Süddeutsche Zeitung

Oscar-Nominierungen:Zauber der Vergangenheit

Hollywood blickt zurück. Auf Krieg, Literatur, Gesellschaft und nicht zuletzt auf sich selbst - mit französischer Hilfe. Einen Blick in die Zukunft wagen die Oscar-nominierten Filme dieses Jahres nicht.

Christina Jungkurth

Ach, die Vergangenheit! Wie gerne denken wir manchmal zurück, besonders an Epochen, die wir selbst nicht erlebt haben. Dieses Jahr stehen auch die Oscar-Nominierungen in der Kategorie "Bester Film" ganz im Zeichen des Rückblicks: Fünf der neun Kandidaten in der Königsdisziplin sind in den Jahrzehnten Anfang und Mitte des 20. Jahrhunderts angesiedelt.

Schön war sie, die Zeit, in der Ernest Hemingway und Salvador Dalí durch die Straßen von Paris flanierten, als Filme noch vom Können der Schauspieler lebten statt von teuren Effekten und als ein Jahrzehnt es verdiente, nachträglich mit dem Prädikat "Golden" ausgezeichnet zu werden.

Die 1920er Jahre sind bei den diesjährigen Oscar-Nominierungen gleich zwei Mal prominent vertreten: In Woody Allens "Midnight in Paris" und dem französischen Stummfilm "The Artist", die beide in der Kategorie "Bester Film" nominiert sind. Zeitlich umrahmt werden die beiden von Scorseses 30er-Jahre-Märchen "Hugo Cabret" und dem Spielberg-Epos "War Horse", der vor und während des Ersten Weltkriegs spielt. Und auch der fünfte Anwärter auf die große Auszeichnung widmet sich der Vergangenheit: "The Help" zeichnet die Situation schwarzer Hausangestellter in den USA der frühen 1960er Jahren nach.

Die zwei Letztgenannten zeigen: Bei allen verklärten Rückblicken findet auch die kritische Sicht auf Vergangenes ihren Platz unter den Oscar-Nominierten. Statt auf die Goldenen Zwanziger blickt der Zuschauer hier in ein Jahrzehnt, in dem Europa im Krieg versank, und in eine Zeit, in der die schwarze Kinderfrau nicht einmal die Toiletten der weißen Herrschaften benutzen durfte.

Erstaunlich: Kein einziger Science-Fiction-Film hat es dieses Jahr zu einer Nominierung in den wichtigsten Kategorien geschafft; die übrigen vier Nominierten spielen alle mehr oder weniger im Heute. Filme wie "Inception" (2011 für acht Oscars nominiert) oder "Avatar - Aufbruch nach Pandora" (neun Nominierungen für die Oscars 2010) sucht man diesmal vergeblich.

Nominierungen sind keine Preis-Garantie

Auch die großen Effektschlachten finden dieses Jahr nicht den Weg in die Topliste. Allein "Hugo Cabret" spielt mit aufwändigen Tricks und 3D. Damit stehen sich mit den beiden Meistnominierten zwei Filme völlig gegensätzlicher Machart gegenüber: der französische "Artist", der sich auf die schwarz-weiße, stumme Anfangszeit des Films zurückbesinnt, und eben "Hugo Cabret", die Hollywood-Produktion, die alles nutzt, was die Technik hergibt.

Dabei haben beide doch etwas gemeinsam: Auf ihre jeweils eigene Art feiern sie das Kino, das der guten alten Zeit, aber auch das der nicht unbedingt schlechteren neuen, wenn auch nur mittelbar: Scorsese zeigt die Liebe des Waisenjungen Hugo für den Film des 20. Jahrhunderst mit den Mitteln des 21. Jahrhunderts, während Michel Hazanavicius seinen "Artist" als Hommage an den Stummfilm inszeniert.

Dass die Vergangenheit am Ende bei der Preisverleihung genauso gut wegkommt, wie die Nominierungen hoffen lassen, ist allerdings alles andere als garantiert. Denn eben diese Vergangenheit zeigt: Viele Nominierungen verhelfen einem Film nicht notwendigerweise zu vielen Auszeichnungen. "True Grit" etwa, 2011 in zehn Kategorien nominiert, bekam am Ende keinen einzigen Preis. Wenn schon die Zukunft dieses Jahr zu kurz kommt, dann hat vielleicht wenigstens die Gegenwart noch eine Chance.

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