Theater: Shootingstar Oskar Haag
Das Wesen reckt die Arme abwechselnd nach oben, wippt nur leicht, deutet ein Tänzeln an und bewegt sich vorsichtig, zart und doch unheimlich präzise. Lilafarbener Volantanzug, könnte auch ein Kleid sein, was macht das schon, blonde Locken, mit dem Rücken zum Publikum. Wesen muss man deshalb sagen, weil zu dem Zeitpunkt, der Vorhang im Wiener Burgtheater ist gerade erst aufgegangen, noch gar nicht klar ist, wer sich da gekonnt und besonders auf der Bühne bewegt.
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Schließlich dreht sich Oskar Haag um. Der 17-Jährige ist ein Shootingstar in Österreich. Mit seinem Song "Stargazing" wurde er 2021 beim Wiener Popfest entdeckt, da war er 15. Zum ersten Mal trat er da vor 500 Leuten vor der Karlskirche auf. Seine Songs komponierte er im Lockdown im Kinderzimmer in Klagenfurt. Und nun steht er in Shakespeares "Wie es euch gefällt" auf der Bühne und seine Musik erfüllt jetzt die Wände der legendären Burg. Die Idee dazu hatte Regisseurin Tina Lanik, die Haag nicht nur die musikalische Untermalung ihres Stücks überlässt, sondern auch einen kleinen eigenen Part, die Figur Amien.
Haags melancholische Gitarrensongs, die nachdenklich und ziemlich britisch klingen, fügen sich ganz wunderbar ein in das pink-schrille Hin und Her zwischen Rosalinde und Orlando, die verzweifelt ihre große Liebe suchen. Große Verwirrung, Rastlosigkeit, Wut, Rage - dann steht Amien mit seiner Gitarre vorm pinkfarbenen Kunststoffpferd und spielt und singt: "Cause I go stargazin'/ Maybe I'll go and chase him/ If I get one I'll embrace it/ With all my love".
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Sterne will er jagen in "Stargazing", in "Black Dress" anfangen zu fliegen und es ist erstaunlich, wie viel Liebe und Leid in den Songs dieses 17-Jährigen stecken, wie viel Schmerz und Empfinden in seiner feinen Stimme liegen. Ganz von ungefähr kommt diese Begabung nicht, Haags Vater ist der Naked-Lunch-Sänger Oliver Welter, sein Vorbild Paul McCartney. Sterne jagen, warum nicht? Aber noch bleibt Oskar Haag, dieser junge, wundervolle Liedermacher am Boden. Sein Debütalbum "Teenage Lullabies" soll im Mai erscheinen - die Zeit bis zum Frühling muss also noch mit seinem Youtube-Kanal überbrückt werden. Carolin Gasteiger
Musik: Helligkeit und edle Süße
Die Geigerin Dorothea Schupelius (Jahrgang 1996) und die Pianistin Jelizaveta Vasiljeva (1995 geboren), zeigen mit dieser CD (ES DUR) eine Vorliebe für Geistreichtum, Charme, Licht und Luft sowie rhythmischen Spaß. Keines der Stücke von Fritz Kreisler, Maurice Ravel, Ernst Toch, Erich Wolfgang Korngold, Kurt Weill oder Ennio Morricone beschweren sie mit dem Prinzip "Stets Bein vor Bein macht deutsch und schwer". Vielmehr zeichnet die Geigerin ein ausgesprochen warmer, im besten Sinne edelsüßer Ton aus. Beide Musikerinnen haben den Sinn für den Witz und die Gelenkigkeit von Kreislers Liebenswürdigkeit, Ravels Raffinesse, Tochs neue Sachlichkeit, Korngolds leichte Hand, Weills Tango-Lust und Morricones Sehnen. Den beiden ist ein Album von animierender Vergnüglichkeit gelungen. Harald Eggebrecht
Bilderbuch: "Wie es ist" von Floris Tilanus
Man kann sich ein Leben auch schönreden. Professor Joachim Schwarz zum Beispiel trifft sich im Park "mit einem alten Freund". Einem Freund, wie es heißt, "der zu einem der erfolgreichsten Autoren seiner Zeit aufgestiegen ist. Sie führen lange, vertraute Gespräche über alles, was sie bewegt: das Leben, die Kunst, die Weltpolitik." Dazu ist der Professor zu sehen, wie er sich im Park einer Goethe-Statue zuwendet. "Wie es ist" stellt auf 36 Doppelseiten solche knapp gehaltenen Texte über den Alltag des Professors detailreich ausgearbeiteten Tuschezeichnungen gegenüber. Wenn es etwa heißt, dass der Professor am liebsten bei seiner Tochter sei - "sie lässt ihn die Zeit vergessen" -, ist ein Friedhof zu sehen. Das Büchlein des niederländischen Zeichners Floris Tilanus (Lilienfeld Verlag) ist ein Bilderbuch für Erwachsene, der Ton melancholisch, der Titel bei Samuel Beckett geliehen. So ernüchternd die Zeichnungen sind, strahlen sie auch Anteilnahme für den Professor aus - und eine zeichnerische Fülle, die im Kontrast zur darin offenbarten materiellen Armut der Hauptfigur steht. Ein Buch über "Wahrheiten" - im Plural. Martina Knoben
