Patti Smith-CD "Trampin":Eine Sehnsucht von wilden Pferden gezogen

Die Blume des bösen Rock´n´Roll ist zurück - mit genau der Stimme, die schon vor Jahren wusste, dass die Nacht den Liebenden gehört.

WILLI WINKLER

Mitten in den grauenhaften Siebzigern, als es nur restlos intelligenzfreie Platten wie ¸¸Jeans On" und ¸¸Listen To What The Man Said" gab und diesen ganzen GenesisSupertrampplusAbba-Mist, der bombastisch genug war, um auch beim rautenpullundertragenden Oberschüler als elternverträgliche Pop-aber-doch-auch-Kunst durchzugehen, mitten in diesen entsetzlich sozialdemokratischen Dauer-Siebzigern, kam aus Amerika eine Stimme, die furchterregend unprofessionell war und garantiert nicht vom Fach, die Stimme von Patti Smith.

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Sie konnte wirklich nicht besonders singen, dafür drosch sie wie der erste Anfänger auf ihre Gitarre ein und stieß Wörter, Sätze, Stammelgesänge hervor, die jedem und jeder anderen nur peinlich gewesen wären: ¸¸Outside of society, they"re waitin" for me. / Outside of society, that"s where I want to be" oder, bisschen yingyangig: ¸¸Im Grunde bin ich Muslimin, im Grunde bin ich Amerikanerin, bin ich Künstlerin, und ich spüre keine Schuld."

Allein diese Anbetung des blumigen Bösen: Baudelaire, klar, Rimbaud, die Rolling Stones aber auch und ganz, ganz viel Gott, aber natürlich schön blasphemisch: ¸¸Jesus died for somebody"s sins / But not mine." Auf dem Cover ihrer ersten LP ¸¸Horses" (1975) stand sie im flachpressenden Männerhemd, auf der Oberlippe ein feiner Damenbart, fotografiert von dem nachmals berühmten Fotografen Robert Mapplethorpe, für Pop-Verhältnisse und wenn man nicht zufällig lesbisch war, extrem unerotisch: das war Patti Smith und eine Offenbarung.

Sie sang nicht, sie spielte nicht, sie flehte, sie schrie, sie betete. Sie erzählte von der Arbeit in der Fabrik, wo man damit drohte, ihr den Kopf ins Klo zu stecken, wenn sie nicht folgte. Vierzig Grad hat es in der Halle, ausgelacht wird sie, aber ¸¸ich hab eine Sehnsucht in mir: Ich will hier raus-".

Sie kam raus, schaffte es von New Jersey nach Manhattan hinüber, in die Nähe von William Burroughs und Allen Ginsberg und Bob Dylan. Keine vier Jahre nach ¸¸Horses" zog sie sich wieder zurück und wirkte wie ein Prophet kurz vor seiner Berufung im Verborgenen. Sie allerdings wollte nichts Ekstatischeres als Hausfrau und Mutter, wusch, putzte und las viel. So vollständig war sie aus der Gegenwart verschwunden, dass sie wie ein Blitz aus dem Jenseits niederfahren konnte, mitten in der Nacht im italienischen Fernsehen dieser Akkord und dann die Hymne, die sie einst zusammen mit Bruce Springsteen geschrieben hatte: ¸¸Because the Night". Patti Smith aber blieb unsichtbar, pflegte ihren kranken Mann und kam erst nach dessen Tod wieder aus der Inneren Emigration in Detroit zurück nach New York.

¸¸Trampin"" ist erst Patti Smiths neunte Platte in dreißig Jahren, und nie sang sie besser als auf dieser CD, die heute erscheint. Ihre Stimme, die einst in grundloser Hysterie brillierte, ist schwerer und voller geworden. Wenn sie das Titelstück singt, ein ¸¸Neger-Spiritual" aus den Depressions-Dreißigern von Marian Anderson, klingt sie wie eine schwarze Vorsängerin in einer südstaatlichen Baptistenkirche.

