Süddeutsche Zeitung

Neues Album von Ozzy Osbourne:Weit hinter dem Wahnsinn

  • Der Heavy-Metal-Großmaniker Ozzy Osbourne hat ein neues, sehr alterswürdiges Solo-Album veröffentlicht.
  • Auf "Ordinary Man" erlebt man in Reinkultur, was die Karriere des Sängers seit jeher am Leben hält: eine fast schon kindliche Naivität, ein Staunen über die Welt.
  • Den Rest besorgen Gastmusiker wie Slash, Chad Smith, Duff McKagan oder Tom Morello.

Von Jakob Biazza

Niedlich sieht er aus. Bunte, Liberace-opulente Ringe an den Fingern, die Augen waschbärdick mit Kajal umrandet und ein weit aufgerissenes Lachen im Gesicht. Insgesamt ein bisschen wie eine Siebenjährige, die Muttis Schmuck- und Schminkschatullen geplündert hat und jetzt verzückt betrachtet, welcher Schabernack sich damit treiben lässt. Das ist eine gute Nachricht. Ozzy Osbourne ist endgültig in die Phase des großen, kindlichen Staunens alter Männer eingetreten. Wurde auch Zeit.

Was man hinter den ganzen sagenhaften Geschichten um diesen quartalsmäßigen Schwerstsäufer und Großmaniker schließlich leicht vergisst: Osbourne lebte selbst im schlimmsten Delirium noch von einer fast welpenhaften Nahbarkeit. Klar: Er war der Typ, der den Heavy Metal mitbegründete, als er sich Anfang der Siebziger mit den Kollegen von Black Sabbath die ganze tiefschwarze Wut über die Heimat Birmingham, über den Dreck, die Armut und die Hoffnungslosigkeit von der rußigen Seele brüllte - düster, bösartig, jederzeit bereit, einen Hippie zu schächten. Aber da war auch immer eine pennälerhafte Unmittelbarkeit, wie sie nur wenige in diesem Rock'n'Roll-Zirkus hatten. Anders hätte er das alles wohl auch nicht überlebt - auch kommerziell nicht.

"Ich möchte nicht als gewöhnlicher Typ sterben"

Ozzy Osbourne wird ja auch deshalb so geliebt, weil er irgendwo, weit hinter dem Wahnsinn immer auch verwundbar wirkte. Menschlich. Fast normal. "Die Wahrheit ist: Ich möchte nicht als gewöhnlicher Typ sterben", heißt es im Titelsong seines neuen Albums "Ordinary Man". Nette Ballade. Die zwei Hardcore-Drogis Elton John und Ozzy Osbourne berichten da vom Rand des Exzesses, an dem sie nach Bedeutung und Größe gesucht haben. Heldengeschichten für Rock-Fibeln und Junggesellenabschiede. Und darin doch auch grober Unfug.

Spätestens zu Hause sind sie dann ja doch alle gleich klein, wenn der Wasserhahn leckt oder der Fernseher keinen Empfang hat. Bei Ozzy konnte man das aus der Nähe miterleben, als der Sender MTV ihn (und irgendwie auch er sich selbst) der Lächerlichkeit einer Reality-Show preisgab. Er tatterte darin durch sein Haus und kämpfte mit den täglichen Gemeinheiten des Lebens: komplizierten Fernbedienungen, aufmüpfigen Hunden, Kindern. Grauenhaft. Aber es war eben auch seine gutmütige Naivität, die ihn da einigermaßen unbeschadet durchbrachte. Heute ist MTV tot. Und Osbourne am Leben. So viel zur kosmischen Gerechtigkeit.

Kräfte schonen, lauern, staunen

Und jetzt noch ein neues Solo-Album. Wobei es so formuliert womöglich richtiger ist: Jetzt ein neues Hard-Rock-Album, auf dem Ozzy Osbourne singt. Schwer zu sagen, wie groß sein Einfluss ansonsten war. Er ist nach allem, was man so hört, ja schon länger nicht bei bester Gesundheit. Und er war auch in fitteren Tagen nicht als detailversessener Arrangeur bekannt.

Auf "Ordinary Man" ist da jedenfalls ein Sänger, der im besseren Sinne Kräfte schont. Der eher listig beobachtet, wartet, lauert: Wo habe ich überhaupt was zu sagen? Und wo lassen die Anderen mir genug Platz? Und dann, wenn er den Platz gefunden hat, schießt er seltsame kleine Bonmots raus, von denen "I'll make you scream, I'll make you defecate" ("Straight to Hell") eines der Befremdlicheren ist.

Nur, wo es unbedingt nötig ist, wagt er ein paar getragene Refrain-Zeilen darüber, dass die Sonne schwarz und der Himmel rot ist, und seine ja seit jeher etwas zum Kikeriki neigende Stimme hustet dabei an den Rändern der Sätze hoffnungsvoll dem Ende entgegen. Der Rest ist großäugiges Bewundern dessen, was die Leute um ihn herum so machen.

Überall Gitarren und ein letztes possierliches Auflehnen gegen die Bürgerlichkeit

Was die Leute machen - Duff McKagan zum Beispiel oder dessen Guns n' Roses-Kollege Slash, der Red-Hot-Chili-Peppers-Drummer Chad Smith oder Tom Morello von Rage Against the Machine - ist, nun: schon oft etwas zu große Rock-Oper. Aber darin auch ein enormer Spaß. Es sind aufgeplusterte, alte Riffrock-Songs, die sie spielen, mit den Produktionsmöglichkeiten von heute. Das geht ja selten gut und hier heißt es, dass man permanent gegen eine gigantische Wand oder auch mal ein Bergmassiv aus Gitarren rennt. Überall Gitarren. Quasi alle im Klang zu Raupenpanzern hochkomprimiert und in wirklich jeder Beziehung absolut humorlos.

Aber zwischendrin lugt immer wieder dieser Ozzy Osbourne hervor und erfreut sich am Spektakel. Guckt, staunt, befindet alles für laut genug und tritt wieder ab. Das ist sehr alterswürdig.

Zumal auf der Rückseite des Albums noch ein Foto ist: Osbourne von hinten, die Hände am Hosenstall. Er pinkelt also wohl gleich in die Rabatten vor einem Haus, und man kann jetzt nur mutmaßen, aber es ist: wahrscheinlich sein eigenes. Es könnte ein letztes possierliches Auflehnen gegen die Bürgerlichkeit sein. Sozusagen.

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SZ vom 20.02.2020/sikt
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