Süddeutsche Zeitung

Oscars 2019:Schon wieder eine Blamage für die Filmakademie

Lesezeit: 2 min

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Kevin Hart ist immer da, wenn man ihn braucht, und wenn man ihn nicht braucht, dann ist er erst recht da. Er ist omnipräsent in der amerikanischen Popkultur, in Hollywood-Klamauk-Filmen, auf den Bühnen der Comedy-Clubs, an der Seitenlinie beim All-Star-Spiel der Basketballliga NBA. Es gibt im Amerikanischen keinen entsprechenden Begriff für die wunderbare deutsche Beschimpfung "Rampensau". Den braucht es aber auch nicht, es gibt ja Kevin Hart. Wenn also gewiss ist, dass Kevin Hart kommt, dann wissen alle, dass die größte Rampensau von allen da ist.

Aus diesem Grund sollte Hart im Februar die Academy Awards moderieren - ein Job, den nur eine ausgewiesene Rampensau übernehmen darf, weil der Grat zwischen langweilig (Neil Patrick Harris, 2015) und überdreht (Whoopi Goldberg, 1994 und 1996), zwischen Selbstbeweihräucherung (Seth McFarlane, 2013) und Unsichtbarkeit (James Franco, 2011), zwischen witzig (Billy Crystal, acht Mal zwischen 1990 und 2004) und schrecklich (Billy Crystal, 2012) denkbar schmal ist. Es braucht einen, dem es egal ist, ob er nun scheitert oder ob er gewaltig scheitert. Es braucht einen wie Kevin Hart.

Der hat nun allerdings seinen Verzicht erklärt: Er wolle keine Ablenkung sein an einem Abend, "an dem so viele fantastisch talentierte Künstler gefeiert werden", schreibt er bei Twitter. Zuvor gab es Proteste gegen Hart wegen schwulenfeindlicher Aussagen. Bei einem Auftritt als Komiker im Jahr 2010 hatte er zum Beispiel gesagt: "Eine meiner größten Ängste ist es, dass mein Sohn schwul wird. Wenn ich das irgendwie verhindern kann, dann werde ich das tun." Bei Twitter hatte er ein Jahr später geschrieben: "Sollte ich meinen Sohn dabei erwischen, wie er mit dem Puppenhaus seiner Schwester spielt, dann werde ich ihm das Ding über den Kopf ziehen und sagen: 'Hör auf damit, das ist doch schwul!'"

Hart, vor 39 Jahren in Philadelphia zur Welt gekommen und einem zerrütteten Haushalt entkommen, hatte sich gestern zunächst geweigert, sich dafür zu entschuldigen, er veröffentlichte lediglich ein kurzes Video: "Leute, ich bin jetzt fast 40 Jahre alt. Wenn ihr nicht glaubt, dass sich Menschen verändern und erwachsen werden, dann weiß ich auch nicht mehr. Wenn ihr wollt, dass sich Leute für ihre Vergangenheit entschuldigen: Dafür bin ich der falsche Typ." Diese Nichtentschuldigung sorgte für noch mehr Aufregung als die homophoben Aussagen selbst, sechs Stunden später verkündete Hart seinen Verzicht: "Ich möchte mich bei der LGBTQ-Gemeinde für meine unsensiblen Worte aus der Vergangenheit entschuldigen."

Der Verzicht ist nicht nur eine Blamage für die Rampensau, sondern auch für alle, die für die noch immer größtmögliche Rampe in Hollywood verantwortlich sind. Die Filmakademie versucht verzweifelt, nicht nur die Relevanz der Oscar-Verleihung zu erhalten, sondern die bisweilen unerträglich öde Veranstaltung ein bisschen interessanter zu gestalten. Sie wollte etwa eine Kategorie für kommerziell erfolgreiche Filme einfügen, lässt das jedoch nach massiven Protesten nun bleiben. Dafür will sie die weniger glamourösen Preise, also die für Maskenbildner, Komponisten und Tontechniker, nun in den Werbepausen vergeben. Damit raubt sie jenen Leuten die Rampe, die ohnehin nur selten dort zu sehen sind.

Hart dagegen ist ein Meister in der Kunst, aus Rückschlägen Kapital zu schlagen. Als er zum Beispiel vor einem Jahr zugeben musste, seine damals schwangere Ehefrau Eniko betrogen zu haben, veröffentlichte er das Lebenshilfe-Buch "I Can't Make This Up" und baute das Fremdgehen in sein Comedy-Programm "The Irresponsible" (Der Unverantwortliche) ein. Sein nächster Auftritt findet kommende Woche in Neuseeland statt.

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