Der distinkte Smith-Sound geht dabei nicht verloren, dafür sorgt der Simpel-Rock ihrer Begleitband. Lenny Kaye (Gitarre) und Jay Dee Daugherty (Schlagzeug) begleiteten schon den Star des New Yorker Clubs CBGB, hinzugekommen sind ihr Freund Oliver Ray (Gitarre) und Tony Shanahan (Bass). Die Band durfte sich praktisch effektfrei auf Heimwerkerbasis selber produzieren, und erstaunlicherweise hat sich ausgerechnet Sony mit dem Traditionslabel Columbia diese manchmal entrückte, beängstigend unmoderne Künstlerin leisten wollen. Doch trotz William Blake und der Anklage gegen den bösen Mammon (¸¸Cash") ist sie ganz von dieser Welt. Die Musik nennt sie ihren ¸¸Wehrdienst", zieht wie ein Soldat in die Friedensschlacht (innen im Cover trägt Patti Smith die kriegsvertraute Militärhose, allerdings vorschriftswidrig aufgekrempelt), kämpft wie nur je ein ¸¸Rock"n"Roll Nigger".

Wo inzwischen selbst die ärgsten Kriegsgurgeln und leitartikelspuckenden Flintenweiber größte Bedenken zum glorreichen Irakfeldzug äußern, fällt der mildtätige Pazifismus von Patti Smith gar nicht mehr auf. Sie beschwört Mahatma Gandhi und Martin Luther King, sie träumt davon, dass jesajamäßig ¸¸das Lamm beim Löwen liegt", und die große Nänie ¸¸Radio Baghdad" lässt sie mit dem fröhlichen Lärm spielender Kinder beginnen. Aber auch wenn die Welt schlecht ist, lässt sie sich durch gut gemeinte Musik nur unwesentlich verbessern.

Patti Smith wird mit ihrem neuen Album auf Tournee durch die USA gehen. Ihre Kampagne ist wie immer eine Patti-Smith-Kampagne, aber doch politischer, als die offizielle Politik es erlaubt. Der ¸¸Patriot Act" ist nur der letzte Ausdruck einer verordneten Gesinnung, der notfalls auch die Bürgerrechte zu opfern sind. ¸¸Wir sind die Liebe und die Zukunft und sind doch befangen in Wahn und Erschöpfung", singt sie und weiß eine bewährte blumenkindliche Antwort: ¸¸Rekrutiert die Träume, die dich besingen / Lass die Freiheit klingen". (Fürs Cover hat sie die Hand ihre 16-jährigen Tochter fotografiert, die eine Blume präsentiert.) Patti Smith, die nie die Punk-Frau war, als die sie ausgegeben wurde, ist bei ihren Wanderungen durch Zeit und Literatur endlich in den Sechzigern angekommen, als Amerika soviel jünger war als heute.

Kunst - wer sagte das gleich wieder? - Kunst ist politisch. Wenn die Army überall ihre Rekrutierungsbüros hinbaut, schlägt die Künstlerin Buden auf, in denen man sich als Wähler registrieren lassen kann. Es soll eine schweigende, eine zum Schweigen gebrachte Mehrheit geben, die den nicht endenden Krieg und vor allem den aktuellen Warlord im Weißen Haus ablehnt. Die politische Kunst mag völlig aus der Mode sein, Patti Smith empört sich trotzdem über die Verhältnisse und möchte diesen Präsidenten im November abgewählt haben. In ihrer 14 Minuten langen Wehklage für die zerstörte Kultur Mesopotamiens gewährt ihm Patti Smith sogar einen Vers: ¸¸And we mean nothing to you / Our children run through the streets / And you sent yours flames / Your shooting stars / Shock and awe / Shock and awe / Like some, some / Imagined warrior production / Twenty-first century / No chivalry involved / No Bushido".

Viel an diesem Friedensfeldzug klingt naiv, ein bisschen peinlich und ist außerdem auch noch politisch ohne Biermannschen Opportunismus. Deshalb hier die Warnung für den jungen Menschen: ¸¸Trampin"" ist nicht das beliebte MTV- & Viva-Gehektel, sondern richtige Musik. Oder wie Patti Smith es formuliert: ¸¸das weiße Rauschen der Sehnsucht". Wenn sie zur Revolution aufruft, mit strenger Berufung auf Gandhi und sein Spinnrad verlangt, dass man sich aus dem Schlummer erhebe, dann ist es wieder, als käme ihre göttliche Stimme aus einem italienischen Fernseher mit dem festen Versprechen, dass die Nacht den Liebenden gehöre. Patti Smith weiß, wovon sie singt, denn sie ist eine amerikanische Künstlerin und deshalb ohne Schuld.

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