Süddeutsche Zeitung

"Pandemic Legacy":Spannender als jede Fernsehserie

Vergessen Sie "Breaking Bad" und "Homeland". Das Brettspiel "Pandemic Legacy" macht Serien-Sucht interaktiv - und braucht eine Spoilerwarnung.

Von Daniel Wüllner

Chicago ist komplett zerstört. Die Bevölkerung hat die Stadt längst verlassen. Auch wir wollen dorthin nicht mehr zurück. Die mutierte Seuche breitet sich immer schneller aus. Wenn wir nicht bald ein Heilmittel finden, ist Amerika verloren. Dann ist die ganze Welt verloren.

Die Welt retten? Keine leichte Aufgabe. In dem Brettspiel "Pandemic Legacy" müssen zwei bis vier Spieler gemeinsam Krankheiten behandeln, Heilmittel erforschen und weitere Ausbrüche verhindern. Und das alles in einer begrenzten Anzahl von Zügen.

Doch das Spiel ist viel mehr als nur eine kooperative Denksportaufgabe. Durch sein innovatives Konzept entwickelt sich beim Spielen eine Handlung wie bei einer Fernsehserie. Jeder Fortschritt, aber auch jeder Rückschlag, bleibt präsent: Auf dem Spielbrett platzierte Aufkleber erinnern an wichtige Ereignisse.

Katastrophen hinterlassen ihre Spuren auf dem Brett

Chicago wird auch in der zweiten Partie verwüstet bleiben. Mutet ein Spieler seiner Sanitäter-Spielfigur zu viel zu, riskiert diese eine Narbe - und muss auch in allen folgenden Spielen mit den negativen Auswirkungen dieser Verletzung leben.

Jedes einzelne Spiel ist anders. Die Problemstellung wird zwar wiederholt: Rettet die Welt! Aber die Rahmenbedingungen ändern sich in jeder neuen Partie. Und damit auch die Spielziele. So als tauchte in einer Partie "Monopoly" plötzlich zwischen der Parkstraße und der Schlossallee eine dritte dunkelblaue Straße auf, die es mit Häusern zuzupflastern gälte.

"Pandemic Legacy" macht süchtig. Wie bei einer TV-Serie folgen Spieler dem ausgeklügelten Spannungsbogen und wollen unbedingt wissen, wie es in der nächsten Partie weitergeht. Die beginnt mit einer Einsatzbesprechung: In der wird die Rahmenhandlung durch die Karten vom vorsortierten Legacy-Stapel erzählt. Erst wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind (eine Seuche ist ausgerottet oder die dritte Partie endet), darf die nächste STOP-Karte vorgelesen werden.

Der Reiz von "Pandemic Legacy" bestehen sowohl in der Fortsetzung als auch in der konstanten Veränderung. Beide haben ihren Ursprung in den Geheimdokumenten, die dem Spiel beiliegen. Nach jeder Mission öffnen sich neue Türchen dieses besonderen Adventskalenders. Dahinter befinden sich neue Gebäude, neue spielbare Charaktere, neue Seuchen und sogar gänzlich neue Spielregeln, die direkt ins Regelheft eingeklebt werden.

In diesem Brettspiel gibt es kein Zurück. Aufkleber bleiben permanent auf dem Brett und Entscheidungen können nicht revidiert werden. Um das deutlich zu machen, fordern andere Kartentexte den Spieler auf, Karten kurzerhand zu zerreißen.

Durch die Interaktionsmöglichkeiten übertrifft das Brettspiel sogar Serien wie "Breaking Bad" oder "Homeland": Die Spieler beeinflussen durch ihre Entscheidungen die Erzählung, machen sie zu ihrer eigenen. Retten sie Europa, Asien oder einen anderen Kontinent ihrer Wahl?

Bereits nach wenigen Partien erzählt jedes Brett eine ganz andere Geschichte. Während eine Spielergruppe verbissen um Chicago kämpft, liegt der Krisenherd bei der anderen in Asien. Jede Gruppe begegnet den Herausforderungen auf unterschiedliche Weise: Soll eine feste Forschungsstation im Kalkutta gebaut werden oder eine Spielfigur besser eine besondere Eigenschaft erhalten? Um Chicago zu kontrollieren, könnte die Stadt zum Beispiel ... Aber nein, diese Option steht erst nach einer der nächsten Partien zur Verfügung. Ob Spiel-Entscheidungen richtig waren, zeigt sich erst im weiteren Verlauf.

Die neue Nummer 1 der Brettspielszene

Die Patienten Null dieser Seuche sind die Spieleautoren Matt Leacock und Rob Daviau. Während Leacock bereits 2008 "Pandemie" als kooperatives Brettspiel vorstellte, entwickelte Daviau für den Spieleverlag Hasbro den Klassiker "Risiko" weiter. Er erfand das Legacy-Konzept (engl. Vermächtnis). Mit einem einzigen Anruf infizierte er Leacock mit der Idee, "Pandemie" mit seinem Fortsetzungsprinzip zu kreuzen. Und es hat sich ausgezahlt: Im Oktober 2015 erschien "Pandemic Legacy" und führt seit Anfang des Jahres die Boardgamegeek-Rangliste der beliebtesten Brettspiele an.

Wenn Brettspiele eine Seuche sind, dann ist "Pandemic Legacy" die gefährlichste Mutation.

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