100. Geburtstag von Patricia Highsmith:Im Untergrund wütet das Begehren

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Leidenschaftliche Eigenbrötlerin: Patricia Highsmith im Jahr 1987.

(Foto: MYCHELE DANIAU/AFP)

Temperierte Sprache, präzises Tempo, kühler Blick aus der Halbdistanz: Vor hundert Jahren wurde Patricia Highsmith geboren.

Von Maike Albath

Patricia Highsmith war eine leidenschaftliche Eigenbrötlerin. Mehr als alles andere liebte sie ihre Arbeit. Acht Seiten pro Tag tippte sie in ihre Schreibmaschine, das war ihr Standard. Die Anwesenheit anderer störe sie schlichtweg, erklärte sie 1978 in einem britischen Fernsehinterview. Fehle ihr denn nicht eine Familie, ein Ehepartner? "Ich möchte allein durch mein Haus streifen und Tagträumen nachhängen. Gespräche auf dem Niveau von 'Bist du hungrig?' mag ich nicht", erwiderte sie. "Nur wenn ich allein bin, lösen sich die Dinge", und meinte damit die Gestaltung einer Figur oder eines Plots.

Die Moderatorin Mavis Nicholson, ein Star der englischen Nachmittagsunterhaltung und Inbegriff des Konventionellen, hakt noch einmal nach. Ihr Zuhause sei ein Desaster gewesen, "a mess", gibt die Schriftstellerin dann zu, nur Streit, Trennungen und permanente Umzüge. Highsmith ist damals 57 Jahre alt, in Frankreich beheimatet, Verfasserin von sechzehn Romanen und etlichen Kurzgeschichten, in Europa eine arrivierte Autorin mit hohen Verkaufszahlen. Sie gilt als Meisterin des psychologischen Krimis.

Ihr Debüt "Zwei Fremde im Zug" von 1950 war von Hitchcock verfilmt worden, Alain Delon hatte später ihren populären Upperclass-Mörder Tom Ripley gespielt, und Wim Wenders war nach einem Drehbuch von Peter Handke mit "Der amerikanische Freund" eine weitere abgründige Ripley-Folge geglückt, in der Dennis Hopper und Bruno Ganz in Aktion traten.

Die junge Highsmith fertigte Listen ihrer Liebhaberinnen an

In der Fernsehsendung macht Patricia Highsmith einen unprätentiösen Eindruck; mit ihrem lila Rollkragenpullover, der schmalen Gestalt, ihrer leisen Stimme und den knappen Antworten wirkt sie so, als wolle sie nicht allzu viel Raum einnehmen. Dabei war die Schriftstellerin nicht immer so einzelgängerisch gewesen, sondern hatte als junge Frau in New York ein turbulentes Gesellschaftsleben geführt, als Comictexterin Geld verdient, erste Kurzgeschichten veröffentlicht und sich die Nächte mit viel Gin und Liebschaften um die Ohren geschlagen.

Von ihren Geliebten fertigte die faszinierend attraktive Highsmith Listen an, die Körperbau, Haarfarbe, berufliche Stellung und die Gründe für den Bruch verzeichneten, wozu "Zeitmangel", "Grausamkeit" oder "Langeweile" zählten. Es ging dabei um Frauen. Nach ihrem erfolgreichen Debüt und einem längeren Aufenthalt in Europa legte sie unter dem Pseudonym Claire Morgan 1952 die lesbische Liebesgeschichte "Salz und sein Preis" vor, die einen ganz anderen Charakter hat als ihre Thriller. Das Buch verkaufte sich über eine Million Mal. Erst 1990 sollte sie sich zu der Autorschaft bekennen.

Patricia Highsmith, die am 19. Januar 1921 in Texas geboren wurde, inszenierte ihr gesamtes Leben als ein Spiel von Zeigen und Verbergen. Die Mutter, eine ambitionierte Grafikerin, trank eine Flasche Terpentin, um sie abzutreiben und verließ Patricias Vater dann noch vor ihrer Geburt. Sie wuchs bei ihrer Großmutter auf und wurde als Sechsjährige in den mütterlichen Haushalt nach New York verfrachtet, wo sie mit ihrem Stiefvater Stanley Highsmith zurechtkommen musste, einem Mann, den sie vom ersten Moment an inbrünstig hasste.

Jahrelang quälte sie sich mit ihrem Debüt, schließlich war es makellos

Dass das Mädchen bald die populärwissenschaftliche Studie über notorische Diebe, Schizophrene und Pyromanen "The human mind" von Karl Menninger verschlang, hing zweifellos mit dem Wissen um die dunklen Seiten vermeintlich normaler Menschen zusammen. Spätestens während ihres Studiums am Barnard College wusste sie, was sie unbedingt wollte: Schriftstellerin werden. 1941 erschien dann ihre erste Kurzgeschichte in Harper's Bazaar.

