Streit über Notre-Dame:Mon dieu!

Interior view of the historic Cathedral. Notre Dame

Die Vorgaben sind streng: Die Kathedrale müsse ein Ort für Liturgie und Gebet bleiben, gleichzeitig aber auch für Besucher - 2018 waren es zwölf Millionen - besser gerüstet sein.

(Foto: Keith Mayhew/SOPA Images/LightRocket/Getty)

Historisch oder modernisiert? In Paris streiten sie über die Innenausstattung von Notre-Dame.

Von Joseph Hanimann

Die Kontroversen um die Restaurierung der Pariser Kathedrale Notre-Dame nach dem Brand folgen aufeinander wie die Gerüste für die unterschiedlichen Bauphasen. Erst beschäftigte der Streit über den Wiederaufbau die Gemüter: Soll die Kathedrale originalgetreu rekonstruiert werden oder mit zeitgenössischen Elementen? Man einigte sich schnell auf die historische Variante, samt Dachstuhl aus Eiche. Und auch Viollet-le-Ducs abgestürzter Vierungsturm aus dem 19. Jahrhundert soll so wiederaufgebaut werden, wie er vor dem Brand 2019 aussah. Seit diesem Sommer ist die Konsolidierung des beschädigten Gebäudes abgeschlossen, Notre-Dame ruht wieder fest auf seinen Fundamenten.

Doch nun geht es an die Details der Innengestaltung. An diesem Donnerstag muss die Diözese ihre Pläne der staatlichen Kommission für Architektur und Denkmalpflege vorstellen. Und wieder gibt es Streit.

Es begann bereits vor einem Jahr, als Indiskretionen aus innerkirchlichen Überlegungen an die Öffentlichkeit sickerten. Der in diesen Tagen - aus anderen Gründen - gerade von seinem Amt zurückgetretene Pariser Erzbischof Michel Aupetit hatte gleich nach dem Brand seinen Generalvikar Benoist de Sinety mit der Vertretung der kirchlichen Position gegenüber dem Staat betraut. Die Kathedrale müsse ein Ort für Liturgie und Gebet bleiben, gleichzeitig aber auch für Besucher - 2018 waren es zwölf Millionen - besser gerüstet sein, hieß die Vorgabe. Beraten wurde der Kreis um de Sinety vom Architekten Jean-Marie Duthilleul, der zwar vor allem durch seine vorzüglichen Pariser Bahnhofsumbauten bekannt wurde, aber 2005 in Paris auch eine Kirche entwarf.

"Kommt so nicht in Frage!", entfuhr es der Kulturministerin

Kirchenintern wurde diskutiert über Dinge wie einen neuen Haupteingang durchs Hauptportal, einen Umlauf für Besucher ums Hauptschiff, eine Beseitigung der Beichtstühle, das Auswechseln der Strohstühle durch mobile Bänke mit integrierten Lämpchen und Lautsprechern, eine neue Ausleuchtung der Gewölbe und das Einsetzen zeitgenössischer Fenster anstelle der motivlosen "Grauglasfenster" aus dem 19. Jahrhundert in den Seitenkapellen. Notre-Dame werde innen bald wie eine Landebahn aussehen, empörten sich Viollet-le-Duc-Verehrer, Denkmalfetischisten mit Kurzzeitgedächtnis und katholische Traditionalisten. Die Kirche stand plötzlich als Modernisierungsbanause da. Selbst die Kulturministerin reagierte spontan auf die Gerüchte mit einem scharfen "Kommt so nicht in Frage".

Beim Projekt, das am Donnerstag der Kommission vorgelegt wird, hört man, sollen die zeitgenössischen Fenster anstelle der "Grisaille"-Fenster verschwunden sein. Auch auf eine helle Gewölbeausleuchtung wird offenbar verzichtet. Lichtprojektionen auf einzelne Wandstellen mit ausgesuchten Bibelsprüchen sind aber weiterhin im Gespräch. Man vermittle den Glauben heute nicht mehr mit Darstellungen aus dem 19. Jahrhundert und mit Beichtstühlen, in denen keiner mehr kniet, verteidigt sich Generalvikar de Sinety, der sein Amt ebenfalls aufgegeben hat.

Jean-Louis Georgelin, der Chef des "Etablissement Public" für die Instandsetzung von Notre-Dame, hält derweil unbeirrbar an seinem Vorhaben fest, die Kathedrale im Jahr 2024 wiedereröffnen zu können. Die Tabula rasa des modernistischen Neumachens, die manche befürchten, wird es in dem Gotteshaus nicht geben. Einen Raum, der sich durch Umverteilung von Eingang, Taufstein oder Gestühl zur neuen Begehung und Deutung darbietet, gemäß einer Geschichte, die weiter als bis ins 19. Jahrhundert zurückreicht, aber womöglich schon.

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