Oscars 2014:Ethik sticht Humor

'12 Years a Slave' director Steve McQueen poses with his best picture Oscar backstage at the 86th Academy Awards in Hollywood

Am Schluss triumphiert Steve McQueen: Sein Sklavendrama "12 Years a Slave" holt den Oscar in der Königsklasse "Bester Film"

(Foto: REUTERS)

Selten war die Ausgangslage bei der Oscar-Verleihung so offen wie in diesem Jahr. Von den drei favorisierten Filmen konnten nur "12 Years a Slave" und "Gravity" die Erwartungen bestätigen. "American Hustle" wurde unverdient abgestraft.

Von Paul Katzenberger

Als Jack Nicholson bei der Oscarverleihung 2006 den Hauptpreis des Abends verkündete, entfuhr ihm ein "Whoa!". Mulholland Man war platt, denn so gut wie alle anderen Oscar-Experten hatte er mit dem Siegerfilm "L.A. Crash" wohl nicht in den kühnsten Träumen gerechnet, vielmehr galt "Brokeback Mountain" als unschlagbar.

Eine solche Überraschung blieb bei der 86. Verleihung der Academy Awards in diesem Jahr aus - mit "12 Years a Slave" holte sich einer der drei Favoriten den Preis in der Königsdisziplin des "Besten Films".

Dabei war das Rennen so spannend und offen wie zuletzt höchstens 2001. Damals traten mit "Gladiator", "Tiger and Dragon" sowie "Traffic" drei Filme gegeneinander an, denen weitgehend ebenbürtige Chancen eingeräumt worden waren. In diesem Jahr hießen die drei Favoriten "American Hustle", "12 Years a Slave" und "Gravity", unter denen sich im Gegensatz zu den Vorjahren kein Film eine Vormachtstellung hatte sichern können.

"Argo", "Bester Film" bei den Oscars 2013 hatte vor seinen Academy Awards bereits den "Golden Globe", den "British Academy Film Award" sowie den "Producers Guild of America Award" gewonnen, der Oscar erschien da fast nur noch als Dreingabe. Ähnlich lief es bei den "Besten Filmen" der Oscar-Jahrgänge 2012 ("The Artist") und 2011 ("The King's Speech").

Wenn drei sich streiten

Viel unübersichtlicher war die Situation in diesem Jahr: "Gravity" hatte im Dezember den Hauptpreis der Los Angeles Film Critics Association gewonnen, "Hustle" wusste wiederum die New Yorker Filmkritiker von sich zu überzeugen. "12 Years" und "Hustle" wurden mit jeweils einer Trophäe bei den "Golden Globes" bedacht, und um das Gleichgewicht der Kräfte vollends zum Ausdruck zu bringen, konnte sich die Producers Guild of America zum ersten Mal in ihrer Geschichte nicht für einen Hauptpreisträger entscheiden - sie vergab ihre Auszeichnung sowohl an "Gravity" als auch an "12 Years".

Wenn drei sich streiten, freut sich der Vierte, heißt es. Und in der Tat konnten sich Außenseiter-Filme wie "The Wolf of Wall Street" oder "Dallas Buyers Club" bei dem diesjährigen Dreikampf eine kleine Chance ausrechnen, dank des 2009 geänderten Bewertungssystems, bei dem die 6028 Mitglieder der Academy inzwischen nicht mehr nur Erststimmen für den "Besten Film" vergeben, sondern auch Zweit-, Dritt- und noch mehr Stimmen, die nach hochkomplizierten Regeln zusammengezählt werden.

Die Mannschaft musste zittern

Hätten sich die drei Favoriten im Erststimmenvergleich gegenseitig in Schach gehalten und die Zweit- und Drittstimmen wären an Außenseiter gegangen, die Überraschung wäre womöglich perfekt gewesen.

Dass der spektakuläre Favoritensturz ausblieb, spricht nun dafür, dass die "Gravity"- und "Hustle"-Fans unter den Mitgliedern der Academy mit zweiter oder dritter Prioriät auch von "12 Years" begeistert waren, und das ist bei der Unterschiedlichkeit der Genres eigentlich erstaunlich: Denn wer auf eine Überlebensgeschichte im Weltraum ("Gravity") oder eine Gesellschaftssatire aus den Siebzigern ("Hustle") steht, dem müsste eine Gesellschaftssatire aus den Neunzigern ("The Wolf of Wall Street") oder eine Liebesgeschichte von morgen ("Her") eher liegen als ein Historienfilm wie "12 Years".

