Oscar-Gewinner 2009:Es graust ihnen vor gar nichts

Die Bastion der Spießigkeit ist gefallen: In Hollywood haben Filmrebellen die Macht übernommen - eine Bande "Kommunisten und Homos-liebender Teufelskerle".

Tobias Kniebe

Ein kleiner Fünfzehn-Millionen-Dollar-Film ohne Stars, der ein zehnmal so teures Prestigeprojekt mit Brad Pitt und Cate Blanchett in die Schranken weist; eine simple, wilde Geschichte aus den Straßen Mumbais, mit Folter, Elend, Exkrementen und Dialogen in Hindi, die einer geschmackvollen, komplexen, uramerikanischen Familiensaga nach F. Scott Fitzgerald den Rang abläuft; ein David also, der gegen alle Regeln triumphiert und das Hollywood-System mit seiner Steinschleuder zwischen die Augen trifft - vor zehn Jahren wäre das noch eine echte Sensation gewesen. Sonntagnacht in Hollywood aber war es der allseits vorhergesehene, eher ein herzhaftes Gähnen provozierende Ausgang der 81. Oscar-Verleihung.

Oscar-Gewinner 2009: Gewinner im Film und in der Realität: "Slumdog Millionär" war der erwartete unerwartete Sieger der Oscars.

Gewinner im Film und in der Realität: "Slumdog Millionär" war der erwartete unerwartete Sieger der Oscars.

(Foto: Foto: ap)

Warum aber haben die acht Trophäen, die Danny Boyles "Slumdog Millionär" gewann, inklusive Bester Film und Beste Regie, so gar keinen mehr überrascht, in den Wettbüros und weltweit vor den Fernsehern? Warum schien das Rennen für "Der seltsame Fall des Benjamin Button", den großen Konkurrenten, der dreizehn Mal nominiert war, schon gelaufen, bevor der erste Preisträger-Umschlag überhaupt aufgerissen war?

Die Antwort klingt paradox: Die Oscar-Wähler sind zu hip geworden. Es graust ihnen vor gar nichts mehr. Ein harsches Martin-Scorsese-Gangsterfluchen akzeptieren sie längst genauso wie ein sardonisches Blutbad der Coen-Brüder. Und wenn sie wie bei "Slumdog" entfesselte Energie, Siegeswillen und Underdog-Romantik in den Slums von Indien zu sehen bekommen - dann immer nur her damit. Genauso dachten vor ihnen die Wähler der Golden Globes, der Director's Guild, der Critic's Choice Awards. Eben alle.

Warum nicht, könnte man fragen. Endlich gewinnen mal die Richtigen. Endlich würden die meisten Kritiker die Preise selbst gar nicht anders vergeben. Doch Jahr für Jahr wird nun deutlicher, dass die Oscars so eigentlich nicht funktionieren können.

Die Academy war immer etwas anders. Die letzte Bastion der Spießigkeit zum Beispiel. Steinalte Schauspieler in Altersheimen unter Palmen, die seit zwanzig Jahre keine neue Idee mehr in ihr Weltbild eingelassen hatten. Wenn sie seinerzeit bei den altmodischen Werten von "Rocky" weinten, war das schon eine Sensation; und wenn sie sonst mal wieder gar nichts verstanden, konnte man sich wunderbar die Haare raufen. Mit ihrer berühmten Unberechenbarkeit rollten diese Wähler die ganze Awards Season früher von hinten auf, beharrten auf ihrem Standpunkt und behielten dabei triumphal das letzte Wort.

Fatale Hipness

Das ist vorbei. Diese störrischen Alten sind offenbar ausgestorben. Die Alten von heute heißen Jack Nicholson und Robert De Niro - die Urväter eines hippen und rebellischen Empfindens.

Nun aber erscheint dieser ganze Preisverleihungsreigen, der vor fünf Jahren schon mal um einen Monat verkürzt wurde, immer noch viel zu lang. Kate Winslet als Beste Darstellerin, erhitzt und errötet und voller Dankbarkeit, das kann man nicht oft genug sehen. Wenigstens hat ihr Vater diesmal ganz toll aus den hinteren Reihen gepfiffen, ein wilder alter Herr mit Hut und gewaltiger Zahnlücke - das ging dann schon als eine Art Highlight durch.

