Oscar 2010:Frauen, die Männer schlagen

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Mit The Hurt Locker gewinnt eine Frau den Regie-Oscar für den machohaftesten Film der letzten Jahre. Die Siegerinnen der 82. Oscarnacht stehen für einen neuen Geist - nur welchen?

Tobias Kniebe

Die Zeit ist gekommen, sagt Barbra Streisand. In die Stille hinein. Da hat sie den Umschlag geöffnet, aber den Namen noch nicht ausgesprochen. Man hört Befriedigung in diesem Satz, auch einen Hauch von Erschöpfung. Hat eben doch eine halbe Ewigkeit gedauert, dieser Kampf für den gleichen Respekt.

Dann sagt sie den Namen des ersten weiblichen Wesens, das in diesem Moment - endlich! - den Oscar für die Beste Regie gewinnt: Kathryn Bigelow.

Auf der Bühne sieht Bigelow, 58 Jahre alt, dann so strahlend und glamourös und unbezwingbar wie Mitte dreißig aus, dass man sagen muss: Kämpfen kann jung halten. Also doch.

Ein Hauch von Fortschritt weht durch den Saal des Kodak Theatre in Los Angeles gegen Ende der 82. Oscarverleihung. Frau schlägt Mann, aber nicht irgendeinen Mann, sondern James Cameron.

Den König der Welt, der auch mal ihr Ehemann war, und der sie ziehen ließ, lang ist's her. Jetzt sitzt er da mit seinem Milliarden und seinem säuerlichen Grinsen und seinem New-Age-Öko-Monstrum namens "Avatar". Der Narr.

Die neue Härte am Horizont

Frau schlägt den Mann, und ein kleiner, harter, beunruhigender Kriegsfilm namens "The Hurt Locker" schlägt gleich danach auch noch das New-Age-Öko-Monstrum selbst. Als Produzentin bekommt Bigelow einen zweiten Oscar in die Hand gedrückt.

Neben ihr steht Mark Boal, ihr Autor und Mitproduzent, der Stunden vorher schon für sein Drehbuch gewonnen hat. Ein weiterer Co-Produzent fehlt, weil er wegen unerlaubter Werbemails schon Tage vorher aus der Zeremonie verbannt wurde. Längst vergessen jetzt, diese kleinen Pannen.

Die Mitglieder der Oscar-Academy, die den Ausgang des Abend so und nicht anders gewollt haben, senden eine Botschaft aus: Vielen Dank, James Cameron. Für deine nie gesehenen 3-D-Welten und dein untrügliches Zeitgeistgefühl, mit dem du die Massen in ein neues, wunderbares Kinojahrzehnt hineinlockst und die Zukunft des Films vorantreibst.

Aber zu der Frage, was eine wirklich starke Geschichte ist - lautet die Botschaft weiter - möchten wir dann doch eine eigene Meinung entwickeln. Wenn das für die Verhältnisse Hollywoods nicht fortschrittlich ist - was dann?

Man sollte aber, Party hin, Frauenpower her, doch genauer hinsehen. "Hurt Locker" ist schließlich der Film, den praktisch keiner kennt. Hierzulande zum Beispiel lief er im letzten August, 55.000 Besucher kauften eine Karte. "Avatar" steuert, nur zum Vergleich, gerade auf zehn Millionen deutsche Tickets zu.

Deshalb hier eine nicht ganz unwichtige Zusatzinformation: Mit "Hurt Locker" gewinnt eine Frau erstmals den Oscar für Regie, die den machohaftesten Film der letzten Jahre gedreht hat.

Wir sind schon weiter

Es geht, kurz gesagt, um einen Bombenentschärfer des US-Militärs in Bagdad, der mehr Sprengfallen unschädlich gemacht hat als jeder andere Sprengmeister in jedem anderen Krieg. Diesen Oberfeldwebel gibt es. Er ist so real, dass er jetzt sogar auf Gewinnbeteiligung klagt.

Wir wissen nicht, ob er auch genauso radikal alle Befehle, Prozeduren und Vorschriften des Militärs missachtet wie sein filmisches Alter Ego. Ob er genauso süchtig ist nach dem Ticken der Bomben in der Todeszone. Genauso unfähig, den Frieden zuhause mit seinem süßen, zweijährigen Sohn auszuhalten.