Der Job im Comicstudio Sangor-Pines, durch den sie ein Gefühl für Zuspitzungen gewann, ging ihr leicht von der Hand und bot ein Auskommen. Sie hatte genug Energie für Manuskripte, Freundinnen, Trinkgelage. Einen Roman brach sie ab, mit einem zweiten quälte sie sich mehrere Jahre, bis sie den Stoff im Griff hatte und einen fast makellosen Erstling vorlegte: "Zwei Fremde im Zug".

Es geht um die Idee eines Doppelmordes "über Kreuz" mit perfekten Alibis, die der verwöhnte Trinker Charly Bruno seiner Reisebekanntschaft Guy Haines, einem ehezerrütteten Architekten, lallend vorträgt. Beklemmender als die Tat an sich ist die Beziehung der beiden Männer. Mit seiner selbstzerstörerischen Neigung lässt sich Guy von Charly immer stärker verwickeln, während sich Charly einem Machtrausch hingibt. "Die Gesetze der menschlichen Gesellschaft waren harmlos, verglichen mit denen des Gewissens", bemerkt Guy.

Das Tempo stimmt bei Highsmith immer, und im Untergrund wütet das Begehren

Tatsächlich durchleuchtet Highsmith, die eine große Dostojewski- und Kierkegaard-Leserin war, in jedem ihrer Romane die changierenden Abstufungen von Gut und Böse. Dabei schaut sie aus einer kühlen Halbdistanz auf ihre Figuren, ihre Sprache ist temperiert und präzise, der Wechsel von langsamen Szenen und rasanten Höhepunkten mit äußerster Ökonomie gestaltet, die Aufmerksamkeit für Details wie Schlangenledergürtel, Golfschläger oder Whiskeysorten groß.

Und im Untergrund wütet das Begehren. "Es fällt einem auf, dass das Sexleben alles bestimmt", hielt sie am 28. März 1948 nach einem Besuch in einer Schwulenbar fest. Wer keines hat, scheint Gewalt leichter abspalten zu können. Der praktisch keusche Tom Ripley, dessen fade Ehefrau eher schmückendes Beiwerk ist, erledigt Morde zwar ungern, aber effizient und spielt danach wieder Cembalo.

"Ich kann mir für die Phantasie nichts Stimulierendes und Beflügelnderes vorstellen als die Annahme, dass jeder, der einem auf dem Gehweg entgegenkommt, ein Sadist, ein Kleptomane oder sogar ein Mörder sein könnte", erklärte Highsmith kurz vor ihrem Tod einmal. Destruktivität hat bei ihr aber nichts Spektakuläres, sondern entwickelt sich beiläufig, was es umso ungeheuerlicher macht. Privat war sie eine Gefühlsextremistin, die sich mit ihrer Mutter und manchen Freundinnen furchtbare Schlachten lieferte.

Viel grausamer als Thriller fand Highsmith Kochbücher

Einen ihrer besten Romane schrieb sie, als sie gerade einer fatalen Dreiecksbeziehung entkommen war und Sehnsucht befriedigender fand als wirkliche Begegnungen: "Der süße Wahn" (1960). Tief enttäuscht von der Heirat seiner Ex-Freundin kauft der Ingenieur David unter einem erfundenen Namen ein Haus, in dem er seine Wochenenden verbringt und so tut, als könne die Geliebte jeden Moment zurückkehren. Ihm kommt dann eine andere Frau in die Quere, die Psychodynamik ist gestört und muss wieder austariert werden, und sei es um den Preis des Tötens.

Viel grausamer als Thriller fand Highsmith Kochbücher. Obwohl sie in ihrem Kühlschrank außer Hochprozentigem kaum etwas aufbewahrte, blätterte sie eines Abends Rezepte durch und stieß auf eines für Schildkrötenragout - etwas Schlimmeres habe sie kaum je gelesen. Eine schildkrötenkochende Mutter erlitt kurze Zeit später auf dem Papier ein grausames Schicksal.

Die Fiktion bot keinen Schutz vor den französischen Steuerbehörden, weshalb sie Anfang der 1980er-Jahre entnervt in die italienische Schweiz umzog. In Tegna ließ sie sich ein Haus bauen, das von der Straße aus einem Bunker ähnelte. Bis zu ihrem Tod 1995 hatte sie dort ihre Ruhe. Abgesehen von ihren Figuren, die tagtäglich an die Tür klopften.

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:Die Logik der Gewalt

Einige ihrer besten Storys schrieb Patricia Highsmith, als sie in New York lebte, Affären mit glamourösen Society-Damen hatte und ihre Homosexualität mit Psychoanalyse zu bekämpfen versuchte.

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