Süddeutsche Zeitung

Outlaw-Country-Star Sturgill Simpson:Flucht vor den falschen Fans

Lesezeit: 3 min

Das grandiose neue Album "Sound & Fury" des Grammy-Gewinners und Country-Außenseiters Sturgill Simpson.

Von Jan Kedves

Wenn Musiker nach einem großen Erfolg, wie einem gefeierten Album oder einer Grammy-Auszeichnung, genervt sind von den Erwartungen, die sich nun anknüpfen, was machen sie dann? Sie lassen ein "Ihr könnt mich alle mal!"-Album folgen. Damit verprellt man vielleicht Fans, aber dafür ist dann die künstlerische Integrität bewahrt. Meistens geht das aber schief. Nicht bei Sturgill Simpson.

Der 41-jährige Sänger aus Jackson, Kentucky, gewann vor zwei Jahren den Grammy in der Kategorie "Best Country Album", für seine dritte LP "A Sailor's Guide To Earth". Simpson hatte darauf die Wild-West-Flexionen seiner Stimme wie auf den Präsentierteller gelegt. Sie waren weit vor die gezupfte Akustische und das Geschliddere auf der Steelgitarre gemischt. Das Album verkaufte sich in den USA über 200 000 Mal, Simpson ging ausgedehnt auf Tournee. Im Jahr 2019 ist Country nun so angesagt wie schon lange nicht mehr: Der 20-jährige Rapper Lil Nas X aus Atlanta stand gerade mit seinem Country-Trap-Hit "Old Town Road" 19 Wochen lang auf Platz 1 der Billboard-Pop-Charts, ein neuer Rekord. Und auch sonst hat Country-inspirierte Musik derzeit gute Hit-Chancen, man denke an "Nothing Breaks Like A Heart" von Mark Ronson und Miley Cyrus. Und Simpson? Hat erst mal keine Lust mehr auf Country. Stattdessen gibt es auf "Sound & Fury", dem neuen, sehr, sehr guten Album des Sängers, eine wild-fackelnde, rotzig-röhrende Mischung aus synthetischem Dance-Rock à la ZZ Top, übersteuerten Glam-Momenten und Powergitarren-Flanger-Soli zu hören.

Da ist die Turbo-Disco-Single "Sing Along". In ihr ist fast kein Wort zu verstehen, als würde man hinter einem Drag-Race-Car herfahren, das jede Menge Staub aufwirbelt, und wer singt? Der Fahrer vorne. Als Inspiration könnt man sogar den "Monstertruckdriver" des Berliner Technoanarchisten T.Raumschmiere heraushören. Da ist der Dream-Pop-Song "All Said And Done", der klingt, als sei er im edelholzverkleideten Atlas-Studio des geschmeidigen Pariser Herrenduos Air produziert worden. Und sollte Kraftwerk-Chef Ralf Hütter immer noch Lust auf Gerichtstermine haben, könnte er eventuell per Anwalt auf die Feststellung einer gewissen melodischen Ähnlichkeit zwischen "Mercury In Retrograde" und dem Kraftwerk-Klassiker "Autobahn" drängen (gegen Ende der zweiten Minute). Alles dies nur um zu sagen: Klassische Country-Musik ist "Sound & Fury" nicht mehr.

Aber was ist das Album dann? Die mitreißende Selbstbefreiung eines Musikers, dem es zu wenig ist, auf ein einzelnes Genre festgelegt zu werden. Vielleicht ist "Sound & Fury" aber auch ein Kommentar zur Zeit, von einem Musiker, der mit seinem Land hadert. Denn was ist Country-Musik? Tendenziell: der Sound des weißen, konservativen Amerikas. Der Sound des weißen, rassistischen Amerikas? Oder neuerdings auch - siehe Lil Nas X und Miley Cyrus - wieder der Sound eines coolen Amerikas, das nicht nur den Immigrantenhassern, Homophoben und Rassisten überlassen werden soll?

Es ist ein Kommentar zur Zeit, von einem Musiker, der mit seinem Land hadert

Sturgill Simpson scheint jedenfalls einer zu sein, der für die sozialpolitischen Obertöne von Musik sensibilisiert ist. In einem aktuellen Porträt in der New York Times steht, er habe 2017, als er bei den Grammys nicht nur für das "Best Country Album" nominiert war, sondern auch für das "Album Of The Year", fest vorgehabt, die Trophäe kommentarlos an Beyoncé weiterzureichen - sollte er gewinnen. Mit dieser Geste hätte er gesagt: Leute, es geht einfach nicht, dass ihr hier die wichtigste Popkünstlerin der Gegenwart leer ausgehen lasst, eine Frau, deren "Lemonade"-Album in Zeiten von Trump so vielen schwarzen Menschen, insbesondere Frauen, Kraft gibt! (Die Gewinnerin war dann Adele, die sich offenbar auch nicht ganz berechtigt fühlte und in ihrer Rede Beyoncé unter Tränen ihre Ergebenheit gestand.)

Jedenfalls: Wenn es so etwas gibt wie das Album eines Country-Musikers, der gerade auf der Flucht vor den falschen Fans ist und der deswegen vorerst keine Country-Musik mehr spielt, dann ist "Sound & Fury" genau dieses Album. Der Song "Last Man Standing" ist vor Fett und Schweiß triefender, theatralischer Meat-Loaf-Rock. Simpson fragt sich, ob er schon Teil der Lösung oder noch Teil des Problems ist. "I'm gonna ride off into the sunset / While it all burns to hell behind me", mit anderen Worten: Amerika in seiner aktuellen Form muss erst einmal niederbrennen? Versteht man ihn da falsch?

Die Frage wird nun auch sein, wie weit Simpson damit in den Charts kommt, und vor allem: in welche Charts er kommt. Als "Old Town Road" von Lil Nas X vor einigen Monaten aus den Billboard-Country-Charts ausgeschlossen wurde mit der Begründung, der Song sei "nicht Country genug", gab es großen Streit um die rassistischen Doppelstandards in der Country-Welt. Lil Nas X ist schwarz. Sollte nun ein Weißer, der keine Country-Musik mehr spielt, trotzdem noch in die Country-Charts eingemeindet werden? Dann hätte Sturgill Simpson genau diese Doppelstandards enttarnt. Ein Album als Systemtest - Chapeau!

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Quelle:
SZ vom 01.10.2019
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