Süddeutsche Zeitung

Pakistan:"Der Fiktion gehört die Zukunft"

Mohammed Hanif schreibt über seine Heimat Pakistan, auch in seinem Roman "Rote Vögel". Das bedeutet: über Krieg, Macht und Heuchelei. Aber warum ist sein Buch dann so lustig?

Von Tobias Matern

Pakistanische Generäle lesen keine Romane, das spielt ihm in die Hände. So kann Mohammed Hanif sie kritisieren, ihre Bigotterie verspotten. In den Zeitungen kann er das nicht mehr. Da werden kritische Stücke über das Militär zensiert oder solche, die gegen eines der anderen Denkverbote in Pakistan verstoßen. "Der Fiktion gehört die Zukunft", sagt Hanif. Er lacht, aber nur kurz.

Man trifft Mohammed Hanif in Berlin, dort stellt er sein neues Buch "Rote Vögel" vor. "Rote Vögel" ist so etwas wie das "Catch 22" des 21. Jahrhunderts, eine Satire über moderne Kriege, die an Hanifs früheren Roman "Eine Kiste explodierender Mangos" heranreicht, einen Bestseller. Er zeichnete ein Bild von Pakistan, das ein Reporter nicht liefern kann, weil die Mächtigen bestimmen, was im Dunkeln bleibt. Wer sich auf seine neue Geschichte einlässt, findet ebenfalls ein Mosaik verwirrter Seelen. Einzig der Krieg verbindet sie.

Mohammed Hanifs Kunst liegt darin, dass er beide versteht: Die Mächtigen und die Machtlosen. Das hat mit seiner Biografie zu tun. Er kommt aus Okara, einem Dorf gut 100 Kilometer von der pakistanischen Großstadt Lahore entfernt und ist in einer Familie aufgewachsen, in der Bildung keinen Wert hatte. Sein Vater sah das erste Mal eine Schule von innen, als Mohammed in der achten Klasse eine Auszeichnung bekam. Eine Kindheit geprägt von Vieh und Ackerland, ein Leben wie es Millionen Pakistaner führen. Dann, mit 17 Jahren, der Eintritt in eine neue Welt: Hanif ließ sich zum Kampfpiloten ausbilden. Eine Zeitungsannonce hatte ihn an "Top Gun" erinnert. Doch statt des erhofften Glamours erlebte er Langeweile: "Ich habe das ein paar Jahre lang überlebt und dann den Dienst quittiert."

Geblieben ist davon eine Art angewiderte Faszination für das Militär, seine technischen Geräte, den Apparat. Diese Elemente finden sich auch in seinen Büchern. Aber ebenfalls geblieben ist der Blick für die Nöte der Menschen. "Im Herzen bin ich der Kleinbauer von früher. Auch wenn ich die sozialen Normen der Großstadt übernommen habe, gibt es Tage, an denen ich mich als Außenseiter fühle."

Schon der Einsatz für religiöse Minderheiten kann in Pakistan Leben kosten

Aber im muslimischen Pakistan werden die Räume für die intellektuelle Klasse, die das Militär herausfordern kann, kleiner. In der Amtssprache Urdu ist "Eine Kiste explodierender Mangos" elf Jahren nach der Veröffentlichung noch nicht erschienen. Ein Verleger habe nach langem Überlegen davon abgesehen, weil er auch mit der Armee Geschäfte macht. Dabei sei er, Hanif, sogar bereit gewesen, einige Passagen zu überarbeiten: "Das ist wohl die schlimmste Form von Zensur, wenn man selbst herausfinden soll, was andere möglicherweise beleidigen könnte."

Auch vor den islamistischen Hardlinern nimmt er sich mehr in Acht, denn sie "liegen auf der Lauer". Schon der Einsatz für religiöse Minderheiten kann in Pakistan Leben kosten. Ein Minister wurde ermordet, weil er sich für die Christin Asia Bibi stark gemacht hatte, ein Gouverneur, weil er sich gegen die Blasphemiegesetze aussprach. Es trifft auch Menschen, die Hanif nahestanden: die Menschenrechtlerin Sabeen Mahmud wurde nach einer Veranstaltung erschossen, bei der auch Hanif hätte sprechen sollen. "So ein Mord passiert, und man entscheidet danach, dass man den Mund hält", sagt er, "aber man weiß nicht, was das bringen soll. Sicherheit? Dieses Wort hat keine Bedeutung."

