Ortstermin:Bericht aus einer Akademie

Hegel! Und Shakespeare. Thomas Bernhard sowieso. Der Techno-Pionier Westbam und der Literaturwissenschaftler Hans Ulrich Gumbrecht mixen an der Berliner Universität der Künste ein theoretisches DJ-Set.

Von Peter Richter

Es trafen sich am Donnerstagabend in einem Hörsaal der Berliner Universität der Künste der Musiker und Discjockey Maximilian Lenz, genannt Westbam (WB) und der emeritierte Literaturprofessor Hans Ulrich Gumbrecht, genannt Hans Ulrich Gumbrecht (HUG), um auf Englisch einen Abend zu bestreiten, bei dem Techno mit Theorie gemischt werden sollte oder zumindest mit Literatur. WB stand also an seinen beiden Plattenspielern und sagte "Hegel", denn: "Ein Ding und noch ein Ding ergibt ein drittes Ding." Und während die Beats begannen, vor sich hinzuhegeln, wippte HUG in seinem Sitz mit den Füßen, stand auf, wiegte in den Knien, durfte auch an den Knöpfen drehen, wurde gefragt, ob er Techno jetzt verstanden habe, und antwortete, da gebe es nicht viel zu verstehen.

WB sagte, der Techno-Schriftsteller schlechthin sei Thomas Bernhard, denn "ein Satz zieht sich da in Variationen über drei Seiten hin". Er möge das. Er möge auch Thomas Mann. Mann baue seine Erzählungen auf wie die Sorte von DJs, die man "Grower" nenne, ihre Sets. (Der gegenteilige Typ sei der "Floater", Mann aber sei ein "Grower", kein "Floater".)

HUG sprach über Stimmungen und das Gefühl des DJs, Stimmungen zu lesen. Er kam auf Trump, erwähnte Goebbels' Sportpalastrede.

WB beschrieb den Spirit der Loveparade, den optimistischen Geist der Neunziger, empfahl HUG Homosexuellen-Discos.

HUG fragte, warum.

WB sagte, in Heterosexuellen-Discos habe Musik einst eher getrennt, jeder tanzte zu seiner Musik und zu der von anderen Subkulturen demonstrativ nicht.

HUG sagte Aha.

WB sagte, Homosexuelle mögen "straight beats", Heterosexuelle "queer beats".

HUG sagte, er möge Janis Joplin.

WB fand Janis Joplin stressig. Das heiße, er finde sie gut, möge sie aber nicht.

HUG sagte, er finde Thomas Mann gut, möge ihn aber nicht.

Dann rezitierte er Shakespeare zu dem Rhythmus von Westbams Techno und sagte, Rhythmus sei die Antwort auf das Problem, das sich stelle, wenn man einer Form Zeitlichkeit verleihen wolle. Das könnten die Studenten ruhig mitschreiben.

Etliche der Studenten schauten, als ob ihnen Techno historisch ähnlich fern sei wie Shakespeare.

HUG fragte, ob WB Jackson Pollock möge, und verglich dessen "Dripping"-Technik mit dem, was WB mache.

WB sagte "Ja: Dripping", und war einverstanden.

Es herrsche, sagten beide, ohnehin Einigkeit über alles, außer Borussia Dortmund, weil WB Fan von Schalke ist.

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