Paris und Christo:Anfang und Ende

21.03.2020 bis 17.08.2020
Christo und Jeanne-Claude Projects 1963-2020
Sammlung Ingrid & Thomas Jochheim

So könnte es aussehen in Paris, in gut einem Jahr, wenn der Arc de Triomphe nach Christos Plänen verhüllt wird.

(Foto: André Grossmann)

Als bitterarmer Flüchtling knüpfte Christo 1958 seine ersten Kontakte zur Kunstszene in Paris. Hier entsteht auch posthum das letzte Werk.

Von Joseph Hanimann

Die Annäherung des gut zwanzigjährigen Künstlers aus Bulgarien an Paris dauerte auf Umwegen über Prag, Wien und Genf fast zwei Jahre. Als er im März 1958 dort eintraf, fand er aber die Vielfalt der Anregungen, die er brauchte. Die französische Hauptstadt lag damals am Pulsschlag der zeitgenössischen Kunst. Unter dem Namen École de Paris praktizierten Nicolas de Staël, Pierre Soulages, Hans Hartung den Malstil einer lyrisch in sich ruhenden Abstraktion. Um die Galerie René Drouin zeigten Roger Bissière, Georges Mathieu, Antonio Saura in Fortsetzung des Deutschen Wols eine Malerei der massiv durcheinanderwirbelnden Farbstriche, Felder und Punkte, für die der Kritiker Michel Seuphor die Bezeichnung "Tachismus" erfunden hatte.

Christo wollte sich keiner künstlerischen Bewegung anschließen

Im Action Painting von Jackson Pollock gab es dafür auch eine amerikanische Entsprechung. Unter dem Begriff "Neue Realisten" wiederum, eine Erfindung des Kritikers Pierre Restany von der Galerie J, verarbeiteten Künstler wie Arman, César, Jean Tinguely banale Alltagsobjekte zu Kunstobjekten. Christo nahm das alles aufmerksam wahr, wollte sich aber keiner Bewegung anschließen. Katalogisierung war nicht sein Ding.

In seinem engen Dienstmädchenzimmer nahe der Champs-Élysées malte er zwecks Lebensunterhalt Familienporträts für reiche Pariser, die er mit seinem zivilen Namen Christo Wladimirow Jawaschew signierte, und verpackte unter dem Künstlernamen "Christo" Flaschen, Dosen oder sonstige Alltagsdinge mit lackgetränkten Stoffen, die er dann mit Schnüren umwickelte. "Inventar" nannte er diese Objekte, die 1961 zum ersten Mal in Paris ausgestellt wurden. Als Student der Kunstakademie in Sofia hatte er gelernt, wie sehr der Faltenwurf von Kleidern und Vorhängen die Künstler seit der Antike faszinierte. Dieser materiellen Flächenbeschaffenheit, die den realen Gegenstand dahinter gleichsam ausklammert, ging er auch in der Werkserie "Surfaces d'empaquetage" nach, in der er mit Lack gestärkte Stoffteile auf einer Unterlage fixierte. Oder, angeregt von Jean Dubuffets massigen Bildern, schuf er die "Krater"-Serie, deren durchlöcherte, mit Sand, Farbe und Leim bearbeitete Metallflächen wie eine Mondlandschaft aussahen.

Die sechs Pariser Jahre von 1958 bis 1964 waren die Zeit von Christos künstlerischem Erwachen. Denn neben den Anregungen und der allmählichen Anerkennung brachten sie auch eine entscheidende Begegnung. Unter den von ihm porträtierten Familien befand sich die des französischen Armeegenerals Denat de Guillebon. Mit dessen Tochter, der am selben 13. Juni 1935 wie er selbst in Casablanca geborenen Jeanne-Claude, tat er sich zu einem unzertrennlichen Paar zusammen. Alle Arbeiten wurden fortan mit "Christo und Jeanne-Claude" signiert. Gemeinsames Aufsehen erregten die beiden zum ersten Mal mit der Aktion "Eiserner Vorhang", bei der sie in der Nacht des 27. Juni 1962 mit 89 übereinander gestapelten bunten Ölkanistern als Reaktion auf den Berliner Mauerbau die enge Rue Visconti absperrten, bevor die herbeigeeilte Polizei sie zur Entfernung der Installation aufforderte.

