Oscar 2010:Einer wurde gewonnen

Christoph Waltz sehen wir hier so schnell nicht wieder. Die Amerikaner schenken ihm einen Oscar - und einen Job nach dem anderen. Impressionen aus der Nacht der Nächte.

Jörg Häntzschel, Los Angeles

Christoph Waltz springt aus dem VIP-Wagen, er schubst Paparazzi zur Seite und klinkt sich in den Kreis aus Freunden und Kollegen ein, die um den Glastisch sitzen. Die Journalisten, die zweieinhalb Stunden auf ihn gewartet haben, stehen ein wenig beschämt unter den Heizpilzen. Das war zwei lange Tage, bevor Waltz den Oscar bekam.

Man konnte Waltz noch nie nachsagen, dass er heiß auf Medien gewesen wäre. Das Getröte der bunten Blätter in Deutschland, halbseidene Arrangements mit dem Boulevard, all dies war dem Österreicher stets zuwider, und wie es aussieht, wird sich daran auch auf internationalem Parkett nichts mehr ändern.

Waltz' ruppiges Entrée in Ivan's Café am Sunset Boulevard, wo das Studio Babelsberg sein Mitwirken an den furiosen "Inglorious Basterds" feierte, war aber in diesem Fall nur eine ruppige Einleitung zu einem dann immerhin versöhnlichen Geplauder mit Fans und Journalisten.

Kaum hatte er das erste Glas Champagner geleert, stand Waltz also auf, atmete durch und tastete sich weiter in die Rolle hinein, die wenige je vor ihm gespielt haben: den 53-jährigen Jungstar in Hollywood; den vielsprachigen Newcomer mit grauem Bart und ungebleichten Zähnen; den Mann, der hier in Hollywood aus dem Nichts - also dem deutschen Fernsehen - auftauchte, aber mit einer langen und nicht immer unkomplizierten Geschichte.

Waltz ist alles mögliche, immer wieder unnahbar, bei Aufdringlichkeit und Blödheit aufbrausend, bei Frechheit: eiskalt. Letztes Jahr am Rande der Premiere zu den "Basterds" in Berlin kam ihm eine junge deutsche Fernsehjournalistin vor dem Interview so: "Ich schlage gleich mal vor, dass wir uns einfach duzen." Und er ihr so: "Ich schlage gleich mal vor, dass wir das einfach lassen."

Am wohlsten fühlte er sich schon am Freitag beim Reporter-Ping-Pong auf der Restaurant-Terrasse, wenn er grobe Klötze als federnde Bälle zurückschießen kann.

"Haben Sie einen Talisman?", fragt eine junge Frau. Waltz: "Ja, Sie." "Wie verkraftet Ihre Frau den Rummel?" Waltz: "Lassen Sie uns in einer Therapie drüber reden!" "Ist es schwierig, das richtige Outfit zu finden?" Waltz: "Nein. Ich mache den Schrank auf und nehme den Frack raus." "Sind Sie ein Star?", fragt einer. Waltz weist mit offenen Handflächen in das Dickicht aus Kameras und Mikrofonen: "Ich könnte mich zu dieser Einschätzung hinreißen lassen."

Waltz selbst sagt: Aus Deutschland hat er nichts gehört seit seinem Erfolg mit Tarantino im letzten Sommer. Aus Hollywood dagegen kommt ein Angebot nach dem anderen; es ist, als habe man hier Durst gehabt nach so einem Gesicht.

Lesen Sie weiter auf Seite 2, wie Hollywood-Beauties sich für Parties zurechtmachen.

Im Video: Der Österreicher Christoph Waltz hat den Oscar als bester Nebendarsteller gewonnen. Der 53-Jährige erhielt die Auszeichnung in der Nacht zum Montag für seine Rolle als charmantzynischer SS-Offizier in Quentin Tarantinos Nazi-Satire "Inglourious Basterds".

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Verschlampt wie du und ich

Mit Regisseur Michel Gondry hat er gerade eine 140-Millionen-Dollar-Produktion an der Seite von Seth Rogan hingelegt. Ein Film mit Cameron Diaz ist auch schon fertig. Ein anderer - "Water for Elephants" von Francis Lawrence - wird demnächst gedreht.

