Oscars 2013:Haltung muss sein

Ben Afflecks "Argo" kam aus dem Obama-Lager, Spielbergs "Lincoln" ist patriotisch und "Zero Dark Thirty" bei US-Politikern umstritten. Man kann zu den Oscar-Nominierungen stehen wie man will - eine Haltung verlangen sie dem Zuschauer aber in jedem Fall ab.

Von Susan Vahabzadeh

Ein besonders exquisiter Filmjahrgang sei 2012 für Hollywood gewesen, urteilte das Branchenblatt Variety, darüber kann man streiten - so ein Urteil lässt sich eigentlich immer erst aus dem Abstand vieler Jahre fällen: Wie viele der Filme dieses Jahres überdauern die Zeit? Wird Daniel Day-Lewis nun für immer das Bild von Lincoln prägen, ist Tarantinos "Django Unchained" ein Werk für die Ewigkeit? Fragen, die auch am Sonntagabend, wenn zum 85. Mal die Oscars vergeben werden, nicht beantwortet werden. Sicher ist aber schon vorher: Es ist ein Jahrgang, an dem einiges ungewöhnlich ist. In vielerlei Hinsicht.

Beispielsweise hat es zum ersten Mal, seit vor ein paar Jahren die Studios begannen, die Filme, die sie für oscarwürdig halten, erst im Herbst zu starten, eine echte Kollision mit dem amerikanischen Wahlkampf gegeben. Ben Afflecks "Argo", der Jimmy Carter feiert, kam ganz klar aus dem Obama-Lager und wurde kurz vor den Wahlen gestartet, die Premiere von Kathryn Bigelows "Zero Dark Thirty" aber, von vielen konservativen amerikanischen Kommentatoren vorab unter Verdacht gestellt, ein Pro-Obama-Stück zu sein, wurde dann doch auf einen Termin im November verlegt.

Inzwischen loben dieselben Kommentatoren den Film dafür, wie er die Bush-Administration darstelle. Der Film ist, seiner Folterszenen wegen, schwer umstritten, auch bei einer Reihe von amerikanischen Politikern, die zurückweisen, dass durch Folter erlangte Informationen bei der Jagd auf Osama bin Laden hilfreich waren. Und die Academy of Motion Picture Arts and Sciences, deren Mitglieder über die Oscars abstimmen, hat plötzlich einen Film in der Hauptkategorie des besten Films im Rennen, der Gegenstand einer Untersuchung im Senat ist - wo man gerne im Detail nachvollziehen würde, wo die Informationen für den Film herkamen. Dazu kommt dann noch Spielbergs Präsidenten-Epos "Lincoln" über die Abschaffung der Sklaverei - so kam in diesem Jahr einiges zusammen, was die Oscars politischer macht, als sie je sein wollten.

Als Favoriten gelten "Argo", "Zero Dark Thirty" und "Lincoln"

Neun Filme sind in der Hauptkategorie nominiert, aber Ang Lees "Life of Pi" und Tarantinos "Django" sind, trotz großen kommerziellen Erfolgs, aus dem Zentrum des Interesses verschwunden, es geht nun vor allem um "Argo", "Zero Dark Thirty" und "Lincoln".

Als Favoritin bei der weiblichen Hauptrolle gilt Jessica Chastain, die die CIA-Agentin in "Zero Dark Thirty" spielt, die Osama bin Laden zur Strecke bringt; bei den männlichen Darstellern gilt ein dritter Oscar für Daniel Day-Lewis und seinen Lincoln als einigermaßen gesichert. Traditionell hält sich die Academy von allen offiziellen politischen Stellungnahmen fern; die Filme, die ausgewählt werden, sprechen aber natürlich für sich.

Hollywood gilt seit Langem als liberal. "Lincoln" ist, mit zwölf Nominierungen, in diesem Jahr der Favorit, immer noch, denn der Film, der ihm am gefährlichsten werden könnte, war eigentlich kein Favorit: "Argo" hat zwar auch stolze sieben Nominierungen, aber eben keine für Ben Affleck als Regisseur. Nur dreimal in ihrer Geschichte haben sich die Academy-Mitglieder für einen Besten Film entschieden, dessen Regisseur sie nicht auf der Liste hatten - 1928, 1932 und 1989, als "Driving Miss Daisy" gewann. Inzwischen aber hat "Argo" vier Preise von Gewerkschaften gewonnen - bei der Regisseurs-Gilde, den Drehbuchautoren, den Produzenten und der Schauspieler-Gewerkschaft -, und da stimmen dieselben Leute ab wie in der Academy. "Argo" könnte also die vierte Ausnahme von der Regel werden.

Ursprünglich hatte es wahrscheinlich gute Gründe, dass Affleck nicht nominiert ist - er hat sich für Ungenauigkeiten rechtfertigen müssen in seiner "True Story" über einen CIA-Agenten, der mit einem erfundenen Filmdreh 1980 sechs amerikanische Geiseln aus Teheran befreite. In einer ersten Fassung unterschlug er die Rolle der damaligen kanadischen Regierung ganz, änderte dann den Abspann, verärgerte britische Diplomaten. Dass das seinen Kollegen in den Gewerkschaften nichts ausmacht, liegt nicht nur daran, dass die USA so gut in seinem Film wegkommen - die einzelnen Punkte mögen denen marginal vorkommen.

