Oscar-Verleihung 2021:Grüße aus der Bahnhofshalle

93rd Academy Awards in Los Angeles

Chloé Zhao gewinnt den Regie-Oscar für "Nomadland", als zweite Frau überhaupt in dieser Kategorie. Aber es war ja auch erst die 93. Verleihung.

(Foto: REUTERS)

Glamour gab es wenig bei der pandemischen Oscar-Verleihung, aber viel Diversität - und ein paar sehr coole Siegerinnen.

Von Susan Vahabzadeh

Jetzt, wo man das Kino am meisten brauchen würde, ist es gerade nicht da. Das Erdenrund ist in Lockdown-Zonen unterschiedlichen Härtegrades aufgeteilt, und überall in den Häusern sitzen Menschen und fühlen sich, als ob es tausend Stäbe gäbe und hinter tausend Stäben keine Welt.

In einem Kino sähe man manchmal ganz tief hinein in die Welt, bis auf ihren Grund. Dort könnte man sich beispielsweise Chloé Zhaos Film "Nomadland" anschauen, der gerade die wichtigsten Oscars gewonnen hat - Zhao für die Regie, Frances McDormand für die Hauptrolle, und beide als Produzentinnen für den besten Film. Zhao ist erst die zweite Frau, die den Regie-Oscar bekommen hat; aber es war ja auch erst die 93. Verleihung. Auch die Gelegenheiten, bei denen zwei Frauen die Haupt-Trophäe bekommen haben, kann man an einer Hand abzählen. Aber Quotenfrauen sind die beiden keineswegs. Die Besten haben gewonnen.

McDormand spielt Fern, die in der Finanzkrise 2008 erst ihren Mann verloren hat und der dann alles genommen wurde; sie ist zu einer modernen Nomadin geworden. Mit dem Wohnmobil zieht sie durch die USA, dahin, wo sie Arbeit finden kann, und da lebt sie dann mit dem Minimum, unter anderen, die auch umherziehen und keinerlei Halt finden außer sich selbst. Viele Rollen hat Zhao mit Menschen besetzt, die auch im richtigen Leben umherziehen, und ein paar davon hat sie zur Verleihung mitgebracht.

In seinen besten Momenten findet das Kino die idealen Bilder zu allgemeingültigen Weisheiten, die auch in Pandemien gelten: "Nomadland" handelt davon, dass die Menschen nicht dazu gemacht sind, sich hinzulegen und zu sterben. Sie sind gemacht, um zu überleben. Und es ist erstaunlich, was sie alles aushalten und dann doch noch etwas entdecken, was der Mühe wert ist - Freiheit, den Nachthimmel, die Geräuschlosigkeit der Wüste. Frances McDormand spielt die eine Hauptrolle in diesem Film, die andere spielt das wilde, schöne, raue Land zwischen den Städten; das gehört allen, und keine Systemkrise kann es Fern wegnehmen.

Auch wenn der verstorbene Chadwick Boseman leer ausging: das Klassenziel Diversität wurde erreicht

2020 war in vielerlei Hinsicht trostlos, aber über die Filmausbeute kann man nicht meckern. Allerdings sind das ja auch noch die Filme aus der Davor-Zeit, von Drehstopps und Depressionen unbeschädigt. "Promising Young Woman", inszeniert und geschrieben von Emerald Fennell, eine Rachefantasie über eine Frau (Carey Mulligan), die Männern böse Streiche spielt, die ihre Abschleppversuche auf Betrunkene konzentrieren, wurde fürs beste Original-Drehbuch ausgezeichnet - und ihre Geschichte ist tatsächlich so richtig originell.

Für Filme wie "Promising Young Woman" wäre man in jedem Jahr dankbar. Leider hat ihn kaum jemand auf der Leinwand - oder sonst wo - gesehen. Oder überhaupt gesehen. Selbst David Finchers "Mank", mit zehn Nennungen Nominierungs-Sieger und traditionsgemäß bei der Verleihung dann Verlierer (bis auf die Preise für Kameramann Erik Messerschmidt und die beste Ausstattung), ging bei Netflix irgendwie im Seriensumpf unter, und dabei ist dieser Film über die Entstehung des Klassikers "Citizen Kane" zweifellos das visuell gewagteste, vollkommenste, was man sich an neuen Filmen im Lockdown hätte ansehen können. Und so hat die Pandemie das Kino selbst und die Oscar-Verleihung, die nun mit zwei Monaten Verspätung stattfand, in unterschiedliche Umlaufbahnen katapultiert. Eine ideale Voraussetzung ist das natürlich nicht.

Die gute Nachricht: Auch wenn der verstorbene Chadwick Boseman ganz am Ende der Show dann leer ausging und stattdessen Anthony Hopkins als bester Darsteller für "The Father" gewann, wo er einen Demenzkranken spielt - das Klassenziel Diversität wurde erreicht, mehrfach wurde auf Polizeigewalt gegen Afroamerikaner angespielt. Der Glamour musste aber leider draußen bleiben. Vereinzelt haben zwar große Abendroben, meistens goldfarben, den Weg auf die Bühne gefunden. Aber Viola Davis (als beste Hauptdarstellerin für "Ma Rainey's Black Bottom" nominiert) sah obenrum aus, als hätte sie eine Küchengardine umfunktioniert, und die Hauptsiegerin Chloé Zhao trug Sneaker zu einer Art Strickschlauch in Beige.

