Süddeutsche Zeitung

Oscar-Verleihung 2019:Auf die Freundschaft zwischen Schwarz und Weiß

  • Mit "Green Book" als Bestem Film und nicht "Roma" sendet die Academy die Botschaft: Wir urteilen hier immer noch über die Filme selbst.
  • Die größte Überraschung des Abends ist die Wahl der Besten Hauptdarstellerin: Olivia Colman, nicht Glenn Close.
  • Spike Lees Dankesrede war ein Appell gegen Rassismus, viel politischer wurde es an dem Abend auch nicht.
  • Insgesamt waren sowohl bei Laudatoren als auch Nebendarsteller-Kategorien viel Diversität zu spüren.

Von Tobias Kniebe

Ein Abend ohne Moderator, ohne große Peinlichkeiten, aber auch ohne große Höhepunkte, an dem der Streaming-Gigant Netflix noch nicht völlig die Macht übernommen hat. Das war die 91. Oscarverleihung, und ärgern wird sich über den Ausgang wahrscheinlich nur Reed Hastings, der Netflix-Boss, der für seine Winner-Takes-It-All-Mentalität bekannt ist. Er hat Millionen an Werbung ausgegeben, um seine Produktion "Roma" zum Besten Film zu machen, und er hat die Oscarkampagnen-Managerin Lisa Taback, der man in Hollywood wahre Wunderdinge zutraut, extra vom Markt weggekauft und in seine Firma geholt.

Geholfen hat es am Ende nichts, es gewann der Konkurrent "Green Book". Und obwohl die etwa 9000 Mitglieder der Academy ihre Entscheidung natürlich nicht abstimmen können, spricht viel dafür, dass sie mit dieser Wahl auch das Erbe der großen Kinoleinwand sichern wollten, die Netflix mit seinem Kino-im-Wohnzimmer-Modell derzeit angreift. "Green Book" ist ein klassisches Buddy Movie über eine Freundschaft zwischen Schwarz und Weiß im rassistischen Süden der Sechzigerjahre, so klassisch, dass böse Zungen nun sagen, die Achtzigerjahre-Kinoschnulze "Driving Miss Daisy" habe zum zweiten Mal den Oscar gewonnen.

Das ist nicht ganz fair, "Green Book" weiß seine beiden Hauptfiguren, ihre Stärken und Defizite sehr viel smarter gegeneinander auszubalancieren als frühere Melodramen über die Freundschaft zwischen den Rassen. Vor allem hat es der Film geschafft, sich trotz einer ganzen Welle schlechter Presse zu behaupten. Im Vorfeld tauchten alte rassistische Tweets eines der Drehbuchautoren auf, dann musste sich der Regisseur Peter Farrely für vergangene Penis-Streiche entschuldigen, schließlich zweifelte die Familie des verstorbenen, im Film porträtierten Musikers Don Shirley die Wahrhaftigkeit der Geschichte an und sah sein Erbe beschädigt.

Wenn man allerdings weiß, wie hart Oscarkampagnen-Manager für ihr Geld arbeiten, und wie sehr es dabei dazugehört, auch Recherchen über die Konkurrenz zu beauftragen, um diese in der Presse denkbar schlecht aussehen zu lassen - dann wirkt dieser Sieg im Nachhinein fast wie eine Unabhängigkeitserklärung der Academy. Wir urteilen hier immer noch über die Filme selbst, scheinen die Oscarwähler damit zu sagen - und "Green Book" hat uns halt einfach gefallen.

Über völlige Missachtung kann sich das "Roma"-Team aber auch nicht beklagen, besonders nicht Alfonso Cuarón. Der war als sein eigener Kamermann nominiert, als Regisseur des besten fremdsprachigen Films, als Bester Regisseur und als Produzent des Besten Films. In so vielen Rollen für dasselbe Werk anzutreten, das gab es noch nie. Und bis auf die letzte, die Königskategorie, hat Cuarón auch alles gewonnen, wobei er unter anderem Florian Henckel von Donnersmarck mit seinem "Werk ohne Autor" keine Chance ließ. "Hier oben zu stehen wird nie langweilig", sagte der Mexikaner, als er zum dritten Mal auf der Bühne war.