Fotografie: Geschichte der "Leica"
Dass Kameras eine Faszination ausüben können, die jedes Maß sprengt, zeigt Helmut Laglers Buchprojekt zum "Phänomen Leica". Was der 81-Jährige mit seinem auf mindestens acht Bände angelegten Vorhaben unternimmt, ist nichts weniger, als ein Brockhaus für die Leica zu schaffen - ein Standardwerk, das die Geschichte der Firma Leitz, ihre unzähligen Produkte, ihre Entwickler, Mitarbeiter, Fabriken, Broschüren, einfach alles, was mit der Leica zu tun hat, erschließt. Vier Bände hat Lagler im Selbstverlag schon herausgebracht, und besonders gelungen ist die "Vorgeschichte": die Darstellung der Jahre 1848 bis 1929. Hier wird der Leser Zeuge davon, wie aus einer kleinen Mikroskopwerkstatt in Wetzlar das Weltunternehmen Leitz wird, das mit der Produktion der Leica seit 1925 Fotogeschichte schreibt. Für alle, die nicht genug von der Kultkamera kriegen, ein Muss. Marc Hoch
Zeitgenössische Musik: Festival "Ultraschall"
Wenn ein Festival zeitgenössischer Kunstmusik schon jahrelang mit dem Namen "Ultraschall" um Aufmerksamkeit, also Publikum, wirbt, dann muss es einen Tatbestand ignoriert haben - dass nämlich die im Hochfrequenzbereich gelegenen Ultraschallwellen hauptsächlich von Fledermäusen oder Delfinen gehört werden. So ein "Hyperschall" soll beim Festival für die nötige Orientierung von Musikhörern sorgen, die damit leben müssen, dass Prozesse experimenteller Gegenwartsmusik oft sperrig klingen, und dass sie gedehnt verlaufen. Die Entdeckung der Langsamkeit wird somit zum Modus der Wahrnehmung - und ist via Radio möglich: Gleich zwei Sender (rbb Kultur und Deutschlandfunk Kultur) übertragen das Festival, das bis Sonntag andauert.
Ein solches Musikfestival sei natürlich "kein tagespolitischer Kommentar zum Tagesgeschehen", sagen die beiden Kuratoren vom Berliner Ultraschall: Aber Politik lauert doch hinter den Klängen: Am Samstag präsentiert die iranisch-amerikanische Bratschistin Muriel Razavi ihre Performance "mit Viola & Visuals", Sounds, Gedichtrezitation und Lichtdramaturgie (21 Uhr live in Deutschlandfunk Kultur). Ihre musikalische Szene "ancient eve is once again offering apples" besteht aus fünf Stücken iranischer Komponistinnen, die den tragischen Lebensweg einer iranischen Frau musikalisch vertiefen. Razavis Konzertprojekt entstand übrigens vor den jetzigen Aufständen in Iran.
Noch mehr "Ultraschall" in politischer Mission? Der 1972 in Moskau geborene, heute in Berlin ansässige Komponist Sergej Newski hat sein kurzes Stück "Stufen der Ideen" mit einem gespenstisch aktuellen Text des Dichters Lew Tolstoi aus dem Jahr 1900 verklammert. Newski, der sofort gegen Putins Ukraine-Krieg protestierte, hat Tolstois Verdammung jeder Art von Patriotismus als Staatsstruktur "vertont", der notwendig in die Katastrophen von Irrtum, Nationalismus und somit Krieg hineinführe. Was für ein Prophetenwort! Jakob Diehl rezitierte bebend solchen Klagetext, währenddessen Streicher des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin (dirigiert von Susanne Blumenthal) mit vielstimmig fragilen, zitternd leisen polyphonen Klängen den Tolstoischen Gedanken aufsplitterten - per Ultraschall mit Leidenschaft übermittelt. Wolfgang Schreiber