Süddeutsche Zeitung

Bilderbuch:Eva zählt die Sterne

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Rotraut Susanne Berner malt zu der Paradiesgeschichte von Jürg Schubiger wunderschöne Bilder .

Von Marlene Zoehrer

Die Frage nach dem Anfang der Welt zieht sich wie ein roter Faden durch das Werk Jürg Schubigers. Im Nachlass des 2014 verstorbenen Autors fand sich die Schöpfungsgeschichte, die nun mit Bildern von Rotraut Susanne Berner als Bilderbuch erscheint und die sich, wie vieles in Schubigers Werk, an Erwachsene und Kinder richtet und zum gemeinsamen Sprechen und Philosophieren einlädt: Gewohnt präzise setzt Schubiger jedes Wort und lässt staunen ob der Deutungsmöglichkeiten, die sich hinter dem sprachlich reduzierten, im besten Sinn einfachen Text öffnen. Scharfsinnig spiegelt Berner eben diese Vielfalt und zeigt ein Paradies, in dem naturwissenschaftliche und religiöse Vorstellungen symbiotisch verschmelzen. Dies gelingt nicht zuletzt, da die Bilder Ort und Zeit in ein kreatives Spannungsverhältnis setzen. Während der Handlungsort in den Bildern immer gleich bleibt, vergeht die Zeit wie im Flug, werden Jahrmillionen im Umblättern zurückgelegt. Die zeitliche Dimension, die Berner an Flora und Fauna zeigt, umreißt die erdgeschichtliche Entwicklung vom weltumspannenden Urozean, über die Dinosaurier im Erdmittelalter bis hin zu den uns heute vertrauten Haus-, Nutz- und Wildtieren. Und doch scheint das Gespräch zwischen Adam und Eva, von dem Schubiger erzählt, nur einen kurzen Moment zu dauern.

Was wäre der Mensch ohne Wünsche und Träume?

Alles beginnt, als Mann und Frau eines Nachts im Paradies auf einem Polster aus Moos liegen und in den Sternenhimmel schauen. "Unzählige sind es," ruft Adam beim Anblick der Sterne. "Ich könnte sie schon zählen", lautet Evas Antwort. Es entspinnt sich eine Diskussion über Möglichkeiten und Unmöglichkeit, über die Ewigkeit, die Eva kurzerhand verdoppelt und halbiert, und das, was man zum Leben braucht. "Was willst du mehr?", brüllt Adam Eva an. "Ich will nicht mehr, ich will weniger. Uns bleibt ja hier nichts zu wünschen übrig." Ihre Antwort ist ebenso überraschend wie einleuchtend. Was wäre der Mensch ohne Wünsche und Träume? Wäre er glücklich? Es sind - neben dem paradiesisch zärtlichen Ende der Geschichte und der grandiosen bildlichen Interpretation von Rotraut Susanne Berner - existentielle Fragen wie diese, die dieses Bilderbuch so besonders und vielfältig machen. (ab 4 Jahre und für alle) Marlene Zoehrer

Jürg Schubiger und Rotraut Susanne Berner: Eines Nachts im Paradies. Peter Hammer Verlag 2022. 24 Seiten, 18 Euro.

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