Oscars 2008:Fabrik ohne Träume

Der Oscar-Triumph von "No Country for Old Men" zeigt: Die Coens sind jetzt Kino-Legenden - und verdanken das einem Richtungsstreit in Hollywood.

Susan Vahabzadeh

Er hätte überhaupt nichts dagegen, zum Mainstream zu gehören, hat Joel Coen mal gesagt - immer vorausgesetzt, dass der Mainstream so sei wie er. "No Country for Old Men", die düstere Ballade eines alten Sheriffs und eines jungen Kleinkriminellen, die in einen ausgewachsenen Drogendeal hineingeraten, ist bei den Oscars viermal ausgezeichnet worden. Javier Bardem hat gewonnen als bester Nebendarsteller, für einen Auftritt als grenzwertig komische Tötungsmaschine, und drei Oscars gingen an Joel und Ethan Coen selbst, für Drehbuch und Regie und für den besten Film.

Oscars 2008: Joel und Ethan Coen haben alle Hände voll zu tun: Vier Oscars bekommt schließlich nicht jeder.

Joel und Ethan Coen haben alle Hände voll zu tun: Vier Oscars bekommt schließlich nicht jeder.

(Foto: Foto: AFP)

Damit sind sie in den Olymp aufgestiegen, mit vier Oscars ausgezeichnete Filmemacher gibt es nicht viele (einen hatten sie ja schon 2001 für das Drehbuch zu "Fargo" bekommen). Und dort gehören sie auch hin, in die Liga der grandiosen Filmemacher, die Hollywood zu bieten hat. Aber sind die Coens, dem fernen Minnesota immer noch verhaftet und zuständig für Geschichten, die einen eher um den Schlaf bringen als einem süße Träume zu bereiten, eigentlich wirklich Hollywood? Und bedeutet das, dass sie im Mainstream angekommen sind? Oder erkennt man an diesen Ehrungen nur, dass die Filmindustrie den Kontakt zum Publikum verloren hat?

Die Frage musste man sich ja schon im Vorfeld stellen, denn die diesjährige Oscar-Verleihung hatte ein echtes Nominierungsproblem. - "There Will Be Blood", achtmal nominiert und nur zweimal ausgezeichnet, hat nun mal keine Abräumerqualitäten, und insofern kann man an den Entscheidungen auch nicht herummäkeln - was aber nichts daran ändert, dass der Coen-Film außerhalb der Nominierungsliste durchaus kontrovers war, einer Brutalität wegen, die zwar gerechtfertigt ist, aber keinesfalls mainstreamtauglich. Einer der wenigen fiesen Gags, die der Oscar-Host Jon Stewart auf Lager hatte, war die Bemerkung: "Wir können das Publikum nicht gewinnen lassen."

Was sowieso ausgeschlossen war, denn ein Film, den das Publikum wirklich angenommen hat, war gar nicht im Rennen. Keiner der nominierten Filme hat einen Ansturm auf die Kinos ausgelöst - und das ist eher ungewöhnlich für die Academy. Die war nie die richtige Organisation für unpopuläre Entscheidungen und innovative Trends, denn sie repräsentiert Hollywood, wo man besser weiß als irgendwo sonst auf der Welt, wie man den Nerv des Publikums trifft. Diese Aura der Superprofessionalität, den Glanz der Visionäre des Massengeschmacks hat die Academy in diesem Jahr aufs Spiel gesetzt.

Da passten die Entscheidungen ganz gut zum spannungsarmen Drumherum - der Autorenstreik hat die Oscar-Verleihung nämlich doch noch lahmgelegt. Die Show war bis zur Einigung mit der Gewerkschaft vor zwei Wochen als autorenfreier Notbehelf geplant worden, und die Zeit hat wohl nicht gereicht, um aus dieser Nummer noch mal herauszukommen - eine eigenartig emotionslose Patriotismus-Szene, bei der ein paar aus Bagdad zugeschaltete amerikanische Soldaten vom Teleprompter lasen; und musikalisch war 2007 wohl kein besonders aufregender Jahrgang, zumindest waren die nominierten Songs allesamt keine Ohrwürmer.

