Oscar-Nominierungen:"Schon okay, hab' mir meinen eigenen gemacht"

Oscar-Gewinner 2015

"Snubbed" bedeutet in Hollywood, dass jemand abgewiesen oder übergangen wird. Auch bei den Nominierungen für die Oscars mussten das einige ertragen, die sich berechtigte Hoffnungen gemacht hatten. Manche nehmen das mit Humor.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Es gab keinen Jubel, keinen Beifall, noch nicht einmal ein vorsichtiges Klatschen wie bei anderen Werken. Es war vielmehr ein kollektives Ausatmen im Samuel Goodwyn Theater in Beverly Hills, als Cheryl Boone Isaacs den Namen dieses Films doch noch sagte. Die Präsidentin der Academy of Motion Picture Arts and Sciences verkündete, dass "Selma" in der wichtigsten Kategorie der 87. Oscar-Verleihung nominiert sei. Das Drama um den Bürgerrechtler Martin Luther King Jr. hat also die Chance, am 22. Februar im Dolby Theater in Hollywood als bester Film des Jahres ausgezeichnet zu werden.

Es hätte für Aufregung gesorgt, wäre der Film über einen bedeutenden Afroamerikaner, erstellt von einer afroamerikanischen Regisseurin (Ava DuVernay) mit einem britischen Hauptdarsteller, der nigerianische Eltern hat (David Oyemowo), - gelobt von der Kritik, geliebt vom Publikum - nicht für den bedeutendsten Filmpreis der Welt nominiert worden. Ein fader Beigeschmack bleibt dennoch aufgrund der Berücksichtigung in nur zwei Kategorien (die andere Nominierung gab es für "Glory" als bestes Lied), der Komiker Patton Oswalt fasst die Gedanken der Akademie-Mitglieder ironisch zusammen: "Selma? Einer der besten Filme des Jahres. Aber Regie, Drehbuch, all die Schauspielerei und die Kameraführung? Nööö. Trotzdem: netter Song."

Snubbed wird das in Hollywood genannt. Abgewiesen. Übergangen. Derartige Enttäuschungen gehören dazu bei der Bekanntgabe der Nominierten, es geht weniger ums Auszeichnen, als vielmehr ums Aussortieren. Die Veranstaltung ist deshalb weniger spektakulär als die Verleihung selbst, auch wenn in diesem Jahr zum ersten Mal in der Geschichte die Nominierten aller 24 Kategorien gleichzeitig bekannt gegeben wurden. Niemand läuft in wunderbaren Abendkleidern über einen Roten Teppich, Moderator Neil Patrick Harris ist auch nicht da für eine auflockernde Musical-Einlage. Nur die Filmemacher Alfonso Cuarón und J.J. Abrams, der Schauspieler Chris Pine und Academy-Präsidentin Cheryl Boone Isaacs - und die lesen recht zügig vor, wer sich Hoffnungen machen darf auf eine goldene Statue.

Zu den Übergangenen gehören unter anderem die Produzenten von "The Lego Movie", Regisseur Phil Lord nahm die Nicht-Berücksichtigung in der Kategorie Bester Animationsfilm allerdings mit Humor. Er veröffentlichte auf Twitter einen Lego-Oscar und schrieb darunter: "Schon okay, hab' mir meinen eigenen gemacht."

Ebenfalls nicht nominiert: Amy Adams, die für ihre Rolle in "Big Eyes" den Golden Globe gewonnen hatte. Angelina Jolie als beste Regisseurin ("Unbroken") und Clint Eastwood als bester Regisseur ("American Sniper"). Außerdem: Steve James und sein Dokumentarfilm "Life Itself" über den Filmkritiker Roger Ebert - vor exakt 20 Jahren war James schon einmal übergangen worden für sein Meisterwerk "Hoop Dreams".

Die Tage in Los Angeles, so heißt es zumindest immer, beginnen früh und sind auch recht schnell wieder vorbei. 5.30 Uhr morgens klingt dennoch eher nach Schlafzimmer denn nach Kinosaal - trotzdem war quasi ganz Hollywood auf den Beinen. Für die Branche sind die knappen Ansagen von immenser Bedeutung, weil sie einen Einblick bieten in das vergangene Filmjahr, womöglich einen Trend zeigen - und natürlich den Beginn der konspirativen Gespräche hinter den Kulissen und das offensive Rühren der Werbetrommel davor bedeuten. Über die Oscar-Nominierungen in den einzelnen Kategorien (außer beim besten Film) entscheiden Mitglieder der jeweiligen Verbände, nun aber votieren alle über alle Preise. Ausnahmen gibt es nur beim Auslands-Oscar sowie den Dokumentar- und Kurzfilmen.

