Michel Würthle: "Paris Bar Press Confidential":Eine Welt für sich

Michel Würthle: "Paris Bar Press Confidential": Während die Pandemie allzu intime Bar-Momente verbietet, gibt es die Paris Bar jetzt auch als Bildband.

Während die Pandemie allzu intime Bar-Momente verbietet, gibt es die Paris Bar jetzt auch als Bildband.

(Foto: Michel Würthle/Steidl)

Was in der Paris Bar passiert, bleibt in der Paris Bar oder zumindest in diesem roten Schuber: Michel Würthle vertraut das Innenleben seines berühmten Lokals sechs Bildbänden an.

Von Johanna-Charlotte Horst

Eine gute Bar ist wie eine Höhle. Intim, aber nicht unangenehm gemütlich. Öffentlich, aber nicht anonym. Unelegante Banalitäten sind samt schlechten Manieren abzulegen. Erst einmal. Später braucht man sie eventuell noch. Der Hut, den man als würdiger Bar-Gast zu tragen nicht ablehnt, darf dagegen auf dem Kopf bleiben. Die Bar ist eine Welt für sich. So viel sollte gleich klar sein. Das Draußen wird etwa im Münchner Schumanns mit dunkelrauchigen Holzjalousien abgewehrt. In Berlin hat man einfach Bilder an die Scheiben geklebt. Das zieht die Blicke erst recht an. Nur die sehr unwissenden Passanten wollen nicht sehen, was so los ist in der Paris Bar.

Es ist schön in dieser Bar, der man es nicht wirklich abnimmt, dass sie lieber in Paris wäre. Kunst gibt es auch hier en masse. Der kluge Wirt, Michel Würthle, lässt sich nämlich gern mit Bildern bezahlen. Wenn einer seiner hochkarätigen Gäste - hochkarätig heißt Künstler - gerade nicht liquide ist, dann schafft er rasch ein Kunstwerkchen für die Bar-Höhle. Derartig pekuniäre Unpässlichkeiten kommen zum Glück immer wieder vor. Der Bar-Raum ist dementsprechend vom Boden bis zur Decke mit Bildern ausgekleidet. Petersburger Hängung. Man spürt sofort, dass hier keine schicke Kunst eingekauft wurde, um die meist nur halb so schicken Kunden zu beeindrucken. Die Sammlung des Herrn Würthle hat eine Geschichte oder besser: viele Geschichten. Und was Geschichte hat, ist ja oft eleganter als Neugekauftes.

In der Paris Bar tummeln sich aber nicht nur tolle Gäste, die erstaunliche Kunst aus dem Hut zaubern. Der Wirt selbst ist Künstler. Er hat für sein Etablissement eine Fantasiewelt entworfen. So leuchtet einem von der Hausfassade die Adresse "152 rue Kant" entgegen. Kurz wähnt man sich in der französischen Hauptstadt, doch all die Funktionsjacken holen einen rasch in die Wirklichkeit zurück. Berlin, auch gut.

Michel Würthle: "Paris Bar Press Confidential": Michel Würthle: Paris Bar Press Confidential. Steidl, Göttingen 2021. 6 Bände im Schuber. 792 Seiten, 75 Euro.

Michel Würthle: Paris Bar Press Confidential. Steidl, Göttingen 2021. 6 Bände im Schuber. 792 Seiten, 75 Euro.

Dass der Gastgeber sich nicht Michael sondern Michel à la Michel Piccoli rufen lässt, ist schon leichter einzuordnen. So macht man das in der old fashioned Bar-Welt. Spricht man im Schumanns doch auch nicht von Karl Georg, sondern freut sich, wenn Charles die Hand zur Begrüßung küsst. Soweit es der gute oder doch zumindest der beste unter den schlechten Geschmäckern zulässt, spielen hier alle gern ein wenig Theater.

Das Bar-Leben ist nicht unbeschädigt aus den Pandemie-Jahren hervorgegangen. Vor allem für die Bar-Frauen und -Männer ist der Alltag aus den Fugen geraten. Würthle hat die nicht willkommene Freizeit zum Zeichnen genutzt und mal eben eine fünfbändige Sammlung an Impressionen aus seinem Leben beziehungsweise aus der Welt der Paris Bar erschaffen. Er sagt, er habe sich damit ein Späßchen erlaubt. Beruhigend, dass ein Mann von Welt auch in Zeiten pandemischer Verzweiflung seinen Humor nicht verliert.

