Nominierungen 2018:Wie sich "Me Too" auf die Oscars auswirkt

89th Academy Awards - Oscars Backstage

Viola Davis wurde bei den Oscars 2017 als beste Nebendarstellerin für ihre Rolle in "Fences" ausgezeichnet.

(Foto: Lucas Jackson/REUTERS)

Die Academy hat auf gesellschaftliche Kritik reagiert - und mehr Frauen und Nichtweiße nominiert. Ein datenanalytischer Blick auf die 90. Academy Awards.

Text: Carolin Gasteiger, Grafik: Sarah Unterhitzenberger

Vielleicht Viola Davis. Vielleicht verkörpert die 52-Jährige am besten, wer bei den Academy Awards immer noch zu kurz kommt. Frauen und Farbige. Auch aus diesem Grund war es bemerkenswert, als Davis im vergangenen Jahr für ihre Rolle in "Fences" mit einem Oscar als beste Nebendarstellerin ausgezeichnet wurde. Als erste dunkelhäutige Schauspielerin überhaupt, die einen Emmy (für die US-Serie How to get away with murder), einen Tony und einen Academy Award im selben Jahr gewonnen hat. Aber dass es überhaupt etwas Besonderes ist, dass eine Afroamerikanerin ausgezeichnet wird, zeigt, wo es bei den Oscars hakt.

Frauen und Nichtweiße. Wie sehr beide Gruppen immer noch vor und hinter der Kamera benachteiligt werden, veranschaulichen zwei Hashtags: #OscarsSoWhite und #MeToo. Unter dem einen wird gegen eine Vormacht weißer Nominierter bei den Academy Awards protestiert, der andere kritisiert sexuelle Übergriffe, Sexismus und letztendlich die Benachteiligung von Frauen im Filmgeschäft. Die Grenzen sind fließend. Und die 90. Academy Awards werden unter genau diesen beiden Vorzeichen betrachtet. Wie viele Farbige sind nominiert, wie viele Frauen?

Im vergangenen Jahr war erstmals zu sehen, was die gesellschaftliche Kritik bewirken kann: Die Academy holte mehr Frauen und nichtweiße Mitglieder in die Jury. Auch an den Nominierungen merkte man ein langsames Aufbrechen jahrzehntealter Strukturen. Mit "Moonlight" als bestem Film und zwei dunkelhäutigen Nebendarstellern - Viola Davis und Mahershala Ali - haben die 89. Oscars bewiesen, dass farbige Filmemacher nicht mehr grundsätzlich übergangen werden und erfolgreiche Filme nicht zwangsläufig einen weißen Cast haben müssen. In diesem Jahr gehen die Bemühungen um mehr Vielfalt bei den Nominierungen weiter.

Unter den Nominierten für den besten Schauspieler sind auch zwei dunkelhäutige Schauspieler - Daniel Kaluuya ("Get Out") und Denzel Washington ("Roman J. Israel, Esq."). Als beste Nebendarstellerinnen sind Mary J. Blige ("Mudbound") und Octavia Spencer ("The Shape of Water") nominiert. Aber das sind eben erst Ansätze, die Oscars vielfältiger zu gestalten. Die Nominierten in der Kategorie beste Hauptdarstellerin sowie in der Kategorie bester Nebendarsteller sind durchgehend weiß.

Zu viele weiße Nominierte sind das eine. Das andere sind zu wenige nominierte Frauen. Zum erst fünften Mal in der 90-jährigen Geschichte der Academy Awards ist mit Greta Gerwig eine Frau für einen Regie-Oscar nominiert, in der Kategorie Kamera ist Rachel Morrison die erste nominierte Frau überhaupt. Der aktuelle Hollywood Diversity Report hat untersucht, bei wie vielen der erfolgreichsten Kinofilme von 2011 bis 2016 Frauen Regie geführt haben. Das Ergebnis: Weniger als eine von zehn Regisseuren ist eine Frau.

