Prager Oper:Musik einer verlorenen Zukunft

Lesezeit: 3 Min.

In Paul Abrahams "Ball im Savoy" vergnügt sich ein Ehepaar, allerdings nicht miteinander, sondern aneinander vorbei. (Foto: Zdenek Sokol/Staatsoper Prag)

An der Prager Staatsoper wird Paul Abrahams hinreißende Jazz-Operette "Ball im Savoy" 90 Jahre nach der Berliner Uraufführung gespielt. Wie das funkelt!

Von Helmut Mauró

Vielleicht ist die neue Prager Aufführung etwas lang geraten. Während man bei der Uraufführung von Paul Abrahams Jazz-Operette "Ball im Savoy" von 1932 in Berlin noch mit drei Stunden auskam, dauert die aktuelle Produktion in Prag eine halbe Stunde länger. Lohnt sich aber. Die Neuproduktion der damals neuartigen Operette, die näher am Musical ist als an Wiener Traditionen, ist sehr gelungen und führt in Zeiten, die wegen der Vernichtungspolitik der Nazis so gründlich vergessen sind, dass man selbst über ihre prominentesten Kulturvertreter kaum etwas weiß.

Paul Abraham, der 1892 als Sohn eines jüdischen ungarischen Kaufmanns geboren wurde, er war nach dem Ersten Weltkrieg Börsenspekulant, verlor alles und musste wegen Unterschlagung sogar ins Gefängnis. Gut, dass er auch Musik studiert hatte. 1927 wurde er Kapellmeister am Budapester Operettentheater, und es klingt leicht untertrieben, wenn man sagt: Er nutzte die Chance. Im März 1928 hatte die Operette "Zenebona" Premiere, an der er schon mitkomponierte, im Oktober wurde sie in Wien gespielt unter dem Titel "Spektakel. Ein Durcheinander mit viel Jazzmusik". Das ist von zukunftsweisender Bedeutung, weil Abraham künftig und erfolgreich nur noch Spektakel mit viel Jazz-Durcheinander-Jazz komponieren wird.

Dem Wiener Kritiker war 1928 klar: Diese Mischung "aus Farce, Vaudeville, Burleske, Cabaret und Circus zu den Klängen des Jazz", bar jeder Sentimentalität, würde die Zukunft sein. Die Zeit der sentimentalen Schmachtfetzen in Wiener Tradition war vorbei, das Pathos des Fin de Siècle muffig geworden. "Wir folgen jetzt amerikanischen und englischen Vorbildern", stellte der Kritiker fest. Franz Lehárs "Das Land des Lächelns" wurde zwar noch gespielt, auch Ralph Benatzkys Singspiel "Im weißen Rößl" lief noch gut, aber die Revue-Operette mit schmissigen Melodien und aktuellen Tanzrhythmen dominierte nun das Unterhaltungstheater.

Am 13. Oktober 1928 kam dann Abrahams erste Operette heraus, in der Leipziger Premiere 1930 hieß sie "Viktoria und ihr Husar" und machte den Komponisten sofort bekannt. Bald darauf wanderte das Stück ans Metropoltheater nach Berlin, das von den Brüdern Alfred und Fritz Rotter geleitet wurde. Sie besaßen mehrere Theater, und bestimmten das Musiktheaterleben im Berlin der Zwischenkriegszeit maßgeblich. Als sie das Große Schauspielhaus kauften, taten sie dies in der Gewissheit, dass die moderne Operette, wie sie Paul Abraham lieferte, sie bald von allen Geldsorgen befreien würde. Der Erfolg von Abrahams neuem Stück "Ball im Savoy", uraufgeführt am 23. Dezember 1932, ließ die Vermutung realistisch erscheinen, die Machtübernahme der Nazis machte diesen Traum 1933 zunichte.

Der ständige Wechsel von Klangstil, Rhythmus, Agogik, stellt die Musiker des Prager Staatsorchesters vor Herausforderungen

Die Hauptbestandteile des Erfolgs von Abraham sind Sex und Politik. In "Die Blume von Hawaii" bezog er sich auf die US-Annexion der Insel 1898, im "Ball von Savoy" geht es um Innenpolitik, um frauenfeindliche Gesetze und Verhaltensweisen. Ohne die Gischt der Empörung, mit scharf-zynischer Eleganz. Warum, so das Grundthema, dürfen Männer fremdgehen und Frauen nicht? "Wir tun es auch, aber reden nicht darüber", ist die wohlmeinende Antwort, die Madeleine von ihren Freundinnen erhält. Aber sie will nicht schweigen und zwingt ihren Ehemann, den Marquis Aristide, in eine offene Auseinandersetzung.

Beide vergnügen sich in Separees außerehelich, Tür an Tür - was aber nur Madeleine weiß, denn sie hat es so eingefädelt. Unterstützung erhält sie von Daisy Parker alias José Pasodoble, von dem alle schwärmen. Daisy ist Komponist und Dirigent, bringt die neueste Tanzmoden aus Amerika mit und leitet das Orchester im Savoy. Aristide behauptet, Pasodoble sei sein bester Freund, er werde ihn beim Ball im Savoy treffen. Leider sei das Reisegepäck noch nicht angekommen, und so habe Madeleine nichts anzuziehen. Deshalb könne sie nicht mitkommen. Das sieht sie sofort ein, weiß natürlich, dass er eine Verflossene treffen wird. Sie schmiedet Rachepläne, taucht ebenfalls auf dem Ball auf, wirft sich einem unerfahrenen Jüngling an den Hals.

Natürlich funktioniert das so unterhaltsam wie jetzt an der Prager Staatsoper auch wegen eines hochmotivierten Ensembles. Neben dem Opernballett glänzen die Gesangssolisten Doubravka Součková, Jiří Hájek, Barbora Řeřichová, Daniel Matoušek, Linda Caridad Fernandez Saez und Vladimir Kratina in den Hauptrollen. Der ständige Wechsel von Klangstil, Rhythmus, Agogik, stellt die Musiker des Prager Staatsorchesters vor Herausforderungen. Dirigent Jan Kučera entwickelte aus dem munter rumpelnden und etwas blechernen Vaudeville-Sound einen immer feiner gestrickten Orchester-Big-Band-Sound.

Abrahams Bühnenstücke stehen seit etwa zehn Jahren in Deutschland wieder auf den Spielplänen. Es ist eine späte Erinnerungsarbeit, die in Prag an prominenter Stelle geführt wird, da hier unter der Intendanz des Komponisten Alexander Zemlinsky viele Werke jüdischer Kollegen uraufgeführt wurden, die die Nazizeit selten überlebt haben. Das gilt für Urheber und Werke gleichermaßen. Abraham, der 1940 nach New York geflohen war, dem allerdings die US-Staatsbürgerschaft verweigert wurde, konnte 1956 von einem Unterstützerkomitee nach Hamburg geholt wurde, verbrachte die ersten 16 Monate in der Eppendorfer Psychiatrie, dann bei seiner aus Budapest zurückgekehrten Ehefrau. Bis zuletzt glaubte er, in New York zu leben, und wartete auf Nachricht des Musicalproduzenten Oscar Hammerstein II., den "Ball im Savoy" in Amerika aufzuführen. Im Mai 1960 starb Abraham, drei Monate später Hammerstein.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusExklusivErinnerung an Jean-Luc Godard
:Godard, der Filmdenker

Ein Aufschrei der Dankbarkeit quer durch das Weltkino müsste dem Tod von Jean-Luc Godard folgen.

Gastbeitrag von Durs Grünbein

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: