Süddeutsche Zeitung

Passau:Hüftsteifes Scheusal

Das Landestheater Niederbayern schaltet sich mit Mozarts "Don Giovanni" in die MeToo-Debatte ein und lässt viele Fragen offen

Von Rudolf Neumaier, Passau

Mozarts "Don Giovanni" hat in Passau einen neuen Untertitel bekommen. Die Oper aller Opern bekommt hier den Slogan "#neinheisstnein" verpasst. Nein heißt nein - das Landestheater Niederbayern schaltet sich aktiv in die MeToo-Debatte ein. Es entdeckt die Geschichte vom "dissoluto punito", vom bestraften Wüstling, der im Pfuhl seiner abscheulichen Verbrechen versinkt, als Stück der Stunde. Dabei war es das eigentlich schon immer: eine MeToo-Anklage. Ein Aufreger. Das Vertrackte daran ist der Humor, mit dem Mozart und sein Librettist Lorenzo da Ponte von sexueller Nötigung erzählen. Sie haben die Oper als "Dramma giocoso" bezeichnet. MeToo und Heiterkeit - wie geht das zusammen?

Die Briten Basil Coleman, Dirigent, und Ultz, Regisseur und Ausstatter, haben erst mal das Finale gestrichen, in dem Don Giovannis Verfolgerinnen ihren Triumph über den Schurken feiern und die Moral von der Geschicht' verkünden, wie es im 18. Jahrhundert zur Belehrung des Publikums üblich war. Die Oper endet also in d-Moll - mit dem Tod des Protagonisten. Genauso hat sie begonnen, sowohl musikalisch als auch auf der Bühne. Ultz hat in den anfänglichen Andante-Teil der Ouvertüre das Sterben Don Giovannis inszeniert. Der Todgeweihte greift sich zuckend an die Brust. Welch Pointe, der Herzensbrecher stirbt an Herzversagen. Alles was sich zwischen diesen beiden d-Moll-Akkorden, zwischen dem Anfang und dem Ende der Oper abspielt, also die komplette Handlung, ist eine Rückschau auf eine Auswahl übler Vergehen des Titel-Scheusals.

Den kursorischen Gesamtüberblick liefert sein Diener Leporello mit der Register-Arie, der zufolge Don Giovanni allein in Spanien mit 1003 Frauen geschlechtlich verkehrte. Hier fängt's an mit der heiklen Heiterkeit. Wenn man es genau nähme, wären bei dem Thema Überzeichnungen wie diese kaum noch zu dulden. In jeder Note müssten Empörung und Verachtung für einen notorischen Triebtäter mitschwingen. Vielleicht versehen mit einem Schuss Mitleid, wenn die Sexsucht krankhaft ist. Zur Anamnese trägt Don Giovanni das Bekenntnis bei, er brauche Sex nötiger als Luft zum Atmen.

Regisseur Ultz macht eine Mischung aus Abscheu und Verwunderung über männliche Abgründe sichtbar. Seine Donna Elvira sucht ein Frauenhaus auf, um mit Leidensgenossinnen die seelischen Grausamkeiten zu verarbeiten, die ihr widerfuhren. Sie weint bitterlich. Dem Bauchumfang nach ist sie im achten Monat schwanger. Von Giovanni. Aber dann kommt Mozart! Er hat dazu eine Musik geschrieben, die schonungslos mit den Augen zwinkert, eine Es-Dur-Arie. Zu seinen Lebzeiten waren sexuelle Übergriffe adeliger Herren lässliche Sünden von Lustmolchen. Diese Leichtigkeit konterkariert alle heutige Empörung. Sie sagt, nehmt euch alle nicht so ernst. Basil Coleman am Pult tut nichts, um die Arie künstlich mit Dramatik aufzupumpen. So wird die Edeldame Elvira als Drama Queen ausgestellt. Ultz, ein Meister des witzigen Details, hat ihr als Adels-Insignien silbern glänzende Birkenstock-Latschen angezogen. Ob das der "Nein heißt nein"-Bewegung dient? Immerhin zeigt Ultz mit den anderen Paaren, mit Donna Anna und Don Ottavio sowie mit Zerlina und Masetto, wie er sich die korrekte Anbahnung einer Beziehung vorstellt. Die Frau gibt den Takt vor.

Am Ende ist nicht ganz klar, ob das Stück zum Amüsieren oder zum Echauffieren gedacht ist. Das liegt wohl vor allem an Don Giovanni selbst, der von Kyung Chun Kim brachial gebrüllt, aber kaum gespielt wird. Die Betörungs-Canzonetta "Deh, vieni alla finestra" schmettert er, als hätten ihn Fafner und Fasolt aus Wagners Rheingold zum Wettstreit herausgefordert. Lautstärke war noch nie ein Beweis für Potenz. Das Scheusal ist so hüftsteif, dass dem Ensemble, das Basil Coleman mit Verve und hohem Tempo durch die Partitur treibt, das Spielen schwerfällt.

Wenn Katryn J. Brown als Donna Anna und ihr Ottavio Mark Watson Williams interagieren, wenn Emily Fultz als Zerlina ihren Masetto (Daniel Pannermayr) verzaubert, und vor allem wenn Elvira im Frauenhaus trauert, sind das sehr feine Opernmomente. Sabine Noack ist eine vortreffliche Elvira. Der vielseitige Peter Tilch macht das Drama als Leporello heiter. Das darf es auch sein.

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SZ vom 23.12.2019
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