Auch Sean Penn und Mickey Rourke im Rennen um den besten Darsteller - das wirkte nur deshalb noch knapp, weil beide im Hipnessfaktor ungefähr gleichauf lagen: Der eine herzerwärmend schwul als legendärer Gay-Rights-Aktivist Harvey Milk, der andere herzerwärmend kaputt als alter Wrestling-Kämpfer, in einer überlebensgroßen Filmversion seiner eigenen fast verpfuschten Karriere. Es gewann dann - weil noch einen Tick hipper und politischer - Sean Penn. Er nannte die Academy eine Bande "Kommunisten und Homos-liebender Teufelskerle." Auch das hätte es früher nicht gegeben.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum die Stars zusammenrückten.

Es graust ihnen vor gar nichts

Lauter Entscheidungen und Auftritte, die man eigentlich gar nicht kritisieren kann, die man sich aber trotzdem irgendwie aufregender gewünscht hätte. Heath Ledgers Ehrung beispielsweise. Es war völlig klar, dass Ledger posthum als Bester Nebendarsteller gewinnen würde, für seinen entfesselten Auftritt als Joker, der einem schwer angeschlagenen Batman in "The Dark Knight" das Leben zur Hölle macht. Nicht so klar war, ob seine dreijährige Tochter, die diesen Oscar eines Tages besitzen wird, von der Familie auf die Bühne bugsiert werden würde - für einen großen, geradezu historischen Tränen-Moment. Es passierte aber nicht, es kamen nur Vater, Mutter und Schwester und sagten artige Sachen im Namen des Verstorbenen. Es siegten also Dezenz und Geschmack. Zum Glück, könnte man sagen. Oder auch: leider Gottes.

slumdog millionaire oscars

Nicht zu stoppen: Latika (Freida Pinto) auf dem Weg zu ihrer großen Liebe - und "Slumdog Millionär" auf dem Weg zu acht Oscars.

(Foto: Foto: Filmverleih/Prokino)

Holocaust in beliebiger Länge

Diese Schizophrenie, gewisse Peinlichkeiten zu verdammen und gleichzeitig sehnsüchtig herbeizuwünschen, das war immer das eigentliche Oscar-Spiel. Darauf gründete ihr Status als Mutter aller Filmpreisverleihungen. Überraschungen gehörten dazu, sie verwandelten ein Branchen- in ein Weltereignis - diesmal fehlten sie völlig.

Selbst die Kategorie der weiblichen Nebendarstellerin, in der gern totale Außenseiterinnen gewinnen, ging diesmal wie erwartet an Penélope Cruz für "Vicky Cristina Barcelona". Die größte Überraschung war eine sehr kleine - beim fremdsprachigen Film gewann statt des Israelis der Japaner. Nun ja. Der "Baader Meinhof Komplex" gewann nicht, dafür einmal mehr ein deutsches Holocaust-Drama, "Spielzeugland" von Jochen Alexander Freydank. Sowas liefern wir auf Wunsch in jeder Länge. Diesmal: 14 Minuten, Kategorie Kurzfilm.

Persönliche Paten

Als hätten sie die übergreifende Berechenbarkeit geahnt, stemmten sich die Macher der Gala gegen allzu vertraute Formeln und schufen ein paar neue, tatsächlich überzeugende Momente. Der singende und tanzende Moderator Hugh Jackman war das weniger, der beschwor eher altmodische, irgendwie selbstgebastelte Vaudeville-Werte. Überzeugend dagegen die Idee, allen nominierten Schauspielern eine Art persönlichen Paten zu schenken: De Niro für Sean Penn, Sophia Loren für Meryl Streep, Nicole Kidman für Angelina Jolie, und so fort. Diese Paten fanden in ihrem Lob tatsächlich eine persönliche Ansprache, die einmal nicht aus der Floskel-Retorte zu kommen schien. Draußen die kalte Rezession, Kalifornien fast bankrott, drinnen aber familiäres Zusammenrücken - das war der Effekt.

Aber ach, die Probleme liegen tiefer, sie sind längst demographisch und strukturell. Wenn alle Wähler immer ähnlicher denken und alle Preise austauschbar werden, hilft eigentlich nur die radikale Verknappung und Beschleunigung der ganzen Award Season: Eine einzige Woche im Februar, das könnte man sich jetzt sehr gut vorstellen. Das Ganze eine Art Turnier, jeden Tag einen anderen Preis, mit den Oscars als Endspiel.

Das Aufatmen auch in Hollywood wäre gewaltig.

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