Oscar-Analyse:Revolution für Anfänger

"Moonlight" wird bester Film, nicht "La La Land" - nach einer denkwürdigen Panne bei der Preisvergabe. Ansonsten schwankt Hollywood bei der 89. Oscarverleihung unentschlossen zwischen nostalgischer Tradition und Modernisierung.

Von David Steinitz

Am Abend der Oscarverleihung dürften um kurz nach neun Uhr Ortszeit in Los Angeles ein paar Mitarbeiter der Firma PricewaterhouseCooper ziemlich rote Ohren bekommen haben. Da nämlich zogen die Schauspieler Warren Beatty und Faye Dunaway auf der Bühne des Dolby Theatre die falsche Karte für den besten Film des Jahres aus einem roten Umschlag - und für die sichere Verwahrung und korrekte Verteilung genau dieser roten Umschläge ist das Unternehmen zuständig.

Das Problem: Jedes Couvert wird für die Preisverleihung zweifach ausgefertigt. Jeweils ein Oscar-Beamter links und rechts der Bühne wachen darüber und geben die Umschläge an die Laudatoren weiter, je nachdem von welcher Seite sie auftreten. Durch ein Missverständnis war der Zettel mit der Aufschrift "Emma Stone, beste Hauptdarstellerin, La La Land" nicht nur beim echten Gewinn der 28-Jährigen in Laudatorenhände geraten, sondern kurz darauf noch mal, als es eigentlich um den besten Film gehen sollte. Beatty gab den Zettel etwas ratlos an Dunaway weiter, die ebenso verdutzt einfach mal "La La Land" ins Auditorium rief. Also wurden die Produzenten des Musicals für etwa anderthalb Minuten zu Oscarpreisträgern, inklusive Dankesrede. Dann kamen ein paar Verantwortliche mit Headsets auf die Bühne und nach einigem Hin und Her mussten die Goldstatuetten an die Kollegen des Filmteams von "Moonlight" weitergereicht werden. Das Coming-of-Age-Drama, das am 9. März in den deutschen Kinos startet, ist nun offiziell der beste Film des Jahres.

Ceremony - 89th Academy Awards, Los Angeles, USA - 26 Feb 2017

Ups: Faye Dunaway und Warren Beatty zeichnen den falschen Film aus.

(Foto: REX)

Das Schöne an dieser Panne ist, dass sie einen dringend notwendigen Riss in der makellosen Fernsehshow-Fassade dieses Abends verursachte. Denn bei allem Glamour wird auch die Oscarverleihung mit ihren Glitzerfummel-Gesangsauftritten eine gewisse "Wetten, dass..?"-haftigkeit partout nicht los.

Der Komiker und Moderator Jimmy Kimmel holte mit ein paar Präsident-Twitter-Späßen noch das Beste aus der Veranstaltung heraus. Ansonsten war die Show wie immer in ihr enges Ablaufkorsett gepresst. Die Kosten dieser Oscarverleihung beliefen sich auf knapp 43 Millionen Dollar, was dem Budget eines mittelgroßen Hollywoodfilms entspricht. Und bei so einer Investition wollen die Macher natürlich nicht, dass jenseits von ein paar politischen Statements über die neuen Bewohner im Weißen Haus irgendetwas Ungeplantes passiert.

Dass dann zum Pannenfinale ausgerechnet "La La Land" und "Moonlight" gegeneinander ausgespielt wurden, spiegelt aber sehr schön die innere Zerrissenheit der Oscar-Academy wider. Während das nostalgische Musical das alte Hollywood verkörpert, steht "Moonlight" mit seinem schwarzen Regisseur Barry Jenkins und seinem schwarzen Schauspielerensemble für genau jene Gruppe an nicht-weißen Filmemachern, die sich seit Jahren bei den Oscars übergangen fühlt.

In den Tagen vor der Verleihung war viel über die liberalen Hollywoodstars und ihr politisches Engagement geschrieben worden. Aber im Kern ist die amerikanische Filmindustrie eben doch eher moderat konservativ. Sie liebt die Tradition, ist aber durchaus bereit, ein paar Änderungen vorzunehmen, wenn der Wind nur lange genug aus einer anderen Richtung bläst. Eine Haltung, die sich deutlich in der Aufteilung der Preise zeigte: Drei Oscars für das wilde Indie-Drama "Moonlight" über das Coming-Out eines schwulen, schwarzen Jungen in den Achtzigerjahren in Florida; und sechs Oscars für die Nostalgie-Sause "La La Land", darunter beste Regie (Damien Chazelle) und beste Hauptdarstellerin (Emma Stone).

Insgesamt vier Preise gingen in den Hauptkategorien an schwarze Filmemacher, neben drei Oscars für "Moonlight" wurde Viola Davis als beste Nebendarstellerin im Drama "Fences" ausgezeichnet. Ob das eine Ausnahmereaktion auf die Proteste schwarzer Filmemacher ist oder tatsächlich ein Trend, wird sich aber erst in den nächsten Jahren zeigen. Warum es eher schleppend vorangeht mit der Modernisierung der Oscars - mehr Vielfalt bei den Nominierten, mutigere Filme jenseits des Mainstreams -, hat natürlich auch damit zu tun, dass sie sich auf den klassischen Kinospielfilm beschränken. Fernsehfilme, Serien oder reine Internet-Produktionen werden von der amerikanischen Filmakademie nicht berücksichtigt. Das ist im Jahr 2017 ein bisschen so, als würde ein Musikpreis nur für Künstler ausgelobt werden, die auf Schallplatte veröffentlichen.

Der Streaming-Dienst Amazon mischte dennoch bei den Oscars mit, weil er manchen seiner Filme einen richtigen Kinostart gönnt - wie dem Familiendrama "Manchester by the Sea". Darin geht es um einen jungen Mann, der sich nach dem Tod seines Bruders um dessen Sohn kümmern muss, aber selbst in einer furchtbaren Lebenskrise steckt, die nach und nach enthüllt wird. Der Film ist das krasse Gegenteil der Mainstreamdramen, die oft von der Academy ausgezeichnet werden - selten wurde bei einem Oscarfilm die Schmerzgrenze der Zuschauer so strapaziert. Dagegen wirken frühere Gewinnerdramen wie "American Beauty" oder "The King's Speech" wie brave Vorabendprogramme. Der eigenwillige Autorenfilmer Kenneth Lonergan bekam dafür den Oscar für das beste Originaldrehbuch, Schauspieler Casey Affleck wurde als bester Hauptdarsteller ausgezeichnet. Zwei Preise für einen widerspenstigen Film, das entspricht wieder genau dem aktuellen Hollywoodgeist: Keine Revolution, aber durchaus förderlich für die Existenzsicherung.

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