Süddeutsche Zeitung

Oscars 2020:Die Tücken der freien Wahl

Auch dieses Jahr werden die Oscar-Nominierungen stark kritisiert - wieder einmal dominieren weiße Männer. Die Oscar-Academy gibt sich Mühe, diverser zu werden, kann den Wahlprozess aber nur begrenzt kontrollieren.

Von David Steinitz

Seit am Montag die Nominierungen für die Oscars bekannt gegeben wurden, ist die Empörung mal wieder groß. Die Filmemacher, die es in die Endauswahl für die Preisverleihung am 9. Februar geschafft haben, sind hauptsächlich männlich und weiß. Exemplarisch steht dafür die Kategorie Beste Regie. Hier würden, laut Kritikern, fast nur Künstler wie Quentin Tarantino ("Once Upon a Time in Hollywood"), Todd Phillips ("Joker") und Martin Scorsese ("The Irishman") nominiert. Eine Liste, die es an Diversität mangeln lasse.

Verantwortlich wird hierfür, wie immer, die amerikanische Filmakademie gemacht, deren Mitglieder die Nominierten und schließlich auch die Gewinner wählen. Dabei bekommt man in der Berichterstattung der vergangenen Tage manchmal das Gefühl vermittelt, diese Akademie bestünde nur aus einer Handvoll verbohrter, unbelehrbarer Dinosaurier, die in einer Mischung aus Misogynie und Xenophobie um jeden Preis ein Weltbild des vergangenen Jahrhunderts aufrechterhalten wollen. Das mag zu Teilen richtig sein, die ganze Wahrheit ist aber etwas komplizierter. Weil es immer wieder Proteste gegen die Nominierungen gab, hat die Akademie in den letzten fünf Jahren viele neue Mitglieder aufgenommen, unter besonderer Berücksichtigung von Geschlecht und Hautfarbe. Die Hoffnung: Ein bunteres Gremium solle auch buntere Nominierte hervorbringen. Mittlerweile gibt es an die 9000 Mitglieder auf der ganzen Welt.

Nachbesserungsbedarf besteht weniger bei den Oscars als bei den Produzenten

Allein, die Idee ist vorerst gescheitert. Erstens haben auch die paritätisch ausgewählten neu aufgenommenen Mitglieder den gesamten Pool nur ein bisschen bunter gemacht. Der Frauenanteil ist laut Hollywood Reporter von 25 Prozent im Jahr 2015 auf 32 Prozent im Jahr 2019 geklettert; der Anteil der "people of colour" stieg von acht auf 16 Prozent. Und zweitens, auch das ist ein Teil der Wahrheit dieser Nominierungsliste, haben anscheinend auch die wenigen Frauen und nicht-weißen Mitglieder der Akademie für Tarantino und Scorsese gestimmt.

Darüber muss man sich aber nicht zwangsläufig aufregen. Oft schon hatten sich die Oscars mit absurden Entscheidungen vom Geschmack des breiten Publikums entfernt. Das ist dieses Jahr nicht der Fall. Schaut man sich die Zuschauerzahlen an (und die wenigen Zahlen, die Netflix über das Klickverhalten seiner Abonnenten veröffentlicht), sind fast nur Filme nominiert, die sich tatsächlich weltweit viele Menschen anschauen. Wenn sich diese Akzeptanz in den Nominierungen niederschlägt, ist das ein gutes Zeichen, weil die Akademie sich nicht zu einem elitären Kunstfilmzirkel für Insider entwickelt, sondern einfach die besten Filme des Jahrgangs ehrt.

Natürlich bleibt trotzdem die Frage, wie man das Nominierungsfeld generell bunter machen kann. Einerseits wird die Akademie weiter nachbessern müssen, was die Zusammensetzung ihrer Mitglieder angeht; andererseits können die aber auch nur wählen, was da ist.

Weshalb der eigentliche Nachbesserungsbedarf nicht am Ende der Auswertungskette bei den Filmpreisen liegt, sondern am Anfang, bei den Produktionsentscheidungen. Hier stehen nicht nur die klassischen Hollywood-Studios in der Pflicht, sondern mehr denn je auch die neuen Player. Der Streamingdienst Netflix führt mit 24 Nennungen das Feld der Produktionsfirmen mit den meisten Nominierungen an. Das könnte sich auch in Zukunft wiederholen, allein 2020 will Netflix laut Medienberichten bis zu 17 Milliarden Dollar für Einkäufe und Eigenproduktionen ausgeben. Vielleicht könnte man die ein oder andere Milliarde auch einsetzen, um die Geschlechter- und Herkunftsverhältnisse in der Branche endlich richtig zu durchmischen.

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Quelle:
SZ vom 18.01.2020
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