Süddeutsche Zeitung

"Coda" gewinnt bei den Oscars 2022:"Das ist unser Moment"

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Mit "Coda" gewinnt eine ganz besondere Tragikomödie als bester Film - und es wirkt auf einmal so, als sei Gebärdensprache schon immer Teil des Kinos gewesen.

Von Carolin Gasteiger

Am Ende sind es doch die Gesten, die zählen. In diesem Fall nicht Will Smith' Ausraster und nein, auch nicht seine späteren Tränen, sondern die Gesten, die auch vertreten waren bei den 94. Academy Awards - und die viel Aufmerksamkeit verdient haben. Es sind die Gesten der Gebärdensprache. Und die waren dank "Coda" präsenter als sonst bei den Oscars.

Tatsächlich hat "Coda", Siân Heders liebevolle Tragikomödie über ein hörendes Mädchen in einer gehörlosen Familie, am Ende in der Königskategorie gewonnen. Vor wenigen Tagen noch gingen alle davon aus, dass Jane Campions "Power of the Dog", immerhin zwölf Mal nominiert, gewinnt, der roughe Western über Verzweiflung, toxische Männlichkeit, Rache und Mord. Aber in den vergangenen Tagen deuteten die Zeichen immer stärker auf "Coda", hatte der Film doch auch beim Producers Guild Award gewonnen, einem sicheren Indikator für Oscarchancen.

Ruby Rossis Familie lebt vom Fischen, jeden Morgen fahren Vater, Sohn und Tochter mit dem Kutter raus, Ruby als einzig hörendes Familienmitglied muss sowohl den Funk bedienen als auch die Preise aushandeln. Als sie aus ihrer Leidenschaft fürs Singen was machen kann, wird es problematisch. Und dann vermittelt "Coda" am Ende doch viel mehr Zuversicht, Wärme und Liebe als der Konkurrenzfilm - und wer könnte die nicht in diesen Tagen brauchen. Will Smith bestimmt.

Mit "Coda" gewinnt auch ein Film des Streaminganbieters Apple

Der zweite große Gewinner der "Coda"-Teams war Troy Kotsur als bester Nebendarsteller. Es ist der zweite Oscar für einen gehörlosen Schauspieler, der erste ging an seine "Coda"-Partnerin Marlee Matlin, die 1987 für ihre Rolle in dem Liebesdrama "Gottes vergessene Kinder" ausgezeichnet wurde. Von der SZ auf "Coda" angesprochen, sagte Matlin, die bei vielen anderen Produktionen oft die einzige Gehörlose am Set war: "Das mag vielleicht komisch klingen, aber ich hatte zum ersten Mal wirklich das Gefühl, dass ich von der Regie angeleitet wurde. Siân hat Gebärdensprache gelernt und direkt mit uns kommuniziert - nicht immer nur über Gebärdensprachdolmetscher. Und sie hat vor allem viel gefragt. Üblicherweise denken die Regisseure sonst eher: 'Ach, sie wird schon wissen, was ich meine.'" Hauptdarstellerin Emilia Jones lernte innerhalb von neun Monaten Gebärdensprache.

Im Dolby Theatre stehen die Mitglieder des Teams und Gebärdendolmetscher schließlich drei Mal auf der Bühne, weil Heder auch für das beste adaptierte Drehbuch - "Coda" ist eine Neuauflage des französischen Films "Verstehen Sie die Béliers" (2014) - ausgezeichnet wird. Und wie sie die Worte in Gebärden fassen, sieht so selbstverständlich aus, dass man sich fragt, warum das nicht schon früher bei den Academy Awards zum Procedere gehörte.

Mit "Coda" hat die Academy sich jedenfalls für die Feelgood-Variante entschieden, der Film ist nicht nur liebevoll und einfühlsam, sondern an vielen Stellen auch zum Brüllen komisch. "Power of the Dog" - für die Oscar-Wähler in diesem Jahr wohl zu brutal, geht es doch um Rache, Verzweiflung und Tod - bleibt immerhin der Regie-Oscar für Campion. Schlussendlich markiert "Coda" aber auch den ersten Sieg für den Streamingdienst Apple, der den Film auf dem "Sundance"-Festival kaufte und im August herausbrachte. Es ist also nicht nur ein Sieg der Gesten, sondern auch ein Erfolg der Streamingdienste bei dem großen Ziel, in Sachen Oscars mit dem Kino gleichzuziehen.

In seiner Dankesrede wirkt Troy Kotsur bewegt. Der 53-Jährige dankt seinem Vater, von dem er die Gebärdensprache gelernt habe und sagt zum Schluss: "Das ist unser Moment." Und den haben sie sich verdammt noch mal verdient. Als er das sagt, steht das Dolby Theatre, die meisten klatschen, viele heben aber die Arme und drehen die Hände - in Gebärdensprache bedeutet das Applaus.

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