Der Journalist und Schriftsteller Hanif schreibt daher fast nur noch für amerikanische Zeitungen, berichtet für die BBC aus Karatschi. In pakistanischen Medien veröffentlicht er selten, was ihn zu dem Schluss bringt, dass entweder etwas mit ihm oder seiner Heimat nicht stimmt. Sein Vorteil liegt darin, dass er mühelos vom Journalismus zur Fiktion wechseln kann. Und gerade seine fiktiven Texte beschreiben die Realität in einem schwer begreiflichen Land wie Pakistan oft wahrhaftiger und besser als ein Reporter. In seinen Büchern kann er mehr von seinem schwarzen Humor, dem wachen politischen Geist, seiner Fähigkeit zur Empathie zeigen.

In "Eine Kiste explodierender Mangos" persifliert Hanif die Herrschaft des Diktators Zia ul-Haq, aber nicht nur das: Er seziert einen zentralen Moment in der Geschichte des Landes so eindringlich, dass es als historisches Lehrmaterial taugt: den bis heute nicht aufgeklärten Absturz der Maschine, in der neben dem Machthaber auch der US-Botschafter saß. Ein Komplott? Ein technischer Defekt? Raketenbeschuss? Niemand weiß es. Hanifs Botschaft: Auch eine Kiste voller Mangos an Bord hätte den Absturz auslösen können. Das Volk wird so oft für dumm verkauft, dass diese Version so glaubhaft wäre wie jedes andere Märchen der Machthaber.

Das Militär bestimmt die Geschichte des Landes seit dem Abzug der britischen Kolonialmacht und der Trennung von Indien vor gut 70 Jahren. Entweder regieren die Generäle Pakistan offen oder ziehen im Hintergrund die Fäden. Sie geben sich als Hüter der muslimischen Nation, missbrauchen das Feindbild vom hinduistisch geprägten Nachbarn Indien, um Macht zu legitimieren. "Kasernenhofdemokratie" hat ein Wissenschaftler dieses System genannt: Die Armee hält sich eine Regierung, die mal mehr, mal weniger bestimmt, aber nie ganz.

Der Kampfpilot zoomt ran, bis er erkennt, was da unten im Topf köchelt

Diese Armee hat es geschafft, gleichzeitig Feind und Freund des Westens zu sein. Unterstützt Pakistans Militär die Taliban in Afghanistan oder bemüht es sich um den Frieden? Beides? Keines von beidem? Und ist das einerlei, seit auch die Amerikaner mit den Taliban Frieden schließen wollen? Mit diesen Widersprüchen und mit den Kriegen, die seit dem 11. September geführt werden, beschäftigt sich Hanif in "Rote Vögel". Er ist zu clever, sich an Washingtons offensichtlichen Fehlschlägen abzureagieren. Ihm geht es nicht um die billige Kritik an einer rücksichtslosen Supermacht, sondern um die Individuen, die das Treiben der Mächtigen ausbaden müssen, auf beiden Seiten. Das ist beispielsweise der Amerikaner Ellie, ein Offizier mittleren Ranges bei der Luftwaffe, der seine Missionen so erklärt: "Aus ethischen Gründen sagen wir nicht Haus, sondern Objekt, auch wenn wir so nah ranzoomen können, dass wir erkennen, was da im Topf köchelt. Aber keine noch so scharfe Nahaufnahme verrät, ob die Menschen da unten über den Lammbraten diskutieren oder die Vernichtung der westlichen Zivilisation planen."

Ellie ist ein Mann der alten Schule, die modernen Drohnenfortbildungen sind an ihm vorbeigegangen. Er ist aus der Zeit gefallen, seine Bomben wirft er nach dem Prinzip ab, dort zu sein, wo Krieg herrscht und nicht am Joystick in einer Tausende Kilometer entfernten Kommandozentrale. Wo Ellie genau seine Einätze fliegt, spielt keine Rolle. Mossul oder Kabul, nach so vielen Einsätzen einerlei. Die Städte haben Namen, die "ich selbst im Jenseits noch falsch aussprechen werde, wenn man mich dort danach fragt". Eines Tages, das ist klassischer Hanif-Humor, stürzt Ellie ab und landet ausgerechnet in dem Camp, das er dem Erdboden gleich machen sollte.

