Oscars 2017:Das liberale Hollywood produziert Helden, wie Trump sie mag

Captain America Civil War

Absolute, global agierende Helden: Filme wie "Captain America" beflügeln Träume, die denen in Washington gerade sehr nahekommen.

(Foto: Walt Disney Company)

In einem völlig veränderten Amerika werden die Oscars vergeben. Die Branche hält sich für fortschrittlich und glaubt an das Kino als Geheimwaffe. Aber die Realität sieht anders aus.

Von Tobias Kniebe

Es gilt bei den Oscars als Ehrensache, zum Ende der Saison alle anderen, kleineren Filmpreisverleihungen zu überstrahlen. Doch die Latte liegt diesmal hoch, wenn die Auszeichnungen in der Nacht zum Montag in Los Angeles vergeben werden. Potenzielle Gewinner basteln längst an hochpolitischen Dankesreden - aber es wird nicht leicht, an Meryl Streep vorbeizukommen, deren flammende Anti-Trump-Rhetorik bei den Golden Globes im Januar den Präsidenten zu einer Twitter-Beleidigung ("eine der überschätztesten Schauspielerinnen") veranlasste.

Immerhin, die Oscars 2017 haben einen nominierten Regisseur aus Iran, Asghar Farhadi, der persönlich von Donald Trumps Reisebann betroffen war und der deshalb aus Protest fernbleibt. Ihm und seinem Film "The Salesman" werden zahlreiche Solidaritätsadressen gelten. Die Stimmung ist aufgeheizt: Cheryl Boone Isaacs, die schwarze Präsidentin der Oscar-Academy, sieht die künstlerische Freiheit bedroht "wie seit den Fünfzigerjahren nicht mehr".

Kein Zweifel: Die Kreativen von Hollywood arbeiten in einem Medium, das seit Langem als politische Geheimwaffe gilt - dem Kino. Diktatoren und Propagandaminister glaubten fest an die Wirkmacht des Films auf Herz und Verstand. Der berüchtigte US-Senator Joseph McCarthy war ebenfalls davon überzeugt; er witterte im Kalten Krieg überall in Hollywood kommunistischen Unrat.

Was ist dran an dieser Wirkmacht?

Auch heutige Filmemacher glauben an ihren Einfluss, im positiven Sinn. Weshalb sie stolz auf das fortschrittliche Signal verweisen, das in diesem Jahr von sieben nicht-weißen Nominierten in den Schauspielkategorien (Rekord!) ausgeht. Aber was ist wirklich dran an dieser gesellschaftsverändernden Wirkmacht?

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Nimmt man die Filme in den Blick, die Hollywood tatsächlich für ein Massenpublikum produziert, so ist das Bild nicht sonderlich erhebend. Die zehn erfolgreichsten Hits des Jahres 2016, angeführt von "Star Wars: Rogue One", spielten in den USA zusammen 3,7 Milliarden Dollar an den Kinokassen ein - eine Oscar-Nominierung als bester Film schaffte davon aber keiner. Nur Disneys Tierspektakel "Zoomania" darf aus der Gruppe der erfolgreichsten zehn im Rennen um den besten Animationsfilm dabei sein.

Die Branche nimmt sich selbst nicht mehr ernst

So entsteht das Bild einer Branche, die mit Weltraum-Spektakeln und Superheldenfilmen wie "Batman versus Superman" zwar konsequent Geld verdient, ihre erfolgreichsten Produkte aber künstlerisch und gesellschaftlich selbst nicht mehr ernst nimmt.

Man versteht auch, warum: Erfolgsfilme wie "Captain America: Civil War" erreichen zwar Demokraten und Konservative gleichermaßen und gefallen garantiert auch Millionen Trump-Anhängern. Falls sie aber überhaupt politisch wirken, dann - ironischerweise - eher im Sinn des amtierenden Präsidenten: Die Comic-Fantasie einer absoluten, global agierenden, unbesiegbaren Machtclique, die durch keine Checks und Balances mehr kontrolliert werden kann, kommt aktuellen Träumen in Washington ziemlich nahe. Und schon immer spielten Storys wie "Batman" mit dem Albtraum einer korrupten und kaputten Welt, die einem standhaften Superreichen schließlich keine andere Wahl mehr lässt, als zur Selbstjustiz zu greifen.

Die großen Blockbuster, die den Hollywood-Studios das Überleben sichern, sind sehr oft dunkel, mehrdeutig und ambivalent. Sie befriedigen die Sehnsucht nach Integrität und Ritterlichkeit oft genauso wie die simpelsten Rachefantasien, und sie scheuen auch nicht den Flirt mit faschistischen Ideen. Jeder kann darin sehen, was er sehen möchte - perfekter Unterhaltungsstoff für ein innerlich zerrissenes Land. Als ideelle Waffen gegen Donald Trump taugen sie jedoch überhaupt nicht. Weshalb es nur konsequent ist, dass sie bei den Oscars draußen bleiben müssen.

Denn wenigstens einmal im Jahr möchte Hollywood diese Ambivalenz verdrängen und sich als Kraft des Fortschritts feiern. Dafür eignet sich ein nominierter Film wie "Hidden Figures", in dem der historische Beitrag schwarzer Mathematikerinnen zum Space-Programm der USA gewürdigt wird, oder "Moonlight", die berührende Geschichte eines schwarzen Ghettokids aus Miami, das trotz cracksüchtiger Mutter und mitleidlosen Mobbings lernt, zu seinem Schwulsein zu stehen. Einer der von den Kritikern meistgefeierten Filme, dem ein Schauspiel-Oscar sicher zu sein scheint - steht in den US-Kinocharts des Jahres allerdings nur auf Platz 102.

Solche ernüchternden Zahlen sind es, die eher für direkten Aktivismus sprechen - Superstars als besorgte Bürger, die ihren Ruhm gegen die Politik Washingtons in die Waagschale werfen. George Clooney erprobt gerade eine interessante Strategie der tödlichen Umarmung. Er stellt heraus, dass Trump durch Gastauftritte im Kino und als Reality-Fernsehstar Mitglied der Schauspielgewerkschaft ist, von dort eine satte Pension bezieht - und also selbst Teil der verhassten Hollywood-Elite sei. Ob das bei den Trump-Wählern Wirkung zeigt?

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