Andererseits brachte das Sklaverei-Drama des britischen Regisseurs Steve McQueen alle Markenzeichen für eine Salbung durch die Academy mit: Der Film beruht auf einer wahren Geschichte, der Autobiografie von Solomon Northup aus dem 19. Jahrhundert. Er zeigt die Zeit kurz vor dem Amerikanischen Bürgerkrieg in den überzeugenden Bildern von Kameramann Sean Bobbitt, einem langjährigen Begleiter McQueens. Die Anforderungen an die Schauspieler waren in "12 Years" hoch und Chiwetel Ejiofor, Michael Fassbender und der Newcomerin Lupita Nyong'o, allesamt im Theater gestählt, bewältigten sie mit Bravour. Und nicht zuletzt ist dem Film etwas zu eigen, was die Academy besonders liebt: eine unumstößliche Moral.

"Gravity" sammelt den ganzen Abend lang Oscars

Doch "12 Years" war über lange Strecken des Abends nicht der Dominator - Regisseur Steve McQueen und seine Mannschaft mussten bis zum Schluss zittern, bis die neun Nominierungen in drei Academy Awards umgemünzt waren.

Der Weltraum-Blockbuster "Gravity" sammelte hingegen über den ganzen Abend verteilt Trophäen, was auch so erwartet worden war, weil fast alle dieser Oscars in technischen Disziplinen wie "Beste visuelle Effekte", "Beste Kamera" und "Bester Ton" vergeben wurden, die sich Regisseur Alfonso Cuaron für seine technologische Pionierarbeit nach allgemeiner Erwartung verdient hatte. Denn wie er den Zuschauer mit intelligent eingesetzter 3D-Technik in die Schwerelosigkeit des Weltalls holt, ist sensationell.

Dafür musste der Mexikaner den Film in den viereinhalb Jahren seiner Produktionszeit zwei Mal drehen, weil ihm etliche technische Möglichkeiten bei Drehbeginn noch nicht zur Verfügung standen. Dass ihm für diese Herkulesaufgabe neben den sechs technischen Academy Awards am Schluss auch noch der angesehenere Regie-Oscar verliehen wurde, war folgerichtig. Ebenso erwartbar war allerdings die Nichtberücksichtigung beim Hauptpreis des Abends, denn "Gravity" hat kaum eine Handlung.

Eine Niederlage, wie es sie in dieser Härte schon lange nicht mehr gegeben hat, musste an diesem Abend im Dolby Theatre "American Hustle" einstecken. Die Screwball-Komödie von David O. Russell trat mit zehn Nominierungen an und ging vollkommen leer aus. Selbst der langatmige Historienschinken "Lincoln" war im vergangenen Jahr nicht so gerupft worden und hatte wenigstens Trost-Oscars mit nach Hause nehmen dürfen.

Ungerechte Ohrfeige

Im Vergleich dazu erschien die schallende Ohrfeige für "American Hustle" in diesem Jahr ungerecht. Denn die Komödie wird von einem starken Schauspieler-Ensemble getragen, das die absurde Geschichte des Films in hinreißendem Irrsinn gipfeln lässt, der sehr vergnüglich anzusehen ist.

Christian Bale, Amy Adams, Bradley Cooper und Jennifer Lawrence, die für alle vier Darsteller-Preise nominiert waren, hatten einfach das Pech, dass sie gerade in den Schauspieler-Kategorien auf starke Konkurrenz stießen. Denn die Oscars für Matthew McConaughey und Jared Leto (beste männliche Haupt- und Nebendarsteller jeweils in "Dallas Buyers Club") sowie für Cate Blanchett (beste Hauptdarstellerin in "Blue Jasmine") waren allgemein erwartet worden. Nur dass Jennifer Lawrence beim Oscar für die beste weibliche Nebenrolle gegen Newcomerin Lupita Nyong'o und deren Darstellung der Sklavin Patsy in "12 Years" den Kürzeren zog, kam überraschend.

So sehr "American Hustle" der Überraschungsverlierer des Abends war, so sehr durfte sich "The Great Gatsby" über überraschende Erfolge freuen: Zwei Mal nominiert, zwei Oscars geholt (für "Bestes Szenenbild" und "Bestes Kostümdesign") - von dieser Effizienz konnte David O. Russell an diesem Abend nur träumen. Vielleicht sollte er als nächstes ein Drama drehen - ernste Moralabhandlungen haben der Academy in ihrer Geschichte meistens besser gefallen.

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