Da war man ganz dankbar für die Tränen der Rührung in den Augen von Joel Coens Frau Frances McDormand, als es Oscar Nummer vier zu holen gab - obwohl die selber einen Darsteller-Oscar hat und vielleicht einen solchen Rückenrieselmoment einfach spielen kann. Das dominierende Element der Show blieben also dramaturgielose Einspieler mit chronologisch abgespultem Archivmaterial. Bester Film 1940: "Vom Winde verweht", 1941: "Rebecca" ... Ein sehr historisierender Abend, es war ja auch eine Jubiläumsveranstaltung: die 80. Academy Awards. Aber irgendwie ließen diese unsortierten Erinnerungen ahnen, der Blick zurück sollte den Weg in eine ungewisse Zukunft weisen, als habe man in der Academy das diffuse Gefühl, es müsse in eine neue Richtung gehen, aber keine Ahnung in welche.

Stockfinstere Geschichten aus einer gewalttätigen Welt

Es ist ja durchaus in ein paar Kategorien der erwartbare Fall eingetreten: "Die Fälscher" hat sich in der Sparte für den besten fremdsprachigen Film durchgesetzt gegen Nikita Mikhalkovs unordentlichen Tschetschenien-Film "12" und Andrzej Wajdas "Katyn" über Polen während des Weltkriegs und im Stalinismus danach. Für Dramen übers Dritte Reich hat die Academy eine Schwäche - Stefan Ruzowitzkys "Die Fälscher" erzählt von einer Gruppe von KZ-Häftlingen, die zum Devisenfälschen gezwungen werden. (Es ist ja dann doch fast so, als hätte schon wieder ein deutscher Film gewonnen - aber Ruzowitzky, man hatte es zu "Anatomie"-Zeiten fast vergessen, ist Österreicher und trat für sein Heimatland an; und hat auch keineswegs den ersten Österreich-Oscar für sich reklamiert. Billy Wilder hatte sechs, Fred Zinnemann vier.)

Die Darsteller-Preise aber wirken, als würde sich die Academy gegen ihre eigene Berechenbarkeit stemmen - oft sind Oscars nachgereichte Würdigungen fürs bisherige Werk, man kann aber im Fall der Französin Marion Cotillard, die für ihren Auftritt als Edith Piaf in "La vie en rose" gewonnen hat, davon ausgehen, dass sich darin niemand in der Academy auskennt; und das sehr überschaubare Werk des Arbeitsverweigerers Daniel Day-Lewis, für seine Rolle als diabolischer Ölmagnat der ersten Stunde in "There Will Be Blood" ausgezeichnet, wurde schon vor Jahren gewürdigt.

Reuters hat in den USA eine Umfrage gemacht vor der Verleihung - die klar ergab, dass das Publikum sich für "Juno" als besten Film entschieden hätte, weil die vier Konkurrenten allesamt stockfinstere Geschichten erzählen aus einer gewalttätigen Welt: von "No Country" und "There Will Be Blood" über den Thriller "Michael Clayton", der vom Machtmissbrauch der Großkonzerne erzählt, und das hohle Weltkriegsdrama "Abbitte", das in dieser Kategorie so gar nichts verloren hatte. Da macht sich "Juno" über einen schwangeren Teenie richtig luftig aus.

Man kann ja der amerikanischen Filmindustrie nicht vorwerfen, dass sie sich endlich einmal mit der Gegenwart, der Wirklichkeit auseinandersetzt; aber der Beiname Traumfabrik hat sich bei so viel Finsternis dann irgendwann auch überholt. Anteilnehmen möchte man an der traditionellen Selbstbeweihräucherungsnacht aber vielleicht erst wieder, wenn die Orientierungsfragen geklärt sind. Am Ende reflektiert die achtzigste Oscar-Nacht doch, auch ohne Publikumsrenner, den Gesamtzustand Amerikas, den noch lange nicht entschiedenen Wahlkampf: bloß raus hier, egal wohin.

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