Und wer moderiert? Jimmy Kimmel

Langsam öffnen sich die Oscars also für vielfältigere Filme und ethnisch ebenso vielfältige Casts und Filmemacher. Ein weiteres Signal in diesem Jahr: Mit "Coco" ist ein mexikanischer Animationsfilm nominiert, Guillermo del Toro ist ein mexikanischer Regisseur. Aber das Problem mangelnder Vielfalt liegt nur bedingt bei der Academy, sondern vielmehr in der Filmindustrie, die nach wie vor von weißen Männern geprägt ist. Mit den diesjährigen Nominierungen reagiert die Academy auf gesellschaftliche Diskussionen und Veränderungen. Und setzt ein wichtiges Zeichen in Richtung der Filmindustrie.

Bei der Frage, wie vielfältig sich die Academy Awards präsentieren, geht es aber nicht nur um die Nominierungen. Sondern auch um die Moderation der Oscarverleihung, ein Feld, das die Academy ganz bewusst mit Frauen, Männern, Weißen oder Nichtweißen besetzen kann. In der 90-jährigen Geschichte haben das Amt vorwiegend weiße Männer übernommen. Von 74 Moderatoren insgesamt waren lediglich 16 Frauen, ein bisschen mehr als ein Fünftel also. Agnes Moorehead führte als erste Frau zwar schon 1948 durch die Academy-Awards-Gala, allerdings zusammen mit ihrem Kollegen Dick Powell. 1974 moderierte Diana Ross als erste schwarze Künstlerin die Oscars. Dass ihr allerdings mit John Huston, Burt Reynolds und David Niven zwei Cowboys und ein britischer Gentleman zur Seite gestellt wurden, relativiert diese Fortschrittlichkeit. Bis 1994 dauerte es, dass eine Frau allein durch die Oscars führen durfte: Whoopi Goldberg. Der erste dunkelhäutige Mann, der alleine die Oscars moderierte, tauchte mit Chris Rock erst 2005 auf. Und in diesem Jahr? Moderiert zum zweiten Mal in Folge Jimmy Kimmel.

Kimmel mag als liberaler Comedian sensibel für die "MeToo"-Debatte und #OscarsSoWhite sein, er dürfte die Missstände auch in gewohnt bissiger Art anprangern. Allerdings ist er als weißer Mann rein phänotypisch genau das, was die Academy Awards immer noch prägt. Laut Schätzungen des US Census Bureau ist die amerikanische Bevölkerung zu lediglich 61 Prozent weiß, gefolgt von 17 Prozent Latinos, 13 Prozent Schwarzen und knapp sechs Prozent Asiaten. Bei den Oscars sind Weiße jedoch deutlich überrepräsentiert.

Manchen mag das als Zahlenklauberei erscheinen. Immerhin steht Hollywood nicht für ganz Amerika. Und die Oscars stehen in Zeiten, in denen sich Publikum und Branche immer mehr für Serien interessieren, nicht mehr stellvertretend für die Unterhaltungsindustrie. Serien wie Big Little Lies, Transparent oder Master of None sind für und von Minderheiten gemacht. Trotzdem blickt die Filmbranche weltweit immer noch auf die Oscars - und mit der Auswahl von Preisträgern und Moderatoren kann die Academy wichtige Impulse setzen.

Verglichen mit früher hat sie nun vergleichsweise schnell - innerhalb von zwei bis drei Jahren - auf die Forderungen nach mehr Vielfalt reagiert. Von der ersten weiblichen Regie-Nominierten (Lina Wertmüller, 1977) bis zur nächsten, Jane Campion, dauerte es einst immerhin 17 Jahre. Und von der ersten Frau, die die Oscars moderierte - unterstützt von drei Männern - bis hin zu Whoopi Goldberg erneut 20 Jahre. Ana-Christina Ramón, eine der Autorinnen des Hollywood Diversity Reports, erkennt zwar Veränderungen, was die Beteiligung von Frauen und Nichtweißen in Hollywood betrifft, aber die fänden vor allem im Fernsehen statt. "Die Unterhaltungsindustrie bewegt sich langsam, und wenn sie sich in diesem Tempo weiterverändert, liegt Parität noch in sehr weiter Ferne."

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