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Wiener Abend: Peter Hoffmann und Harald Scheubner bei ihrem Konzert im Casino. (Foto: Rainer Koefferlein / SWW)

In den Wohn- und Werkstätten für Blinde und Sehbehinderte treten regelmäßig Künstler auf

Von Dirk Wagner

Man stelle sich vor, im Fußballstadion würde Handball statt des erwarteten Fußballs gespielt werden. Ob die Zuschauer dann wohl akzeptierten, dass letztlich dieses wie jenes ein Ballspiel sei? So konterte der Volksmusikant Sepp Eibl einmal dem häufigen Vergleich von Volksmusik mit der sogenannten volksmusikalischen Schlagermusik. Diesen Mittwoch spielt Eibl mit Freunden im Casino der Südbayerischen Wohn- und Werkstätten für Blinde und Sehbehinderte (SWW) eine Volksmusik, die ohnehin über jeden Schlagerverdacht erhaben ist. Schon öfters hat Eibl in jenem Konzertraum gespielt, der normalerweise die Kantine für die Mitarbeiterinnen der hiesigen Werkstätten ist.

In diesen arbeiten blinde Menschen mit zusätzlichen Behinderungen. Mehrmals im Jahr wird die dazugehörige Kantine aber auch als Veranstaltungsort genutzt, in welchem Menschen mit Behinderungen und Menschen, die angeblich keine Behinderungen haben, gemeinsam Kultur genießen. Klassische Konzerte zum Beispiel, wie heuer ein Kammermusikabend, mit dem die schottische Pianistin Elizabeth Hopkins einem möglichen Einfluss Beethovens auf das Werk Schuberts nachspürte. Oder die Besucher goutieren hier schon mal Lyrikabende, Theatervorstellungen oder Jazzkonzerte wie etwa jenen Cole-Porter-Abend, den Ensemblemitglieder des Staatstheaters am Gärtnerplatz vor zwei Jahren zum Jubiläum des Evergreen-Komponisten aufführten.

Die Klezmer-, Gypsy- und Balkanmusik-Formation Gitanes Blondes nutzte die Kantine sogar schon zur Aufnahme einer CD. Und geradezu legendär empfindet Thomas Schwarz, Pressesprecher der Werkstatt-Kultur in der ehemaligen McGraw-Kaserne, das alljährliche Weihnachtsansingen nach Besemfelder. Von Evi Strehl moderiert stimmt dann ein bayrisch-griechischer Abend mit Musik und Lesungen auf das Weihnachtsfest ein. Neben einem griechischen gemischten Chor wirkt dabei einmal mehr die Fraunhofer Saitenmusik mit. Nach der eintrittsfreien Generalprobe am 1. Dezember im Casino tourt jenes von der Lautensänger Besenfelder-Stiftung präsentierte Programm.

Eva Mair-Holmes, Geschäftsführerin des ebenfalls in Giesing ansässigen Schallplattenlabels Trikont, schätzt an den Konzerten der SWW vor allem das Publikum, das Menschen mit und ohne Behinderungen vereint. In vielen anderen Spielstätten ist das nicht möglich, weil sie zum Beispiel für Rollstuhlfahrer gar nicht erst zugänglich sind. Oder die immerhin mitgedachten Rollstuhlplätze sind so weit vom restlichen Publikum entfernt, dass kaum von einem gemeinsamen Konzerterleben die Rede sein kann. Letztlich werden Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen oder mit einer kognitiven Behinderung also weniger von ihren besonderen Eigenschaften behindert als vielmehr von einer Gesellschaft, die Menschen ob solcher Eigenschaften auch kulturell ausgrenzt. Bisweilen mag man da sogar Absicht unterstellen. Schließlich kann es in einem Vortrag auch als störend empfunden werden, wenn die Pumpe eines beatmeten Menschen regelmäßig ertönt, oder wenn Spasmen den Nachbarn plötzlich zucken lassen.

Ja, selbst die Freude bekundende Artikulation mancher Menschen mit Behinderungen kann andere irritieren, die ein solches Klangbild nicht gewohnt sind. Eva Mair-Holmes freute sich indes schon mal über einen Zuschauer, der während eines Konzerts im Casino begeistert aufsprang und vor der Bühne ausgelassen dirigierte. Zugleich bewunderte sie die Musiker, die auch solche Herausforderung meisterten. Regelmäßig treten darum auch Künstler des Trikont-Verlags im Casino der SWW auf. Mrs. Zwirbl zum Beispiel, die früher unter dem Namen Zwirbeldirn agierten, Coconami oder Koflgschroa. Schließlich will ein Label, das sich selbst im Untertitel "Unsere Stimme" nennt, die Stimme aller Menschen sein, und damit auch die Stimme von Menschen mit besonderen Bedürfnissen. So sinnvoll es nämlich sein kann, Ballsportarten und Musikgenres zu differenzieren, so unsinnig ist es, eine Gesellschaft stets in Menschen mit und ohne Behinderungen aufzuteilen. Um solcher Unterteilung aber entgegenzuwirken, braucht es mehr barrierefreie Räume wie das Casino der SWW.

Boarischer Hoagascht mit Sepp Eibl und Freunden , Mittwoch, 9. November, 19.30 Uhr, Casino der SWW, Roßtalerweg 2

© SZ vom 09.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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