Mit Jeanne-Claude zusammen nahmen auch andere Vorhaben allmählich Gestalt an. Im kleinen Pariser Zimmer, das Christo weiterhin bewohnte, schweifte seine Fantasie ins Gigantische aus. Warum nicht auch große Objekte im Stadtraum einhüllen? Sein künstlerisches Werk habe mehr mit Architektur als mit Kunst zu tun, betonte er: Statt Produktionen einfach in den Raum zu stellen, wolle er mit dem Raum "dealen". Das führte auf den Weg der Langzeitplanung für seine Projekte. So spielte er, wie aus Fotomontagen und Collagen der Jahre 1962/63 zu ersehen ist, schon damals mit der Idee einer Verhüllung des Pariser Triumphbogen auf der Place de l'Étoile. Doch sollte das noch seine Zeit haben.

Zunächst begann er, in Eindhoven einen Baum, im Garten der Villa Borghese eine Statue einzuhüllen. Gleichzeitig experimentierte er in Paris weiter mit kleinformatigen Einhüllungen. Neben Textilstoffen benutzte er bald auch halbtransparente Plastikbahnen, vornehmlich für Lebendmodelle. Dabei ging es ihm weniger um das Spiel von Zeigen und Verbergen als um die ästhetischen Effekte. Überhaupt war er analytischen Deutungen seines Werks gegenüber ziemlich gleichgültig. Dass er bei einer Ausstellung in der New Yorker Galerie Sidney Janis 1961 dem New Realism Andy Warhols und Claes Oldenburgs zugeordnet wurde, ließ ihn kalt. Dem Einfluss Marcel Duchamps und seiner Ready Mades fühlte er sich fern und mit Konzeptkunst konnte er wenig anfangen. So hielt er sich auch nach dem Umzug 1964 in die neue Kunstmetropole New York dem Milieu eher fern und führte den Betrieb seiner Projekte als Einzelunternehmer, wenn auch mit großem Mitarbeiterteam.

Dabei blieb Paris für Christo ein Lieblingsort. Schon 1975 fasste er den Plan, den Pont-Neuf, die 1604 vollendete Seine-Brücke, die schon von Turner, Renoir, Brassaï, Pissaro, Picasso gemalt oder fotografiert wurde, zu verpacken. Mit dem Amtsantritt des Staatspräsidenten François Mitterrand 1981 und seines rührigen Kulturministers Jack Lang wurde das Abenteuer möglich. Im Herbst 1985 prangte das Monument zwei Wochen lang in seiner zartgelben Polyester-Prachthülle und Wolfgang Volz, Christos langjähriger Projektfotograf, hat das Ereignis ebenso prachtvoll dokumentiert. Jack Lang gibt auch an, auf Bitte des Künstlers als Vermittler bei dem zunächst skeptischen Helmut Kohl für die Verhüllung des Berliner Reichstags 1995 tätig geworden zu sein.

Paris fiebert der Erinnerung an "Arc de Triomphe. Wrapped" entgegen - im Jahr 2021

Das andere Pariser Bauwerk, das Christo schon in seinen jungen Jahren verhüllen wollte, dürfte nun posthum Teil seines Werks werden. Die Verpackung des Arc de Triomphe mit 25 000 Quadratmeter silberblauem Polypropylen und 7 Kilometer roter Schnur war für September 2020 geplant. Sie sollte die Ausstellung im Centre Pompidou unter dem Titel "Christo und Jeanne-Claude: Paris!" begleiten, deren Eröffnung im März wegen der Coronapandemie abgesagt werden musste und die nun am 1. Juli eröffnet wird. Das Triumphbogen-Projekt ist auf den Frühherbst 2021 verschoben. Vergänglichkeit steht in Christos Kunst in reizvollem Kontrast zur Gigantik des Aufwands. Seine Werke sollten im kollektiven Gedächtnis überdauern, fand er. So fiebert Paris der Erinnerung an "L'Arc de Triomphe, Wrapped" entgegen.

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