Süddeutsche Zeitung

Ostdeutschland:Besorgter Bürger

Frank Richter hat sich einst Respekt erworben dafür, Pegida-Anhänger in Dresden zum Dialog bewegt zu haben. Nun hat der Theologe eine seltsame Streitschrift vorgelegt. "Hört endlich zu" irritiert vor allem mit ihrer Wortwahl. Sein Ziel dürfte er so nicht erreichen.

Von Robert Probst

Ein kluger Mann, der sich viele Verdienste um die politische Kommunikation erworben hat, geht im September 2017 auf eine Wahlkampfveranstaltung. Zu sehen bekommt er eine "müde und traurig wirkenden Frau". Er erlebt eine "Antiwahlkampf-Wahlkampfrede" und am Ende "fühlte ich mich intellektuell beleidigt". Das alles ist nur als Exkurs geschildert in Frank Richters Streitschrift "Hört endlich zu". Aber er setzt einen Ton in dem kleinen Büchlein, der doch sehr verwundert. Womöglich liegt die Darbietung dieser Merkel-Episode auch daran, dass Richter einen Monat zuvor aus der CDU ausgetreten war - unter anderem wegen des Mangels an offener Streitkultur. Doch Enttäuschung allein reicht hierfür als Erklärung nicht.

Der Autor hat ein Gespür für die ostdeutsche Seele, doch die Wortwahl irritiert

Der Theologe Richter hat sich bundesweit Respekt erworben, als er in der Hochphase von Pegida auf Dialog setzte und als Direktor der sächsischen Landeszentrale für Politische Bildung Menschen mit einander in Kontakt brachte, die sich eigentlich nichts zu sagen hatten. Richter hat recht, wenn er moniert, dass politische Ferndiagnosen aus Berlin ("Schande für Deutschland", "Pack", "Hass in den Herzen") das Problem nicht lösen werden, das offensichtlich besteht. Richter hat auch ein gutes Gespür für die ostdeutsche Seele und die Wunden, die nun Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung offenbar werden. Als Gründer der "Gruppe der 20" in Dresden während der friedlichen Revolution hätte er natürlich lieber eine umfassende und nachhaltige Demokratisierung der Gesellschaft der DDR aus sich heraus präferiert. Doch anstatt das genauer zu analysieren, kommen Sätze wie diese: "Wie eine Furie zog der Neoliberalismus übers Land und hinterließ eine Schneise geistiger Verwüstung." Spätestens hier wird es problematisch, weil die Wortwahl - er schreibt auch mehrmals "Anschluss", wenn er den Beitritt der ehemaligen DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes meint - doch in eine Richtung weist, die die im Munde führen, die man ja eigentlich (zurück)gewinnen will für die demokratische Teilhabgesellschaft.

Das Hauptproblem an dem Buch aber ist, dass Richter gar nicht genau sagt, wer eigentlich wem zuhören soll. Die Problembeschreibung ist dergestalt, dass sie in einigen Teilen auch Anhänger der sogenannten nationalen Opposition goutieren würden. Mehrfach ist vom "Staatsversagen" die Rede. Parteien wirken auf den Autoren wie "ein Kartell der politischen Meinungs- und Willensbildung". Die Menschen, um die es geht, werden einmal "besorgte Bürger" genannt. Nur am Rande ist noch die Rede von Pegida, die AfD kommt selten vor.

Richters Rezept? Eine Diskussion über eine neue gesamtdeutsche Verfassung regt er an. Und dass blockierte Prozesse allseitig akzeptierte Moderatoren brauchen. Frank Richter wird da womöglich nicht mehr dazugehören.

Frank Richter: Hört endlich zu! Weil Demokratie Auseinandersetzung bedeutet. Ullstein Berlin, 2018. 96 Seiten, 10 Euro. E-Book 9,99 Euro.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3902199
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 13.03.2018
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.