Ukrainisches Tagebuch (XII):Humor im Luftschutzkeller

Ukrainisches Tagebuch (XII): Ihre eigene Katze ist kulinarisch weniger verwöhnt: Oxana Matiychuk.

Ihre eigene Katze ist kulinarisch weniger verwöhnt: Oxana Matiychuk.

(Foto: Universität Augsburg/Imago/Bearbeitung:SZ)

Welche Witze erzählen sich die Menschen in der Ukraine, wenn Bombenalarm herrscht? Das Tagebuch aus der Ukraine.

Gastbeitrag von Oxana Matiychuk

Eine der Mails am Morgen den 15. März hat den Betreff "Bedarf Schilddrüsenmedikament", es geht um L-Thyroxin für eine geflüchtete Krebspatientin, in den Apotheken ist es nicht mehr zu bekommen. In den Apotheken ist zurzeit vieles nicht zu bekommen, selbst ein einfaches fiebersenkendes Mittel gab es vorgestern nicht, und meiner Nichte, die ein Antibiotikum für ihre Tochter kaufte, sagte die Apothekerin: "Sie haben Glück, es sind nur noch zwei Packungen da, mehr werden wir von diesem Hersteller nicht bekommen, weil das Pharmaunternehmen bei Kiew zerbombt ist."

Zwei Stunden später schickt mir meine Schwester die gleiche Frage, vielleicht stammt sie sogar von derselben Person, weil beide Anfragen aus dem universitären Kreis kommen. L-Thyroxin ist lebensnotwendig und muss regelmäßig eingenommen werden, lerne ich. Und dann geschieht eine glückliche Fügung, wie wir sie in extremen Zeiten manches Mal erleben dürfen: Aus dem Universitätsklinikum Halle startet nachmittags ein Transport mit vielen Medikamenten nach Tscherniwzi, diese Hilfe kommt dank den Kontakten von S. zustande, als er nach dem Medikament fragt, wird der Lkw gerade beladen, und zehn Minuten später wird uns mitgeteilt, dass auch L-Thyroxin vorrätig ist und mehrere Tausend Dosen mitgegeben werden.

Diese Woche soll wieder mit dem Online-Unterricht begonnen werden. Um 11.30 starte ich das Zoom-Meeting, es ist eine kleine Gruppe, drei der fünf Studierenden sind zugeschaltet. Neun Minuten später ist Luftalarm. Bis später also. Meine Kolleginnen, Kollegen und ich gehen erst einmal in den Keller, zwei "Diensthabende" müssen aber im Flur vor der "Dienststelle" bleiben, um bei der Entwarnung die Nachricht telefonisch weiterzugeben. Die Sirene hört man in der alten Residenz nicht, das Signal kommt übers Internet. Wenige Minuten kehren wir drei aus dem Keller zurück, erstens ist dort kein Netz, zweitens finden wir es schöner, wenn wir alle beisammensitzen.

Hoffentlich muss das Neugeborene seine ersten Lebenstage nicht hier unten verbringen

Im dunklen Flur sind wir nun zu fünft, drei Frauen, zwei Männer. Wir lesen Nachrichten, chatten und unterhalten uns, jeder hat ein paar Witze parat, es entstehen täglich Dutzende, ein zu der Situation passender stammt angeblich aus Lwiw: "Seit einer Stunde schon verflixter Luftalarm; wird die Bombe denn auf 'nem Fahrrad gefahren oder was?" Meine Kolleginnen I. und K. sind junge Frauen, die sich für vieles engagieren. I. ist im normalen Leben eigentlich noch Studentin, ihr Englisch ist exzellent, und sie führt eine kleine Sprachschule. Jetzt hilft sie den Geflüchteten, auch in ihrem Haus sind mehrere Personen aufgenommen, einige gingen weiter ins Ausland, nach Feierabend geht sie manchmal noch Tarnnetze flechten. K. ist rumänischstämmig und für die Kommunikation mit rumänischen Partnerhochschulen verantwortlich. Jetzt fährt sie jedes Mal an den ukrainisch-rumänischen Grenzübergang, wenn Hilfstransporte für uns aus Rumänien kommen, um mitzuhelfen, sprachlich, aber auch tatkräftig. Ihr Mann ist bei der Polizei und muss jederzeit auch mit einem Einsatz in den weniger ruhigen Regionen rechnen. Kurz nach 13 Uhr ist Entwarnung. Wir gehen wieder an unsere Arbeitsplätze. Die Unterrichtszeit ist inzwischen vorbei.

Während ich am Abend in der Küche koche, kommt meine Nichte von nebenan vorbei. Sie hat eine Bierflasche bei uns deponiert und möchte diese nun abholen, für K. Seit gestern ist übrigens der Verkauf von Bier und Spirituosen mit niedrigem Alkoholgehalt wieder erlaubt. Ich staune ein wenig, ausgerechnet für K., die in zwei Wochen entbinden wird? Meine Nichte sagt, K. ist ziemlich aufgelöst, das Dorf ihrer Eltern in der Nähe von Mykolajiw steht seit zwei Tagen unter Dauerbeschuss, die Eltern harrten in ihrem kleinen Keller aus, haben nichts gegessen und nur wenig Flüssigkeit zu sich genommen, damit sie nicht auf die Toilette müssen. Wahrscheinlich erzählen sie ihrer Tochter auch nicht alles. Nun ist es ihnen gelungen mit dem Auto rauszufahren, nach Mykolajiw zu Verwandten, ob es mitten in der Stadt sicherer sein wird, bleibt fragwürdig. Ich denke dabei, dass das Baby von K. seine ersten Lebenstage hier hoffentlich nicht im Keller verbringen muss. Später frage ich meinen Gast M., ob wir nicht das Herausklettern durch das Kellerfenster üben wollen, unser Keller hat nämlich nur einen Eingang.

Wir kommen aber noch nicht dazu, M. ist inzwischen auch gut beschäftigt, er hilft, das deutschsprachige Text- und Audiomaterial für die Militärgebietsverwaltung Tscherniwzi zu übersetzen. Unser Gouverneur mit seinem fließenden Deutsch ist ein gefragter Gesprächspartner bei den deutschsprachigen Medien, die Publikationen und Aufnahmen sollen wenigstens auszugsweise ins Ukrainische übersetzt werden, die Kollegen haben zu wenig Kapazitäten. M. macht das schnell und gut. Die (in dieser Zeit aber nur relativ) schlechte Nachricht erreicht mich am nächsten Tag im Büro: Der Kollege O. hat einen positiven Corona-Test. So was Unpassendes, denke ich, Corona in der Kriegszeit. Unserem Team wird er sehr fehlen. Aber O. ist geimpft und geboostert, hoffen wir also auf einen milden Verlauf und dass O. bald wieder in unsere Reihen zurückkehrt.

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