"Der Tod in ihren Händen" von Ottessa Moshfegh:Wo das Böse wohnt

Ottessa Moshfegh

Expertin für isolierte, die Grenze zum Irrewerden riskant abschreitende Frauengestalten: Ottessa Moshfegh.

(Foto: Jake Belcher)

Einige allzu gefällige dramaturgische Kniffe, aber eine eindrucksvoll abgründige Hauptfigur: Ottessa Moshfeghs neuer Roman "Der Tod in ihren Händen".

Von Hilmar Klute

Wer ihre Bücher kennt, schätzt Ottessa Moshfegh als Expertin für isolierte, die Grenze zum Irrewerden riskant abschreitende Frauenfiguren. Weil die 1981 geborene amerikanische Schriftstellerin zugleich als belesene Schriftstellerin mit einer stattlichen literarischen Referenzliste gilt, schreibt man ihr zu, eine Art weibliches Gegenpersonal zu den großen, an der gesellschaftlichen Konvention ihrer Zeit zugrunde gehenden Frauengestalten des Realismus bei Flaubert, Dostojewski und Hamsun aufgestellt zu haben.

Aber wie auch immer. Ottessa Moshfegh hat jedenfalls ein Faible für die frei drehende Fantasie von Frauen, denen es aus verschiedenen Gründen nicht gut geht. Eileen aus dem gleichnamigen Roman von 2016 ist eine magersüchtige Trinkerin, die sich viel darauf einbildet, alles und jeden zu hassen. Und die Ich-Erzählerin aus "Mein Jahr der Ruhe und Entspannung" geht in einem von ihrer Ärztin medikamentös ermöglichten "Winterschlaf" auf eine albtraumhafte Reise durch ihr Inneres.

Die verstörende Verschiebung von Wirklichkeit und verlässlicher Wahrnehmung in ein düsteres Geflecht aus Erinnerung und Wahn nimmt Moshfegh auch in ihrem neuen, jetzt auf Deutsch erschienenen Roman "Der Tod in ihren Händen" vor. Nur ist die Heldin dieses Buchs keine neurotische New Yorker Jungintellektuelle, sondern die 72 Jahre alte Professorenwitwe Vesta Guhl, die nach dem Tod ihres Mannes Walter in eine alte Hütte in irgendeinem gottverlassenen Ostküsten-Kaff namens Levant zieht, das in der Nähe von Monlith liegt, wohingegen sie ihr bisheriges Leben in Bethsemane verbracht hat.

"Sie hieß Magda. Niemand wird je erfahren, wer sie ermordet hat. Ich war es nicht. Hier ist ihre Leiche."

Die Wahl der sprechenden Namen weist schon recht hübsch auf die stets gegenwärtige Bedeutungsschwangerschaft von Zeichen, Zufällen und Namen in dieser Erzählung hin. Bei einem Waldspaziergang findet Vesta einen Zettel, dessen knapper Wortlaut den Motivkern der Geschichte bildet: "Sie hieß Magda. Niemand wird je erfahren, wer sie ermordet hat. Ich war es nicht. Hier ist ihre Leiche." Eine Leiche gibt es nicht, aber in diese Leerstelle hinein fantasiert Vesta eine Mordgeschichte mit Figuren, an deren Existenz sie mehr und mehr zu glauben scheint.

Und der Leser steht vor der Herausforderung, der rührenden alten einsamen Dame Glauben schenken zu sollen, zumal da Vesta zunächst als rüstige Frau auftritt, die sich nach dem Tod ihres, so scheint es zunächst, sehr geliebten Mannes einen Hund namens Charlie und anschließend für einen Spottpreis die alte Hütte im Wald gekauft hat, um dort ein selbstbestimmtes und originelles zweites Leben zu beginnen.

"Der Tod in ihren Händen" von Ottessa Moshfegh: Ottessa Moshfegh: Der Tod in ihren Händen. Roman. Aus dem Englischen von Anke Caroline Burger. Hanser Berlin, 2021. 256 Seiten, 22 Euro.

Ottessa Moshfegh: Der Tod in ihren Händen. Roman. Aus dem Englischen von Anke Caroline Burger. Hanser Berlin, 2021. 256 Seiten, 22 Euro.

Aber schon sehr schnell, für die Dramaturgie vielleicht ein bisschen zu schnell, raut der Firnis auf, und aus der Aneignung des Briefes resultiert die obsessive Aneignung einer Geschichte, die ihre Figuren aus der unmittelbaren Umgebung des Dorfes bezieht. Im Internet, wo sie sich nebenbei einen Tarnanzug bestellt, gibt Vesta den Namen Magda ein, "aber die letzte verstorbene Magda, die ich finden konnte war Magda Goebbels". Da hätte jetzt noch was kommen können, es bleibt aber bei der folgenlosen Pointe.