Produzent Anthony McCarten etwa sagte, dass er die Nacht auf der Couch verbracht habe. Als er erfuhr, dass sein Film über das Universalgenie Stephen Hawking ("The Theory of Everything") fünf Mal nominiert ist, verkündete er: "Wer sich an so einem Morgen nicht gut fühlt, der sollte am Besten überhaupt nicht aufwachen." Er sprach jedoch eine Warnung an seine Freunde aus, die ihm mit ihrem grenzenlosen Optimismus dauernd Hoffnungen machen würden: "Nominiert zu sein ist schon ein Sieg."

Fokus auf kleinere Produktionen

Ähnlich reagierten auch die anderen Nominierten - Emma Stone (beste Nebendarstellerin) etwa flippte komplett aus: "Ich bin verdammt aufgeregt. Darf man 'verdammt' sagen, wenn man ein Statement zu den Oscars abgibt? Ich bin einfach verdammt aufgeregt." Julianne Moore (beste Hauptdarstellerin) schrieb auf Twitter: "Ich bin so glücklich, dass ich kaum atmen kann." Mark Ruffalo (bester Nebendarsteller) gab sich ein wenig unaufgeregter: "Danke, ich fühle mich geehrt und demütig."

Die Akademie-Mitglieder haben durch ihre Nominierungen ein deutliches Statement abgegeben, sie haben in diesem Jahr kleinere Produktionen wie "The Grand Budapest Hotel" (neun), "Birdman" (neun), "The Imitation Game" (acht), "Boyhood" (sechs) und "Die Entdeckung der Unendlichkeit" (fünf) überaus großzügig bedacht, dafür große Studioproduktionen wie "Interstellar" (fünf), "Unbroken" (drei), "Gone Girl" (eine) und "Planet der Affen - Revolution" (eine) vor allem in bedeutsamen Kategorien eher übergangen. Einzige Ausnahme: Das Drama um den amerikanischen Scharfschützen Chris Kyle ("American Sniper"), die Verfilmung der moralischen Ambivalenz von Kriegsteilnehmern, wurde sechs Mal nominiert.

Kyle wird von Bradley Cooper dargestellt, der nun zum dritten Mal nacheinander (nach "American Hustle" und "Silver Linings Playbook") die Chance hat, als bester Hauptdarsteller ausgezeichnet zu werden. Er gilt als aussichtsreicher Außenseiter gegen Steve Carell, der in "Foxcatcher" den Millionär John du Pont verkörpert, gegen Benedict Cumberbatch für seine Darstellung eines wahnsinnigen Genies in "The Imitation Game", Michael Keaton als alternden Schauspieler in "Birdman" und Eddie Redmayne als Stephen Hawking in "The Theory of Everything".

Drei Nominierungen als bester Hauptdarsteller nacheinander, das klingt freilich spektakulär, ist aber kaum erwähnenswert im Vergleich zu Meryl Streep, die für ihre Rolle in "Into the Woods" als beste Nebendarstellerin nominiert ist - es ist die insgesamt 19. Berücksichtigung für Streep. Sie konkurriert nun mit Patricia Arquettte, Laura Dern, Keira Knightley und Emma Stone. Robert Duvall übrigens darf sich selbst künftig als ältester nominierter Schauspieler bezeichnen, der 84-Jährige wurde wie Ethan Hawke, Edward Norton, Mark Ruffalo und J.K. Simmons in die Liste der besten Nebendarsteller aufgenommen.

Der Hype um die Nominierten darf nun beginnen, es gibt nun während der Award Season beinahe täglich eine andere Veranstaltung, bei der Preise an Schauspieler und Regisseure verliehen werden - und jede einzelne wird als Indikator für den großen Abend in wenigen Wochen gewertet. So funktioniert das nun mal in Hollywood.

Ein künstlicher Hype dagegen kann mitunter auch schädlich sein, das zeigt die fehlende Nominierung von Jennifer Aniston als beste Hauptdarstellerin. Der Film "Cake" - Aniston spielt darin eine Frau, die mit vergangenen Tragödien und chronischen körperlichen Qualen umgehen muss - sorgte beim Toronto Film Festival vor vier Monaten für Aufregung, seitdem bastelte Aniston mehr oder weniger öffentlich an ihrer Nominierung und verkündete am Vorabend, sich zwar keinen Wecker stellen zu wollen, durchaus aber das Telefon (für mögliche Glückwünsche) eingeschaltet auf dem Nachttisch liegen zu haben.

Academy-Präsidentin Isaacs las an diesem Morgen jedoch fünf andere Namen vor: Marion Cotillard, Felicity Jones, Julianne Moore, Rosamund Pike und Reese Witherspoon. Auch in diesem Moment gab es keinen Jubel, keinen Beifall, kein vorsichtiges Klatschen. Sondern ein erleichtertes Ausatmen - jedoch aus einem anderen Grund als bei "Selma".

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