Oscars 2020:Die Übergangenen

Hustlers; Filmstills

Jennifer Lopez spielt in "Hustlers" eine Gangster-Stripperin zwischen Mütterlichkeit und Härte.

(Foto: Barbara Nitke/STXfilms)

Auch in diesem Jahr gibt es wieder etliche oscarwürdige Performances, die von der Academy ignoriert wurden. Hier sind vier Beispiele - von der Gangster-Stripperin bis zum Urvater des gereimten Ghetto-Slangs.

Aus der SZ-Redaktion

Jennifer Lopez

Eigentlich ist schon dieser erste Auftritt oscarwürdig - die Szene, mit der der Film "Hustlers" seine Heldin, ja seine Königin, Ramona Vega einführt. Jennifer Lopez legt da einen Poledance hin, der einem den Atem raubt. Sie ist athletisch, selbstbewusst, sie hat die totale Kontrolle über die Männer vor der Bühne - und über die Kamera. Die Vorstellung, Strippen könnte schmuddelig, irgendwie traurig sein oder das Gegenteil von Feminismus, erscheint plötzlich absurd. Strippen ist glamourös in dieser Szene, es ist der Gipfel weiblicher Macht.

Später fläzt Ramona in einem riesigen Pelzmantel auf einem New Yorker Dach, schaut auf die Skyline und raucht. Ihre neue, noch unbeholfene Kollegin kommt dazu, sie friert. "Komm in meinen Pelz!", sagt Ramona, mit schöner Wärme und Selbstverständlichkeit. Zusammen werden sie nach der Finanzkrise anfangen, die übrig gebliebenen Wallstreet-Banker übers Ohr zu hauen. Sie flirten mit ihnen, träufeln Drogen in ihre Drinks und reizen dann, zurück im Club, gnadenlos ihr Kreditkartenlimit aus. Für Ramona ist es ein Rachefeldzug. "Das ganze Land ist ein Stripclub", sagt sie, "es gibt die Leute, die mit Geld werfen, und die anderen, die für sie tanzen."

Jennifer Lopez ist das Kraftzentrum dieses Films. Sie hat das Charisma eines echten, klassischen Stars. So jemand wie sie wird natürlich nie ganz in einer Rolle verschwinden. Aber wie Lopez die Stärke dieser Gangster-Stripperin zwischen Mütterlichkeit und Härte changieren lässt, das ist eine große schauspielerische Leistung.

Kathleen Hildebrand

Awkwafina

Kinostart - 'The Farewell'

Awkwafina, geboren als Nora Lum, in dem Film "The Farewell".

(Foto: dpa)

Sie würde vermutlich sogar mit dem Herrgott herumdiskutieren und tut das ja auch im Pilotfilm zu ihrer neuen Comedyserie "Nora From Queens". Awkwafina ist gerade der aufstrebende Jungstar in Hollywood - eigenwillig, feministisch, ein großes komisches Talent. Als (in China geborene, in New York sozialisierte) Billi Wang muss sie in "The Farewell" ihrer todkranken Großmutter in China heile Welt vorspielen.

Awkwafina verkörpert also eine schlechte Schauspielerin - und ist sehr, sehr gut darin. Durch ihre fröhliche Fassade inmitten ihrer chinesischen Großfamilie, die der Kranken Hochzeitsvorbereitungen vorgaukelt, lässt sie immer Anflüge von Trauer und Verlorenheit hindurchscheinen. Dafür gab es zwar einen Golden Globe, aber keine Oscarnominierung - womit wieder einmal eine Chance für mehr Diversität verpasst wurde und eine bessere Repräsentation der Asian Americans.

Awkwafina, als Nora Lum geboren, ist die Tochter eines chinesisch-amerikanischen Vaters und einer südkoreanischen Mutter. Bekannt wurde sie als Rapperin, mit dem furios-feministischen Youtube-Video "My Vag" (2012) über ihre Vagina, eine Antwort auf all die Macho-Männer des Rap und ihre Penis-Reime. Es folgten ein Soloalbum und erste Nebenrollen im Film. Sie spielte in "Crazy Rich Asians" von Jon Chu mit und in "Ocean's 8". Die Rolle in "The Farewell" war ihre erste Hauptrolle - und Awkwafina zeigte, dass noch mehr in ihr steckt. Ihr Gesicht kann wie ein unbeschriebenes Blatt anmuten, auf das sich vieles projizieren lässt.