Die größte Überraschung des Abends kam, als die Beste Hauptdarstellerin ausgerufen wurde - und dann nicht der Name fiel, der vorab als sicherster Oscartipp überhaupt galt: Glenn Close. Der Sieg ging stattdessen an die Engländerin Olivia Colman, die in "The Favourite" sehr eindrucksvoll Queen Anne spielt - eine Monarchin voller Trauer und Selbzweifel, ohne jede Lust aufs Regierungsgeschäft, aber besessen von ihren höfischen Gespielinnen und gerade in ihrer Sprunghaftigkeit ziemlich grausam. Eine einzigartige Performance, aber Colman wirkte bei ihrer Dankesrede doch total überrascht - und deshalb sehr lebensecht.

Ein anderer denkwürdiger Moment waren die Blicke von Lady Gaga und Bradley Cooper bei Vortrags ihres Duetts "Shallow" aus dem Film "A Star Is Born", das dann auch als Bester Song gewann. Muss man soviel Innigkeit wirklich schauspielern, um die Botschaft des gemeinsamen Werks noch einmal zu transportieren? Das fragte sich die Welt in diesem Augenblick nicht zum ersten Mal. Bradley Coopers Frau, die neben ihm in der ersten Reihe immer wieder eingeblendet wurde, schien angesichts dieses Spektakels jedoch noch erstaunlich entspannt.

Weitere Funken sprangen über, als Barbra Streisand eine tief empfundene Laudatio auf Spike Lee und seinen Film "BlacKkKlansman" hielt, und als Lee dann als Bester Drehbuchautor gewann - ausgerufen mit einem echten Jubelruf von seinem Freund Samuel L. Jackson. Dann kam der Pionier des schwarzen Kinos auf die Bühne, ganz in violett gekleidet, inklusive einer Art Kapitänsmütze, offenbar eine Hommage an Prince, außerdem trug er zwei wuchtige goldene Schlagringe mit den Worten "Love" und "Hate" über den Fingern.

Das war dann nicht der erste Regie-Oscar für einen schwarzen Filmemacher, den viele erhofft hatten, aber Lees erster Sieg überhaupt und damit gut genug. Er bedankte sich mit einer Art Gedicht, das bis zu den Wurzeln der Sklaverei zurückreichte, aber auch die Wahlen 2020 schon einschloss: "Wir müssen eine moralische Wahl zwischen Liebe und Hass treffen. Let's do the right thing", sagt er, eine Hommage an den eigenen berühmten Filmtitel.

Wesentlich politischer wurde der Abend dann nicht, auch wenn Immigration ein wiederkehrendes Thema war. Rami Malek, der sich für die Queen-Hommage "Bohemian Rhapsody" in das Bühnenmonster Freddie Mercury verwandelt hatte, wurde als Bester Darsteller geehrt und erinnerte daran, dass er ein Amerikaner "der ersten Generation" sei, mit aus Ägypten stammenden Eltern, und als Kind um "seine Identität gerungen" habe. Er sprach allen Immigranten Mut zu, ihre eigene Geschichte zu schreiben, wie es auch Freddie Mercury getan habe.

Fortschritte in Sachen Diversität waren auch sonst zu spüren, sowohl bei den Presentern auf der Bühne als auch in den Nebenrollen-Kategorien, wo Mahershala Ali und Regina King gewannen, und bei den Oscars für Szenenbild und Kostüm. Sie gingen an Hannah Beachler und Ruth Carter, zwei schwarze Frauen, die entschieden mitgeholfen haben, den Film "Black Panther" zum stilbildenden Blockbuster-Ereignis des Jahres zu machen. Als sie kurz hintereinander gewannen, sah es für einen Moment so aus, als könne der "Panther" sogar bis zum Besten Film durchmarschieren - aber da muss wohl noch eine ganze Generation wechseln, bevor die Academy bereit ist, einen Superheldenfilm mit den höchsten Oscar-Ehren zu bedenken.

Der Sprung des Panthers reichte dann immerhin noch bis zur besten Filmmusik, für die ein sehr weißer langhaariger Jüngling namens Ludwig Goransson auf die Bühne kam. Wie der wohl in des durchgehend afrikanisch inspirierte "Panther"-Universum geraten war, fragte man sich sofort - und bekam die Antwort in seiner Dankesrede. Goransson und der bei den Nominierungen missachtete "Panther"-Regisseur Ryan Coogler kennen sich aus Studententagen, schon vom ersten Kurzfilm an. Und das klang dann wirklich mal wie eine Freundschaftsgeschichte zwischen Schwarz und Weiß, die über jeden Hollywood-Kitschverdacht erhaben war.

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