Dort lebt Mother Dear, sie könnte Pakistanerin sein, Libyerin oder Syrerin. Hanif lässt das offen. Fest steht: Sie vermisst einen ihrer Söhne. Nun haben ihr die westlichen Bombenwerfer als Teil einer perfekten Kriegsmaschinerie nach der Zerstörung eine NGO-Frau fürs Seelenheil auf den Hals gejagt: "Erst bombardieren sie unser Haus, dann nehmen sie mir meinen Sohn, und jetzt kommen Sie, damit wir uns wieder okay fühlen", fasst sie zusammen. Ihr verbliebener Sohn hegt für diese amerikanische NGO-Göttin erotische Gefühle, tut aber alles, um nicht darüber reden zu müssen. Alle spielen ihre Rolle, bis der Vorhang fällt und anderswo das Theater von vorne beginnt.

"Immer wieder gibt es beim Schreiben diese Blitze, dann kommt ganz viel Dunkelheit."

Selbst die Bösen sind nicht nur böse, Kampfpilot Ellie gesteht fast beiläufig, warum er nicht so gern zuhause bei seiner Frau sitzt: "Ich kann ihr nicht sagen, dass es mir viel leichter fällt, aus vierzigtausend Fuß Höhe Bomben abzuwerfen, als am Wochenende einen ruhigen Nachmittag unter ihrem wachsamen Blick zu verbringen und Fragen wie diese zu beantworten: ,Stimmt was nicht? Du wirkst heute so abwesend'."

Hanif will seine Leser zum Lachen bringen, das ist unübersehbar. Denn anders ist die Absurdität nicht auszuhalten. Von außen betrachtet sind seine Figuren vom Krieg verstört, aber ihr Innenleben ist stimmig und geschlossen. Sie reden selten miteinander, das Meiste findet in den Köpfen statt. Er erklärt das damit, dass die Geschichte und ihre Figuren auf seinen eigenen Stimmen im Kopf basieren. Er habe "Rote Vögel" begonnen, ohne einen festen Plot und sich treiben lassen. Auch deshalb hat er für das 320- Seiten-Buch sieben Jahre gebraucht. "Immer wieder gibt es beim Schreiben diese Blitze, dann kommt wieder ganz viel Dunkelheit. Aber allein von der Tatsache, dass man diesen Blitz gesehen hat, kann ich monatelang zehren. Ansonsten ist das Schreiben ein sehr schmerzhafter, einsamer Vorgang", sagt er.

Schon in seiner Schulzeit hat Hanif Pakistan im Kriegszustand erlebt, dazu kamen Dauerkonflikte im Nachbarland Afghanistan und um Kaschmir. "Jetzt werden diese Kriege reproduziert in Jemen, Irak, Libyen", sagt er. Und so spielen in seinem Roman nicht nur die Orte, sondern auch die Zeit keine Rolle mehr. Irgendwo in der Wüste passiert das alles, weil Kriege eben in jeder gottverdammten Wüste stattfinden können. Der Krieg in Endlosschleife ist im Buch auch ein Geschäftsmodell, er nährt Waffenhersteller und Fabrikarbeiter gleichermaßen. Und die Opfer? Auch sie entwickeln eine ausgebuffte Geschäftstätigkeit und eine beeindruckende Resilienz.

Und weil das in der Realität dann doch wahnsinnig viel Kraft kostet, müsste man "in Pakistan das Trinkwasser eigentlich wie selbstverständlich mit Antidepressiva versehen, damit die Leute nicht den Verstand verlieren", sagt der Autor. So hat es mal ein Psychologe gesagt. Er kann dem Gedanken viel abgewinnen.

Mohammed Hanif: Rote Vögel. Roman. Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 2019. 320 Seiten, 22 Euro.

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SZ vom 17.04.2019
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