Stattdessen findet Vesta eine Anleitung zum Krimischreiben, damit schiebt Moshfegh ihrem Roman einen zweiten Boden ein, und die Rätselei geht jetzt richtig los: Was ist nun die Fantasie der einsamen Frau, wo beginnt die legitime, nach praktischer Anleitung stattfindende Fiktionalisierung des eh schon vagen Realitätskerns? Und gibt es in dieser, dem wenig zuverlässigen Erzählerinnen-Ich überantworteten Geschichte, überhaupt eine verlässliche Grundwahrheit?

Den Autor des unheimlichen Briefes nennt sie Blake, später fallen ihr die Gedichte des Spätromantikers William Blake in die Hände. Eine Zeile aus einem Gedicht von Yeats kommt ihr in den Sinn ("Die blutgetrübte Flut"), sie wird aber in nichts Weiterführendes verwandelt. Ein Buch über den Tod kommt hinzu, und über allem nicht benennbar Bedrohlichen wacht eine Instanz namens Ghod, die wie der Gott der Pantheisten überall sein Wesen treiben kann.

Diese allmähliche, geschickt kalkulierte Drehung in Wahn und Hass

Vesta fürchtet den Übergriff Ghods auf ihre Seele so sehr, dass sie vor Angst das "h" in ihrem Namen um einen Buchstaben nach vorne schiebt und sich Vesta Ghul nennt. Die philosophischen Anleihen kommen aus der im Lauf der Geschichte immer trüber werdenden Erinnerung an Walter, der Epistemologe war, also ein Erkenntnistheoretiker, dessen Wissenschaft als lächerlich abzuqualifizieren Vesta sich als späten Protest gegen den Verstorbenen herausnimmt. Die Urne ihres toten Mannes will Vesta im See nahe dem Haus beisetzen, aber je wilder ihr Zorn auf Walter wird, desto bizarrer geraten ihre Wünsche, die Überreste des letzten Endes doch verhassten Mannes im tiefsten Dreck zu verscharren.

Die allmähliche, geschickt kalkulierte Drehung in Wahn und Hass hat Moshfegh von Patricia Highsmith gelernt, die allerdings ökonomischer und subtiler mit ihren Mitteln verfährt. Was nicht heißen soll, dass Otessa Moshfeghs Geschichte ohne Spannung ist. Die immer wieder neu aufgeklappten Luken ins Innere der Hauptfigur, ihre Verwandlung von der unternehmungslustigen alten Dame in eine durch Wut und Enttäuschung über Versäumnisse und Entsagungen wunderlich gewordene Alte, machen den Roman zu einer gut geölten Maschine.

Aber das Ernüchternde an dieser mit den Tricks und Täuschungen des Psychokrimis in Gang gehaltenen Geschichte ist, dass alles, was man sich über den Fortgang der Ereignisse denkt, inklusive der Eintrübung der anfänglich als freundlich eingeführten Charaktere, so oder so ähnlich eintrifft. Natürlich entpuppt sich etwa Walter, der selbstgefällige Wissenschaftler aus Deutschland, als gefühlskalter Egomane, der lieber seinen Studentinnen hinterhergestiegen ist, als seiner Frau Respekt zu zollen.

Trotz solcher allzu gefälliger dramaturgischer Mittel gelingen Ottessa Moshfegh in diesem von Anke Caroline Burger mit sicherem Gespür für die feinen Wechselfälle des Erzähltons übersetzten Roman aber auch zwei fabelhafte Kunststücke: zum einen eine Figur, die sich in der Rückschau auf ihr eigenes Leben hin zu einem anderen, vermutlich ihrem wahren, von Demütigungen vergifteten Charakter entwickelt. Das Böse, das in den Wäldern rund um Levant zu lauern scheint oder in einer abstrusen, vermutlich gar nicht existenten Mordgeschichte liegen soll, dieses Böse hat seine Heimstatt allein in Vesta Guhl selbst. In ihr selbst wohnt die Gewalt, die sie woanders vermutet, und am Ende wird sie sogar selbst zur Täterin, wenn auch in überschaubarer Größenordnung.

Zum anderen ist "Der Tod in ihren Händen" eine raffinierte, kluge Parabel auf die ohnehin absurde Klügelei, was in einem Roman wirklich sei und was nicht. Die Antwort lautet natürlich: Nichts ist wirklich, denn die Literatur handelt ausschließlich mit Fiktionen, also mit Modellen der Wirklichkeit. Das wissenschaftliche Hauptwerk, das ihr der miese - oder vielleicht zu Unrecht disqualifizierte? - Walter hinterlassen hatte, hieß "Der Trost des Phänomenalismus". Wenn Vesta etwas daraus gezogen hat, dann die Erkenntnis, dass ihr Geist "die ganze Realität um mich herum erst einmal schaffen musste". Damit ist die Arbeit der Schriftstellerin beschrieben, und spätestens wenn Vesta zu ihrem Hund Charlie den Satz sagt "Ich bin eine Dichterin", dann ahnt man, dass dieser Satz eine der wenigen Beobachtungen Vestas Guhls spiegelt, denen man getrost Glauben schenken darf.

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