Ostdeutschland als Kunstwerk:DDR: Dusch Dich Richtig

Ostdeutschland zum Anfassen mit MäcGeiz, Kegelbahn und Solarium: Der Schweizer Künstler Christoph Büchel stellt in Kassel seine Version der Wiedervereinigungsgeschichte aus.

Till Briegleb

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Hausmeisterwohnung Büchel, dpa

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Bei MäcGeiz im Fridericianum Kassel sondiert ein Punker-Pärchen mit T-Shirts der Pogo-Partei das Angebot. "Schau mal", ruft sie begeistert aus, "hier gibt es Pitti Katzenmilch!" Aber der Punkergatte mit dem tätowierten Christenkreuz auf dem Oberarm ist anderer Meinung: "Schokolade würde viel mehr rocken als Gummibärchen", murmelt er vor sich hin.

Ein Stockwerk darüber spricht ein Vertreter der NPD zu feindlich gesinnten Zuhörern über seinen Kummer, dass niemand mit ihnen diskutieren möchte, und erklärt schließlich: "Die multikulturelle Gesellschaft ist ein Massengrab", wofür er sich den Spottgesang anhören muss: "Du siehst nicht arisch aus."

Man mag sich fragen: Wo bin ich hier zu Besuch? Markenstolze Anarchisten sowie Volksideologen, die sich freiwillig verspotten lassen? Ja, ist denn schon Karneval? Denn auch die anderen Parteien, die hier anzutreffen sind, verfolgen aberwitzige Anliegen: zurück zur D-Mark oder entschädigungslose Rückgabe von Schlesien und Ostpreußen etwa, Wunder ohne Wirtschaft, Weltfrieden, höhere Steuern für die Reichen oder eine spirituelle Politik.

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Duschgel, Büchel, dpa

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Ein Chor der Splitterparteien ruft in Kassel nach einem Neuanfang für Deutschland, doch so konträr die Ziele sind, als Praktikanten der Aufklärung klingen sie alle gleich dissonant.

Wer nicht grundsätzlich mit kunstgewöhnten Augen unterwegs ist, dürfte von dieser Politik-Messe und ihren Begleitumständen etwas irritiert sein. Vor der Fassade des klassizistischen Musterbaus liegt ein Bombenfindling, und ein Bauschild erklärt, dass der Ostflügel des Museums in ein Arbeitsamt umgebaut wird.

Über dem Eingang, den schon Millionen Documenta-Besucher passiert haben, hängt das Firmenschild des ostdeutschen Super-Discounters MäcGeiz, und hinter der Tür verlangen dessen rot uniformierte Kassiererinnen Museumseintritt. Da machen bereits die meisten Besucher verwirrt wieder kehrt, obwohl vom Top-Dog-Hundekuchen bis zum Sponge-Bob-Untersetzer alles echt verkauft wird.

Im Atrium steht dann ein haushoher Weihnachtsbaum in einer Spielhalle, die Balustraden sind verkleidet mit Plakaten deutscher Weltfirmen, dahinter sind eine Tourismus-Messe der Neuen Deutschen Länder, ein Solarium und ein Fitnessstudio aufgebaut - alles voll funktionstüchtig. Nur das Islamische Zentrum Kassel ist leider geschlossen. Schnell wird es obskur.

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Kegelbahn Büchel, dpa

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Zwischen zerschmetterten Glasvitrinen und einer toten Taube führt der Parcours durch einen mit Brettern vernagelten Saal zu einem Pausenraum. Alte Zeitungsausschnitte über spektakuläre Documenta-Aktionen dekorieren diesen akribisch inszenierten Reliquienschrein der Arbeiterklasse ebenso wie volle Aschenbecher, tote Yuccapalmen und ein Schäferhundporträt, gemalt von Adolf Hitler.

Auch die Hausmeisterwohnung rekapituliert die Volkskunde der Gemütlichkeit mit Plüschsesseln, Dürers Kaninchen, Spruchweisheiten, einem Fernseher, auf dem das 74er-WM-Finale läuft, und verstaubten Goetheschillershakespeare-Best-of-Ausgaben. Nur ist durch die Wohnung eine graue Mauer gezogen, die auch Bett, Küche und Badewanne teilt. Hier stößt man nun buchstäblich mit dem Kopf an die Metapher für ein geteiltes Land: ein Bild, das der Schweizer Künstler Christoph Büchel durch den ganzen Museumsbau spielt.