Der Perfektionist Waltz, der in Deutschland oft auch deswegen nicht drehte, weil ihm eingesendete Drehbücher zu fadenscheinig und die Produktionsbedingungen zu lächerlich erschienen, er hat also gefunden, wonach er an nicht wenigen Tagen womöglich nur noch in seinen Träumen suchte: "Man hat hier ein anderes Bewusstsein für Film und arbeitet daran mit einer anderen Überzeugung als bei uns. Man kann die enorme Bedeutung der Filmindustrie hier belächeln. Aber das wird einem nicht weiterhelfen. Sie ist einfach da. Und wenn man denkt, das ist so wie bei uns, nur ein bisschen lauter, dann täuscht man sich."

Und als spreche er von sich selbst, sagt er dann noch: "Bei uns liegt viel Talent brach, weil man es nicht fördert. Es wird alles heruntergeschraubt auf Mittelmaß. Aber wenn man herausragende Persönlichkeiten will, dann muss man jemanden auch mal herausragen lassen, statt nur die Gemeinsamkeiten mit den anderen zu suchen."

Zumindest beim deutschen Empfang am Samstagabend in der Villa Aurora in Pacific Palisades, wo die Bücher des alten Hausherrn Lion Feuchtwanger noch in den Regalen stehen, da ragt Waltz in diesen Tagen sehr deutlich heraus. Michael Haneke schafft es nicht mehr auf die Bühne, weil Waltz die Menge wie ein Magnet anzieht - bis er es nicht mehr aushält und flüchtet.

Körper und Kapital

Im SoHo House am Sunset Boulevard feiern die Weinstein-Brüder gemeinsam mit Montblanc. Das Ganze dient einem guten Zweck. Beziehungsweise: Montblanc überweist zwei Millionen Dollar an Haiti und feiert das nun. Wäre es nicht noch sinnvoller gewesen, auf die Party zu verzichten und die vielen hunderttausend Dollar, die sie gekostet haben muss, ebenfalls den Erdbebenopfern zukommen zu lassen? Das wäre möglicherweise logisch gewesen. Aber nicht Hollywood.

Deshalb steht da nun an der Säule Adrien Brody, kleiner als erwartet, und Leonardo DiCaprio guckt aus dem Fenster, weil sein Charisma den Leuten fast zuviel werden kann. Gwen Stefani ist gerade am Gehen, aber Gabourey Sidibe von "Precious" bleibt noch. Und wieder sitzt da, wie ein guter Geist aus einem B-Movie, Quentin Tarantino, diesmal in einer mit Flammen dekorierten Lederjacke und mit Stahlspitzen an den Stiefeln.

Die Gäste teilen sich in zwei Gruppen: Die, die es zu Ruhm, Geld oder Macht gebracht haben und deshalb so verschlampt aussehen wie du und ich. Und die, deren einziges Kapital ihr Körper ist - das einzige Feld, das sie beackern können. Sie sind nicht gertendünn in Hollywood wie die Models in New York. Sondern in jeder Hinsicht verstärkt und dramatisiert, wie es eigentlich nur mit irgendeinem Gentrick möglich scheint. Körper wie die Soundtracks schlechter Actionfilme mit ihren ultratiefen Bässen, dem hallenden Klirren von Metall auf Metall und den pausenlosen Sssswsch!-Geräuschen, die das Publikum aus den Stühlen fegen soll wie ein großer Besen.

Was dünn ist, Beine, Taille, Arme, ist noch dünner gemacht. Und was sich wölbt, wölbt sich ins Groteske. Es gibt Pos, die im 30-Grad-Winkel aufsteigen. Und Busen, die wirken wie unbekannte Körperteile. Das anatomische Remastering geht nicht immer gut aus. Eine halbe Stunde später verfängt sich eine gewichtslose Person in der altmodischen Hollywood-Burg "Chateau Marmont" im Teppich und landet am Fuß der Treppe wie ein Haufen Mikadostäbchen. "No problem!", zwitschert es von dort unten. Im Nu ist alles wieder am richtigen Ort.

Christoph Waltz taucht nicht mehr auf. Vom Governor's Ball war er zur Vanity Fair Party im Sunset Tower gefahren, der exklusivsten Party Hollywoods. Wer auf dieser Gästeliste steht, der ist in Hollywood angekommen.

Möglich, dass man ihn, den akribischen Arbeiter, den Sprachmenschen, den ernsthaften, spöttischen, schmähbegabten Herrn Waltz, der mit all diesen Attributen doch wie gemacht schien für den europäischen und so eben auch deutschen Film, dass man ihn bei uns jetzt plötzlich sehr vermissen wird.

Die vollständige Reportage von der Oscarnacht aus Los Angeles lesen Sie in der Süddeutschen Zeitung vom 9. März 2010.

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