Für Elton John sah das Setting sehr nach Starbucks aus

Aber es war ja sowieso alles anders. Der Jean Hersholt Humanitarian Award beispielsweise wurde an den von Charlie Chaplin und Mary Pickford gegründeten Motion Picture and Television Fund überreicht - am eigentlich für die Oscars vorgesehenen Ort, dem Dolby Theatre. Dass die Preisträger, medizinisches Personal und Sozialarbeiter, diesen Ort ganz für sich hatten, war eine schöne Geste. Im Pandemie-Jahr 2021 musste aber die eigentliche Zeremonie klein gehalten werden, nur die Nominierten und ein paar Präsentatoren waren zugelassen. Und alles wurde in einen Art-Deco-Bahnhof verlegt, die Union Station, was wohl an einen Nachtclub erinnern sollte, wie man ihn aus den Filmen des Golden Age kennt, dem Hollywood der Dreißiger- und Vierzigerjahre. Elton Johns Kommentar, die Zeremonie sehe aus, als habe man sie irgendwo in einem Starbucks gedreht, verbreitete sich in Windeseile im Netz.

Die Academy hat vor drei Jahren, weil ihnen die Moderatoren wegen anrüchiger Tweets aus der Vergangenheit weggecancelt wurden, die Flucht nach vorn gewagt und diesen Job ganz abgeschafft; stattdessen gab es viele Präsentatoren, was zu unterschiedlichen Ergebnissen führte. Zum Ausgleich wurde nun für dieses Jahr, in dem immer noch keine normale Verleihung stattfinden konnte, Steven Soderbergh engagiert, als Produzent und Mastermind der Show. Soderbergh, der für seinen genialen Thriller "Traffic" selbst einen Oscar gewonnen hat, ist einer der besten Regisseure seiner Generation - aber die Zeremonie im Bahnhof war, bei aller Liebe, nicht seine beste Arbeit. Aber das lag wohl auch daran, dass er seinen Cast nicht im Griff hatte.

Im Nachhinein kann man verstehen, dass die Versuchung groß war, wenigstens alle Nominierten im Bahnhof zu versammeln und ihnen nicht zu gestatten, daheim in London oder Paris zu bleiben und sich zuschalten zu lassen. Denn ein ganzer Teil der Oscar-Faszination besteht einfach darin, dass die Kamera permanent sehr prominente Menschen einfängt, denen die Gesichtszüge gerade entgleiten, und bei so wenigen Gästen war es darum eher schlecht bestellt. Dafür gab es ein heiteres Lieder-Ratespiel mit Questlove, das Glenn Close mit einer kleinen Tanzeinlage zu dem Song "Da Butt" aus Spike Lees "School Daze" von 1988 beflügelte.

Zweites Highlight: Youn Yuh-jung, die für "Minari" als beste Nebendarstellerin ausgezeichnet wurde, war fast mehr aus dem Häuschen, dass ihr die Statue vom leibhaftigen Brad Pitt überreicht wurde, als über die Auszeichnung selbst. Ansonsten war der Ablauf verändert, den Regie-Oscar gab es ganz früh, die Preise für die Nebendarsteller bald (bei den Männern gewann Daniel Kaluuya für den Film "Judas and the Black Messiah" über die Black Panther Party), mittendrin nahm Thomas Vinterberg den Oscar für den besten fremdsprachigen Film für "Der Rausch" entgegen, und ganz am Schluss gab es die Darsteller-Oscars. Schwerer Fehler. Denn so hörte die Show damit auf, dass Anthony Hopkins gewann und unsichtbar blieb - er war weder da noch von irgendwo auf der Welt zugeschaltet.

Nicht einmal Frances McDormand, die an diesem Abend ihren dritten Oscar als beste Schauspielerin gewonnen hat, hat sich so richtig amüsiert. Sie hatte sich ein sackartiges schwarzes Kleid mit Federn daran übergeworfen, aufs Make-up verzichtet, verschmiert ja eh nur, denn meistens saß sie mit schwarzer Maske an ihrem Platz neben Ehemann Joel Coen und schaute mit traurigen Augen über den Stoffrand hinweg. Als sie dann am Ende auf die Bühne der Union Station kam, platzte sie raus: "Karaoke-Bar. Niemand hat mich gefragt, aber eine Karaoke-Bar wäre gut gewesen." Dann warf sie etwas wie "Die Arbeit ist dein Schwert" hinterher und schob wieder ab. Noch nie hat jemand einen Hauptdarsteller-Oscar mit weniger Brimborium entgegengenommen. Beim Besten Film hat sich McDormand die Dankesrede gespart - Chloé Zhao sagte das Übliche, McDormand aber bat einfach alle, sich den Film auf der größten Leinwand anzuschauen, die sie finden können. Und dann heulte sie wie ein Wolf. Das ging auch ganz schnell. Aber es war grandios.

Und sie hat ja recht. Oscars sind einerseits unheimlich wichtig fürs Kino. Und andererseits vollkommen egal. "Nomadland" ist mit oder ohne Oscar derselbe wundervolle Film; was er wirklich braucht, ist eine Leinwand. Unbedingt anschauen. Sobald es geht. Und bis es endlich so weit ist, werden wir in den Nachthimmel starren und eins sein mit der Welt und heulen wie die Wölfe.

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