So aber zeigt - und feiert - ihn aber Kathryn Bigelow. Zu behaupten, dass sie auch den Krieg selbst feiern würde, ginge zu weit - dazu ist das Geschehen dann doch einen Tick zu sinnlos. Aber die Männer, die dort unten durchkommen, überhöht sie als Renegaten und als naturgeborene Killer, die jede Gesellschaft braucht, die es mit Gotteskriegern aufnehmen will. Gegen Bombenattentäter hilft am Ende keine Rationalität, sondern nur die eigene, hausgemachte Todessehnsucht des Westens.

So kriegerisch fühlt Hollywood gerade? Offensichtlich. Sorry, James Cameron. Aber dieses Ding mit Naturmystik und gewaltfreiem weiblichen Urprinzip - erzähl das den weinerlichen Massen da draußen. Wir sind schon weiter. Wir sehen die neue Härte am Horizont. Und wenn die Männer es nicht mehr kapieren, kapieren es jetzt eben die Frauen.

Lesen Sie weiter auf Seite 2, warum Christoph Waltz die Ausnahme ist.

Im Video: Der Österreicher Christoph Waltz hat den Oscar als bester Nebendarsteller gewonnen. Der 53-Jährige erhielt die Auszeichnung in der Nacht zum Montag für seine Rolle als charmantzynischer SS-Offizier in Quentin Tarantinos Nazi-Satire "Inglourious Basterds".

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Sandra Bullock zum Beispiel: Beste Schauspielerin für "The Blind Side", für die Rolle einer reichen, christlichen, etwas prolligen Football-Mom aus dem tiefen Süden. Nimmt ein dickliches schwarzes Straßenkind bei sich auf und pusht es zum Profiplayer. Blondierte Löwin Marke Suburbia, immer auf Angriff gepolt. Das macht sie toll. Aber anderen Schwarzen, die sie nicht gerade adoptiert, droht sie schon mal mit ihrer NRA-Mitgliedschaft und der Waffe in der Handtasche.

Was für ein friedlicher Schluffi dagegen Jeff Bridges: Bester Schauspieler, hochverdient, für seinen alternden Countrysänger Bad Blake in "Crazy Heart". Die Männer, diese trunkenen Knuddelbären, heißen zwar Bad. Aber die Frauen sind es. Noch ein Beispiel? Mo'Nique, beste Nebendarstellerin für "Precious" - ausgezeichnet für eine Megäre aus den Wohnsilos, die noch eifersüchtig auf die missbrauchte, vom Vater geschwängerte Tochter ist. Eine Mom aus der Hölle.

Als Ausnahme zum großen Trend wird nur Christoph Waltz zugelassen. Der gewinnt, wie erhofft und erwartet, für seinen SS-Offizier und "Judenjäger" aus "Inglourious Basterds", Hans Landa. Den kann man drehen und wenden, wie man will - er bleibt ein Baaad Motherfucker. Damit er aber nicht gar zu sehr aus der Reihe fällt, sagt Waltz ausgesprochen artig, dass er Quentin Tarantino in seinem ganzen Leben nicht genug danken kann. Immerhin fängt er mal an.

Michael Hanekes "Weißes Band", die Hoffnung für den Auslandsoscar, ist dann wohl zu kühl, zu analytisch für diese aufgeheizte Stimmung. Stattdessen gewinnt Argentinien.

Kathryn Bigelow, der finalen Powerfrau in diesem aggressiven Powerjahr, gehen am Ende sogar die Menschen aus, denen sie danken könnte. Die US-Soldaten im Irak und in Afghanistan - mögen sie heil zurückkehren! - hat sie da schon durch. So dankt sie dann einfach noch mal allen "in Uniform": Polizisten, Feuerwehrleuten, Nationalgardisten, egal. Ihr seid für uns da, sagt sie. Und wir für euch. Oder so ähnlich.

Ist dafür jetzt auch die Zeit ist gekommen, für einen seltsamen Rechtsruck der Filmcommunity? Diese Oscarnacht lässt es vermuten.

© SZ vom 09.03.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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