Süddeutsche Zeitung

Bina Daigeler, oscarnominierte Kostümbildnerin:Weltreisende der feinen Stoffe

Eine Deutsche mit Chancen bei den Oscars 2021: Bina Daigeler, die mit Kostümen für Pedro Almodóvar bekannt wurde, ist für "Mulan" nominiert.

Von Josef Grübl

An Happy Ends muss man glauben, nicht nur in Disney-Filmen: Diese Erfahrung macht gerade die Deutsche Bina Daigeler, die in der Kategorie Kostümdesign für einen Oscar nominiert wurde. Und das ausgerechnet für einen Film, dem lange Zeit kein Happy End vergönnt war: Die 200 Millionen Dollar teure Realverfilmung von Disneys "Mulan" sorgte schon vor Veröffentlichung für Schlagzeilen. Es gab Hongkong-kritische Aussagen der Hauptdarstellerin Liu Yifei, und wegen der Dreharbeiten in der westchinesischen Region Xinjiang sogar Boykottaufrufe. Auch der Kinostart war unglücklich terminiert, ursprünglich hätte das Filmmärchen über eine chinesische Kriegerin im März 2020 in den Kinos anlaufen sollen.

Ein paar Wochen zuvor konnte man Bina Daigeler noch in Berlin treffen. Da erzählte sie von der anstehenden "Mulan"-Pressetour, die sie einmal um die halbe Welt führen sollte. Dann aber kam der Corona-Lockdown, der Filmstart wurde abgesagt, die Kinos geschlossen. Und die Deutsche flog nach Hause und schloss sich erstmal ein. Zuhause heißt für Bina Daigeler Madrid, seit dreißig Jahren lebt sie in der spanischen Hauptstadt. Genauso lang arbeitet sie in ihrem Beruf, "Mulan" ist ihr bislang größtes und aufwendigstes Projekt. Auch davor war sie schon eine international gefragte Kostümbildnerin, pendelte zwischen Arthouse-Filmen und Blockbuster-Produktionen, entwarf Kostüme für Weltstars wie Cate Blanchett, Jennifer Aniston, Bruce Willis, Javier Bardem oder Penélope Cruz.

Geboren ist sie 1965 in München, ihre Kindheit verbrachte sie in Ottobrunn. Erstes Treffen: Im Jahr 2019 nahe Gärtnerplatz im Café "Bellevue di Monaco". "Schöne Aussicht, das klingt gut", sagte die schlanke Mittfünfzigerin mit den langen braunen Haaren, dann erzählte sie von ihren eigenen Aussichten. Sie hat ihren Beruf von der Pike auf gelernt, machte eine Schneiderlehre und arbeitete in den Achtzigerjahren bei Fernsehproduktionen wie "Anna" oder "Carmen on Ice". Gleichzeitig war sie regelmäßig auf Lanzarote, ihre Familie hatte auf der Kanareninsel ein Ferienhaus. Dort lernte sie auch Leute aus der spanischen Filmbranche kennen: "Es war die Zeit der Movida, da wollte ich dabei sein." Der heimliche Star der Movida, der spanischen Jugend- und Kulturbewegung der Achtzigerjahre, die nach dem Ende der Franco-Zeit wilde Blüten trieb, war ein Regisseur, der bald ein Weltstar werden sollte: Pedro Almódovar.

Mit den Kostümen für "Alles über meine Mutter" wurde Bina Daigeler bekannt

Bis zu ihrem Kennenlernen sollte es noch etwas dauern, zunächst war Daigeler als Kostümassistentin tätig, bei deutschen Serien ("Der Schattenmann") oder internationalen Kinofilmen ("Das Geisterhaus"). Danach realisierte sie ihre ersten eigenen Projekte als Kostümbildnerin, 1999 kam die Anfrage für Almódovars "Alles über meine Mutter". Der Film wurde ein Welthit und mit allen erdenklichen Preisen (Oscar, Goya, Golden Globe, Regiepreis in Cannes) ausgezeichnet. Auch für seinen Kinoerfolg "Volver" aus dem Jahr 2006 gestaltete sie die Kostüme. Im Anschluss kamen Anfragen aus Amerika, von Regiestars wie Steven Soderbergh, Jim Jarmusch oder Oliver Stone. Obwohl Daigeler überall auf der Welt arbeitet, seit vielen Jahren mit einem Spanier verheiratet ist und zwei erwachsene Kinder hat, wird sie von ihren spanischen Kollegen immer noch "La alemána" genannt. Die Deutsche also, das liege an ihrem Akzent.

Zweites Treffen im Februar 2020, in einem Café in Berlin-Schöneberg. Da erzählte sie von den Dreharbeiten ihres größten Projekts. "Ich war fast das ganze Jahr 2018 für 'Mulan' in Neuseeland", sagte sie. Davor sei sie mehrere Wochen durch China gereist, wo sie in Museen und Archiven historische Kostümmodelle studierte. Die Filmkostüme sollten historisch und modern zugleich sein, aus natürlichen Materialien wie Seide, Leinen oder Baumwolle angefertigt werden, außerdem mussten sie actiontauglich sein. Sie ließ alle Kleider, Hüte, Schuhe und Accessoires selbst anfertigen, allein die Modistin stellte 1350 Hutmodelle her. Es gab eine eigene Kostümwerkstatt in Auckland, dort saß sie auch, als im April 2018 die Deutschen Filmpreise in Berlin vergeben wurden. Sie gewann in der Kategorie "Bestes Kostümbild", abholen konnte sie die Auszeichnung für ihre Arbeit an Julian Rosefeldts Filminstallation "Manifesto" aber nicht.

Dieses Schicksal könnte sich jetzt bei den Oscars wiederholen: Derzeit ist Bina Daigeler in Berlin und bereitet die neue Netflix-Serie der "Dark"-Macher Baran bo Odar und Jantje Friese vor. Drehstart von "1899" ist im Mai. Ob sie davor noch schnell nach Los Angeles fliegen kann, weiß sie nicht, das hänge auch von der Entwicklung des pandemischen Geschehens und von Quarantäne-Bestimmungen ab. "Ich habe schon mit Steven Soderbergh gesprochen, der die Show dieses Jahr produziert", erzählt sie am Telefon, "sie planen eine Präsenzveranstaltung." Am Ende werde aber alles gut, ist sie sich sicher, egal ob sie vor Ort sei oder nicht. Ihre Oscar-Chancen schätzt sie als eher gering ein, dafür sei die Konkurrenz in ihrer Kategorie zu groß. "Ich freue mich trotzdem sehr", sagt sie, "die Nominierung ist eine riesige Anerkennung für die jahrelange Arbeit." Und auch für "Mulan" gab es ein Happy End: Der Film hat mittlerweile sein Publikum gefunden, er landete im Herbst nach mehreren Startterminverschiebungen direkt beim Streaming-Portal Disney+.

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