Süddeutsche Zeitung

Oscarverleihung:Was für'n Ding?

Lesezeit: 3 min

Bald werden die Oscars verliehen. Aber eine Studie zeigt: Kaum jemand kennt die nominierten Filme.

Von David Steinitz

Es sind nur noch knapp drei Wochen bis zur Oscarverleihung am 25. April. Normalerweise steht die Filmbranche so kurz vor ihrer wichtigsten Preisvergabe kopf. Die Buchmacher in Hollywood gehen in den Wett-Endspurt, wer wohl das Rennen machen wird: Welcher alte Hase könnte seinen soundsovielten Oscar abholen, welche Newcomerin schlagartig zum Star werden? Normalerweise.

Dieses Jahr hingegen könnte das Motto gelten: Es sind Oscars - und keine Sau interessiert's. Nach einem Jahr fast ohne Kino und Filmfestivals - immer noch den wichtigsten Plattformen der Oscar-Anwärter, um auf sich aufmerksam zu machen - dürfte jeder Filmfan zumindest ein bisschen unter einer Corona-Suberkrankung leiden: der Streaming-Fatigue. Noch mal Netflix. Schon wieder Amazon. Wie war noch mal das Passwort für Disney+?

Dieses etwas diffuse Streamingsuppengefühl, dass viele Filme des Corona-Oscar-Jahrgangs in den unendlichen Tiefen der Mediatheken absaufen, ohne dass irgendjemand richtig Notiz von ihnen genommen hätte, hat Variety nun in konkrete Zahlen gegossen. Die Branchenzeitschrift hat eine Studie des Marktforschungsinstituts Guts+Data ausgewertet. Das Unternehmen hatte 1500 "aktive Entertainment-Konsumenten" befragt, also Menschen, die regelmäßig streamen oder ins Kino gehen, wenn sie denn dürfen, welche Filme sie kennen. Besonderes Augenmerk legte die Studie auf die Oscar-Königskategorie "Bester Film" . Das Ergebnis dürfte nicht nur für die amerikanische Filmakademie niederschmetternd sein, die die Oscars vergibt, sondern auch für die großen Streamingdienste, die viele der abgefragten Filme produziert haben.

Da helfen auch keine Stars: Nur 18 Prozent der Befragten kennen "Mank"

Auf die Frage zum Beispiel, ob sie jemals etwas von dem Film "Mank" gehört hätten, antworteten nur 18 Prozent der Befragten mit Ja. Dabei ist die Netflix-Produktion über den legendären "Citizen Kane"-Drehbuchautor Herman Mankiewicz ein klassischer Oscar-Anwärter. Sie wurde von David Fincher inszeniert, einem der berühmtesten Hollywoodregisseure des Gegenwartskinos. Sie ist prominent besetzt, die Hauptrollen spielen unter anderem Amanda Seyfried und Gary Oldman, der 2018 bereits einen Oscar gewonnen hat für seine Rolle als Winston Churchill in "Die dunkelste Stunde". Und sie wurde von Netflix breitflächig beworben, weil die Verantwortlichen des Streamingdienstes mit diesem Projekt natürlich darauf spekulierten, den ein oder anderen Oscar abzuräumen. Aber "Mank" steht abgeschlagen auf dem letzten Platz der zehn Nominierten, was den Bekanntheitsgrad angeht. Sollte der Film tatsächlich gewinnen, die Laudatoren am 25. April den Titel "Mank" aus dem Umschlag ziehen und verkünden, könnten sich also sehr, sehr viele Zuschauer fragen: Was für'n Ding?

Auch die Amazon-Produktion "Sound of Metal" über einen Schlagzeuger, der sein Gehör verliert, ist klassisches Oscarmaterial und als bester Film nominiert. Aber nur 23 Prozent der Befragten kannten den Film - vorletzter Platz.

Anderen heiß gehandelten Filmen wie "Promising Young Woman" (34 Prozent) und "Nomadland" (35 Prozent) geht es nur einen Hauch besser, was den Bekanntheitsgrad angeht. Am ehesten, sagten die Teilnehmer, sei ihnen noch die HBO-Produktion "Judas and the Black Messiah" über den Black-Panther-Anführer Fred Hampton bekannt. Der Film landete mit einer "awareness" von 46 Prozent auf Platz eins.

Die Veranstalter freuen sich, dass die Oscars so divers sind. Aber wer freut sich mit ihnen?

Natürlich muss man dazusagen, dass auch Blockbuster nicht gleich bei einer Bekanntheit von 99 Prozent landen, wenn man nach ihnen fragt. So kannten zum Beispiel auch nur 46 Prozent der Studienteilnehmer Christopher Nolans Actionthriller "Tenet", dem vergangenen Sommer in einer kleinen Virusatempause zumindest ein begrenzter Kinostart vergönnt war. Den höchsten Bekanntheitsgrad, unabhängig von Filmpreisnominierungen, hatte das Trickfilm-Remake "Tom & Jerry" mit 88 Prozent - aber es könnte natürlich auch sein, dass die Leute sich bei diesem Titel einfach an die Trickfiguren aus ihrer Kindheit erinnert haben.

Auf jeden Fall sind die Zahlen der Nominierten nicht besonders ermunternd, was die Bedeutung der Oscarverleihung angeht. Denn mit dem Problem, dass zu wenige Zuschauer die nominierten Filme kennen, kämpfen die Veranstalter schon länger. Allein deshalb wurde vor ein paar Jahren die Kategorie Bester Film von fünf auf zehn Nominierte ausgeweitet, in der Hoffnung, mehr Hochglanz-Hollywoodware würde es in die Endrunde schaffen und so für mehr Aufmerksamkeit sorgen.

Laut Variety besteht auch ein direkter Zusammenhang zwischen der Bekanntheit der Nominierten und den Einschaltquoten der Oscarverleihung in den USA. Während im "Titanic"-Jahr 1998 beeindruckende 57 Millionen Amerikaner die Übertragung gesehen hätten, seien es vergangenes Jahr, als der südkoreanische Thriller "Parasite" gewann, 23,6 Millionen gewesen. Das war der bisherige Quotentiefpunkt.

Dabei ist die amerikanische Filmakademie dieses Jahr besonders stolz auf das Feld der Nominierten. Nach all der Kritik aus den Vorjahren ist es 2021 so divers wie nie zuvor, mehr Frauen, mehr People of Color. Aber nach dieser Studie bleibt die Frage: Wird das die Menschen am 25. April noch so bewegen, wie sie sich früher von den Oscars haben bewegen lassen?

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