Die im Steidl-Verlag erschienenen knallroten Bände möchten Ersatz für all die verlorenen Bar-Nächte bieten. Zum Glück wurde dem Ganzen kein Vor- oder Nachwort zugefügt. Was sollte da schon erklärt werden? Wer es nicht aus Prä-Pandemie-Zeiten erinnert, dem wird man in der jetzigen Lage kaum begreiflich machen können, was es heißt, Obdach in einer Bar zu finden. Stattdessen kündigen die Buchdeckel lapidar an, was man zwischen ihnen findet: Speisekarten in Schönschrift, Zeichnungen mit Esprit, überraschende Collagen, verschmitzte Anekdoten, hollywoodeske Filmstills. Es handelt sich zugleich um ein Journal, ein Tagebuch sowie um ein Livre d'or, ein Buch der Gäste.

Michel Würthle: "Paris Bar Press Confidential": Diese lässige Selbstverständlichkeit erlaubt keine Kritik: Impressionen aus der Bar und dem Leben des Wirts Michel Würthle.

Diese lässige Selbstverständlichkeit erlaubt keine Kritik: Impressionen aus der Bar und dem Leben des Wirts Michel Würthle.

(Foto: Michel Würthle/Steidl)

Vor allem aber ist es ein Bilderbuch über eine Bilderbuch-Bar. Je nach Expertise begreift man mehr oder weniger, was sich da Seite für Seite entfaltet. Unübersehbar ist, dass hier vieles zu verstehen ist, das aber nicht jeder verstehen kann und soll. Auf dem Cover steht entsprechend: "Confidential". Was in der Paris Bar passiert, bleibt in der Paris Bar oder zumindest in dem roten Schuber, der die fünf Bände vor unaufmerksamen Blicken schützt. So präsentiert sich eine geschlossene Gesellschaft, die mit der großen weiten Welt kokettiert. Kokettieren heißt ja weiß Gott nicht, es ernst zu meinen. Deshalb sind Würthles wunderbare Kritzeleien letztendlich eine Art Familienalbum.

Derartig intime Bilder-Potpourris findet man gegenwärtig vor allem auf Instagram. Was sich in Würthles Corona-Tagebuch versammelt, ist natürlich viel schöner und lässiger. Da sieht man James-Bond-artige Männer- wie Frauenkörper. Sie posieren nicht nur mit heimatlichen Cosmopolitans in der Hand, sondern segeln auch in den Kykladen oder picknicken in der Toskana. Kurz fragt man sich, ob das nicht alles doch zu doll und herrlich ist, ob da vielleicht irgendetwas nicht stimmen könnte. Aber da muss sich die Leserin zur Vernunft rufen. Diese lässige Selbstverständlichkeit erlaubt keine Kritik. Die kann man ein anderes Mal anderen zukommen lassen.

In "Krisenzeiten und bedrohlich steigenden Fieberkurven bei sinkenden Umsätzen bis hin zur ruinösen Zero", wie der Autor die Lage beschreibt, kann einem schließlich nichts Besseres passieren, als in solch eine sexy libertäre Welt einzutauchen. Wer sich hier nicht von der Sehnsucht nach Jetset und Kettenrauchen packen lässt, dem kann zumindest der Wirt Würthle nicht weiterhelfen.

Die Botschaft? Vielleicht: "Wo auch immer wir sind, die Paris Bar ist bei uns!" Im Laufe der Bände beziehungsweise bei fortschreitender Corona-Krise verliert das Journal an Form. Kaum noch tauchen datierte Speisekarten auf, immer mehr wird aus dem Fundus alter Fotos und Bilder geschöpft. Nackte Intimitäten stoßen auf ganz große Kunstwerke, stoßen auf Schnappschüsse. Mit dem Wirt und seinen Lieblingsgästen liest und schaut man sich in einen Bilderrausch hinein. Für Zeiten, in denen die Türen in der Rue Kant geschlossen bleiben müssen, ist das kein schlechter Trost.

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