied eines jungen Mädchens aus Kansas vorspielen lässt. Ich würde es allerdings demütig und leise intonieren.

SZ: Warum?

Kuhn: Das wäre angemessen. Ich glaube aber, dass Wulff es eher laut und knackig hat. Als er damals vor der Presse sagte: "Ich bin verletzt", da klang das ja auch eher nach einem Paukenschlag als nach einer friedlichen Weise. Aber immerhin lässt er sich nicht "My Way" vorspielen.

SZ: "I ate it up and spit it out"? Wie Gerhard Schröder bei seinem Zapfenstreich 2005?

Kuhn: Das wäre doch in Wulffs Fall ein Hohn, finden Sie nicht? Was hat der denn schon gemacht? "My Way" darf vielleicht Frank Sinatra singen, wenn er auf seine lebenslange Karriere zurückblickt. Aber doch nicht dieser Kurz-Präsident. Dann doch lieber: "Über den Schornsteinen wirst Du mich finden", wie es in "Over the Rainbow" heißt.

SZ: Wo Sie gerade "Schornstein" sagen: Wäre "Chim Chiminey" nicht viel geeigneter gewesen für den Großen Zapfenstreich? Das singt der Schornsteinfeger in Mary Poppins. "Ich bin übersät mit Ruß von Kopf bis Fuß."

Kuhn: Ja, vielleicht wäre das besser gewesen. Gerade ist einer der beiden Komponisten des Liedes, Robert B. Sherman, gestorben. Er war so alt wie ich in wenigen Tagen sein werde.

SZ: Gibt es ein Lied des Abtritts, welches Sie sich mal wünschen würden?

Kuhn: Ach, das überlege ich mir gar nicht gern. Außerdem habe ich viel zu viele Lieblingsmelodien. Aber bei all dem, was ich Kritisches gesagt habe: "Over the Rainbow" gehört irgendwie schon auch zu meinen liebsten Songs.

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