Die Filme verlangen eine Haltung

Hier geht es einfach darum, wie man mit Verstand - anders als bei einem im Film nur nebenbei erwähnten gescheiterten Befreiungsversuch der Regierung Carter via Luftangriff - sehr ernste Probleme zu lösen versucht, was in "Argo" auf sehr unterhaltsame Art geschieht. Für die politische Implikation, dass es hier nicht um tumbe Stereotypen ging, steht der Produzent: Wenn "Argo" die Haupttrophäe gewinnen sollte, wäre das ein Oscar für George Clooney, der die Rechte an dem "Argo"-Stoff einst für sich selbst erworben hatte. Und Clooney ist, spätestens seit Obamas erstem Wahlkampf, eine Art Leitfigur der Liberalen in Hollywood.

Tatsächlich verlangen diese drei Filme ihren Zuschauern, jenseits des Urteils über ihre handwerkliche Perfektion, eine Haltung ab. Stören Ben Afflecks kleine Schlampigkeiten die amerikanische Selbstbeweihräucherung in "Argo", ist der Tenor von "Zero Dark Thirty", der eine Figur zur Heldin macht, die sich von Obamas Folter-Verboten in der Arbeit gestört fühlt, akzeptabel?

Offensichtlich hat "Zero Dark Thirty" Freunde in der Academy gefunden - und das ist immerhin dieselbe Academy, die Michael Moore zu Beginn des Irak-Kriegs einen Oscar gab, und somit ein Forum (für "Bowling for Columbine"). Politisch am ungefährlichsten wäre in diesem Jahr Spielberg mit seinem "Lincoln" - an dem ist handwerklich nichts auszusetzen, und er ist auch patriotisch, aber eben auf andere Art - ein Stolz auf die Demokratie steckt darin, und auf all jene Momente, in der sie genutzt wurde, um das Richtige zu tun.

Zwei Nominierungen sind überraschend

Zwei Filme sind auf der Liste für den besten Film, die man dort nicht ohne Weiteres erwarten würde: Michael Haneke und sein Film "Amour/Liebe", nominiert als bester Film, für die Regie, fürs Drehbuch, für die beste Hauptdarstellerin, und, nebenbei, auch noch als bester fremdsprachiger Film. Einen fremdsprachigen Film in die Hauptkategorien aufzunehmen, bedeutet eine der größten Verbeugungen, die Hollywood einem europäischen Filmemacher zu bieten hat.

Die Profis in der Academy erkennen damit an, dass sie es selbst nicht besser hätten machen können. Natürlich sind Hanekes Filme, nicht nur "Liebe", ganz anders als eine Studioproduktion in Hollywood, die an dieses Thema - der gemeinsame Weg eines alten Paars zum Ende des Lebens - viel kommerzieller herangegangen wäre, vielleicht versöhnlicher, aber eben nicht besser, schon gar nicht handwerklich.

Christopher Hampton, der Drehbuchautor von "Gefährliche Liebschaften", führt im Sonderheft "Voter's Guide" von Variety ein Argument für "Liebe" an, das die meisten Academy-Stimmberechtigten tatsächlich beeindrucken könnte: Dass ein in einem Film ganz unsentimental verhandeltes Thema die tiefsten Emotionen auslösen kann. Dass ein fremdsprachiger Film so stark im Rennen vertreten ist, gibt es nur selten - Ingmar Bergman beispielsweise ist 1974 mit "Schreie und Flüstern" auch für die Regie, das Drehbuch und den Besten Film nominiert gewesen. Gewonnen hat er nicht.

Der zweite Überraschungsgast der Liste ist Benh Zeitlin mit "Beasts of the Southern Wild", einem animalischen Märchen um ein kleines Mädchen in einer apokalyptisch bizarren Südstaaten-Welt, die sich mit Tagträumen davon ablenkt, dass ihr Vater stirbt. Überraschend ist Zeitlin als Kandidat für den Besten Film und die Beste Regie deswegen, weil ihn vorher keiner kannte - seine Filmografie umfasst vor den "Beasts" gerade mal drei Kurzfilme. Der Film hat dann aber genau die Qualitäten, die die Academy-Mitglieder zu schätzen wissen, ein gut gemachter Tearjerker, mit voller Absicht sentimental. Die New York Times erfand für ihn das Adjektiv "spielbergian".

Nun ist Spielbergs "Lincoln" ja auch ein Film, der sehr starke Emotionen auslöst - für seine Verhältnisse, und vielleicht auch für den Geschmack der Academy, ist er aber sehr dialoglastig. Vielleicht sind am Ende die Entscheidungen, die die Academy-Mitglieder getroffen haben, tatsächlich nicht filmästhetisch - sondern politisch.

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