Büchel ist in den vergangenen Jahren durch Inszenierungen berühmt geworden, die Denk- und Erlebnis-Routinen mit frechen Aktionen abrupt unterbrechen. In Salzburg führte er ein Bürgerbegehren gegen zeitgenössische Kunst zum Erfolg, in Hannover fror er das Equipment einer Punkband nach ihrem Konzert ein, in Kopenhagen komponierte er eine "Dritte Welt" aus Sweatshop, Porno, Recycling und informeller Wirtschaft, und in Zürich verwandte er sein Budget dazu, einen Scheck über diese Summe in den Ausstellungsräumen zu verstecken.

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Buch, Büchel, Fridericianum

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"Deutsche Grammatik", so der Titel der Kassler Schau, der sich auf das Werk Jacob Grimms bezieht, das dieser als Bibliothekar des Fridericianums 1818 begonnen hatte, thematisiert nun die Routine Deutscher Einheit.

Da kommt ein fremder Blick gerade recht. Denn der Schweizer Büchel inszeniert für die Antrittsausstellung des neuen holländischen Direktors Rein Wolfs in Kassel nicht nur ein Debattenwochenende zu Deutscher Politik, dem die großen Parteien wegen der Teilnahme der NPD sowie wegen der einheitlichen Darstellungsmöglichkeit aller 114 zugelassenen Parteien - "ohne Rücksicht auf Bedeutung und Ernsthaftigkeit", wie FDP-Bundesgeschäftsführer Hans-Jürgen Beerfeltz sich mokierte - ferngeblieben sind.

Kassel, eine Stadt, die vor Jahren noch eine Arbeitslosenquote aufwies, wie man sie sonst nur von ostdeutschen Kommunen kennt, ist durchaus geeignet, um an die Träume und Traumata der Wiedervereinigung zu erinnern. Die Versprechen des Konsums und die Realitäten der Armut sind nämlich das vermutlich Nachhaltigste, was durch die Wende vereint wurde.

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Stasiakten, Büchel, dpa

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Und die Sehnsucht nach Verdrängung der dazugehörigen Geschichte und Verantwortung, die sich seit Jahren in der Öffentlichkeit verbreitet, lässt die DDR heute ferner erscheinen als das Dritte Reich.

Im Zentrum des monumentalen Deutschlandporträts steht die Rekonstruktion des Stasiakten-Puzzles, wie es nach der Wende auf einer Leipziger Kegelbahn begann.

Für 700 Euro erwarb Büchel bei Ebay eine solche Sportanlage, plünderte ein leerstehendes Kasseler Hotel und baute mit einem Heer an Helfern eine finster-rustikale Kneipenanlage mit Festsaal, Küche und Toiletten ins Fridericianum. Der Versuch der ostdeutschen Bürgerbewegung, aus handzerrissenen Hinterlassenschaften der Staatssicherheit deutsche Individualgeschichte zu rekonstruieren, wird in all seinen Aggregatzuständen inszeniert.

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Mac Geiz, Büchel, dpa

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Tausende Säcke stapeln sich in dem Festsaal, auf den Herdstellen, zwischen Urinalen und Lebensmitteln. Was Büchel für die Stasiaufarbeitung mühsam rekonstruiert hat, bekommt er von der Demokratie-Messe frei Haus geliefert: Die Stände der Politesoteriker werden so konserviert, wie sie nach dem Ende des Stelldicheins verlassen wurden.

Die große Krise innerdeutscher Solidarität und der Monotheismus des Konsums, die Büchel uns hier als unsere "Grammatik" vorführt, finden hinter dem Schild von MäcGeiz ein herrliches Muster moderner Tristesse.

Und auch das Monumentale der Inszenierung ist ja dem deutschen Wesen nicht ganz fremd. Als großer Freizeitpark "Deutsche Gefühle" sollte diese Ausstellung unbedingt ins touristische Busprogramm aufgenommen werden.

Christoph Büchel, "Deutsche Grammatik", Fridericianum Kassel, bis 16. November. Info: Tel. 0561 / 707 27 20.

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