Martina Knoben

Eddie Murphy

Filmstills

Eddie Murphy als Rudy Ray Moore in "Dolemite Is My Name"

(Foto: Verleih)

Gäbe es eine Oscar-Kategorie für den besten Pimp, wäre der Schauspieler Eddie Murphy dieses Jahr garantiert nominiert worden. So aber ist der 58-Jährige erstaunlicherweise leer ausgegangen, obwohl er auch in der Sektion bester Hauptdarsteller bestens aufgehoben gewesen wäre. In der Tragikomödie "Dolemite Is My Name" spielt er die Comedy-Legende Rudy Ray Moore, die in den Siebzigerjahren im Zuhälter-Look als Kunstfigur "Dolemite" berühmt wurde - ein Urvater des gereimten Ghetto-Slangs und daher Vorbild für viele Hip-Hop-Stars. "Ohne Rudy Ray More gäbe es keinen Snoop Dogg, and that's for real", gab der Rapper Snoop Dogg einmal zu Protokoll.

Eddie Murphy spielt den ehemaligen Plattenverkäufer, dem eine Reihe selbstproduzierter Alben mit derben Reimen über Bitches und Motherfucker zum Durchbruch verhalf, so zotig, dass sie für den Mainstream nie tragbar waren. In seiner Interpretation ist Moore ein sympathischer Halbstarker mit Hang zur Hybris. In Deutschland kam der Film nicht ins Kino, ist aber auf Netflix verfügbar.

Am schönsten ist die zweite Hälfte, in der Murphy alias Dolemite fluchend aus einem Billy-Wilder-Film kommt, von dem er nicht versteht, warum ihn die spießigen Weißen so witzig finden: "This movie had no titties, no funny and no kung-fu." Danach verschuldet er sich, um selbst einen Film mit den genannten Elementen zu realisieren - durch den er, nach einigen Umwegen, tatsächlich zu einem Star des Blaxploitation-Kinos wird.

David Steinitz

Adam Sandler

'Der schwarze Diamant' mit Adam Sandler

Adam Sandler in "Der "schwarze Diamant/Uncut Gems"

(Foto: picture alliance/dpa)

Noch so ein Knaller, der es dieses Jahr nicht in die Kinos geschafft hat - "Uncut Gems", der zweite Film des Brüderpaars Josh und Benny Safdie. Adam Sandler gibt darin einen spielsüchtigen Edelsteinhändler im rauen, hart feilschenden New Yorker Diamanten-Distrikt, der bei zwielichtigen Deals und Basketballwetten immer höher pokert, bis ihm sein ohnehin superhektisches Leben komplett um die Ohren fliegt.

Die Times of Israel fragte nicht zu Unrecht, warum hier ein uraltes rassistisches Stereotyp - der jüdische Händler, der im Grunde alle übers Ohr hauen will - keinen massiven Protest ausgelöst hat. Und fand die interessante Erklärung, das Sandler diesem alles andere als lupenreinen Protagonisten hier von innen heraus ein überzeugendes Leben verleiht - so glaubwürdig, dass jeder Verdacht einer Denunziation sofort zerstreut wird.

Das ist wahr - Sandler verkörpert diesen Howard Ratner, ohne seine Schwächen im Geringsten zu beschönigen, macht aber in jeder Szene klar, dass er kein wirklich übler Typ ist. Er steckt nur eben im Würgegriff einer Sucht, die längst stärker ist als er selbst und ihm keine Sekunde Ruhe gönnt. Für eine Oscarnominierung aber war diese Figur dann wohl doch zu zwielichtig, vielleicht stand Sandler auch sein umfangreiches Gesamtwerk aus simpleren Komödien im Weg. Schade, kann man nur sagen - denn hier erinnert er überzeugend daran, was die Urkraft des Erzählens überhaupt ist: gerade jenen Figuren so nah wie möglich zu kommen, die auf spannende Weise fehlbar sind.

Tobias Kniebe

Zur SZ-Startseite

Oscar in Grafiken
:Weiß, männlich, Netflix

Schon wieder kaum Frauen, schon wieder kaum Nichtweiße - dennoch hält die diesjährige Oscarverleihung ein paar Überraschungen bereit. Ein datenanalytischer Blick auf die 92. Academy Awards.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: