"Orphée aux enfers":In sinnlosem Affenzahn

"Orphée aux enfers": Ein Teufel auf übergroßem Rad führt die antike Unterwelt an. So schrill und knallig geht es in Salzburg selten zu.

Ein Teufel auf übergroßem Rad führt die antike Unterwelt an. So schrill und knallig geht es in Salzburg selten zu.

(Foto: SF/Monika Rittershaus)

Barrie Kosky inszeniert "Orpheus in der Unterwelt". Aber der Aufführung fehlt, was Jacques Offenbach auszeichnete. Hintersinn und Eleganz, humane Zärtlichkeit.

Von Michael Stallknecht

Zweihundert Jahre alt wäre Jacques Offenbach in diesem Jahr geworden, der musikalische Großmeister des geistreichen Humors und der zärtlichen Melancholie. Dafür ist bisher überraschend wenig passiert an den Theatern, Gelungenes noch weniger. Dass die Salzburger Festspiele nun mit "Orphée aux enfers" eine von Offenbachs "Operetten" in die Reihe ihrer Opernpremieren aufnehmen, hätte das Potenzial, diese Tendenz umzukehren. Dabei gilt "Orpheus in der Unterwelt", hier wie üblich in einer Mischung der beiden Fassungen von 1858 und 1874 gezeigt, als noch schwieriger zu inszenieren als andere Stücke Offenbachs. Nicht nur wegen der Anspielungen auf die politische Welt des 19. Jahrhunderts, sondern auch, weil die Antikenparodie seitdem vom bildungsbürgerlichen Assoziationsspiel zum Privatvergnügen für Lateinlehrer herabgesunken ist. Dazu kommen die umfangreichen Dialoge, die mit gegenwärtigen Sängern kaum zu realisieren sind, schon gar nicht mit einem multinationalen Ensemble wie dem in Salzburg.

Der Abend wirkt wie ein Gastspiel aus Berlin, mit Klamauk und körperbetontem Humor

Der Regisseur Barrie Kosky hat da schon vor Probenbeginn die Notbremse gezogen, in dem er alle Dialoge geschlossen dem Schauspieler Max Hopp anvertraut hat, der nun, eigentlich für die Rolle des John Styx engagiert, sämtlichen Figuren seine Stimme leiht. Dass er nebenher noch die Geräusche von Schritten oder sich öffnenden Türen imitiert, verleiht der Inszenierung die klangliche Ästhetik eines zu schnell ablaufenden Slapstickstummfilms. Nah an den originalen Librettotexten bleibend, treibt Kosky dem Stück doch alle politischen Anspielungen und Ansprüche aus, indem er es dezidiert als Unterhaltungstheater begreift. Nicht in Togen, aber als Operettenfiguren des 19. Jahrhunderts kommen die olympischen Götter daher, die antike Unterwelt dagegen, präsidiert von einem Teufel auf einem übergroßen Rad, eher wie ein subkulturelles Travestietheater der Gegenwart.

Mit Max Hopp hat Kosky nicht nur einen Publikumsliebling der von ihm geleiteten Komischen Oper Berlin nach Salzburg einfliegen lassen, sondern gleich das ganze Rezept mitgebracht, mit dem er dort als Intendant vor allem den schrilleren Revueoperetten der Zwanziger- und Dreißigerjahre Kultstatus verschafft hat: große Showszenen, hohes Tempo, ein brachialer bis vulgärer Humor und ein kräftiger Schuss Camp. Im Salzburger Haus für Mozart hat der Bühnenbildner Rufus Didwiszus die Statistenheere für die Umbauten ebenso perfekt im Griff wie der Choreograf Otto Pichler die Choruslines mit dem Vocalconsort Berlin und den Tänzern, die als Wespen, Kopflose und Skelette und natürlich im berühmten Cancan zu erleben sind, bei dem unter fliegenden Unterröcken Penisse und Vaginen Parade laufen dürfen.

Schrillere Kopfbedeckungen und knalligere Farben als im Kostümbild von Victoria Behr waren sicher noch nie in Salzburg zu sehen. Auch wenn ein Tiroler Unternehmen den Glitzerbesatz beisteuert, wirkt der Abend wie ein Gastspiel aus Berlin, bei dem Kosky mit der Routine des chronisch überarbeiteten Regiehandwerkers eine technisch makellose Melange von Klamauk und körperbetontem Humor abliefert. The Show must go on, hart, aber ermüdend gleichförmig drängt das Tempo voran, auch im Graben.

Dort sitzt mit den Wiener Philharmonikern zwar ein Orchester, das Offenbachs Ruf als "Mozart der Champs-Elysées" endlich einmal zur Gerechtigkeit verhelfen könnte, aber es kann schon rein klanglich kaum gegen das übersteuerte Mikroport von Max Hopp gewinnen. Der Dirigent Enrique Mazzola serviert Offenbach in einem geradezu vorschriftsmäßig leichten Klangbild, aber ohne Sinn für die Biegsamkeit der Tempi, für intelligentere Steigerungen der Dynamik. Es fehlt, was auch auf der Bühne fehlt, der Sinn für die Nuance und mehr noch, der Mut zur Lücke, in der die Musik, vor allem der Gesang ein Eigenrecht anmelden könnte. Die Figuren erstarren darüber zu Karikaturen, zu Puppen ihres Bauchredners sowieso in den Dialogen, zu dauerzappelnden Marionetten, auch beim Singen in der Hand der Regie.

Immerhin kann Joel Prieto als Orpheus mit einem ebenso warmen wie durchschlagskräftigen Tenor auf sich aufmerksam machen, während sein Stimmfachkollege Peter Renz den berühmten Galopp des Merkur in einem sinnlosen Affenzahn abliefern muss. Mehr Raum bekommt die als Altstar eingesetzte Anne Sofie von Otter, die die vollständig entpolitisierte Rolle der öffentlichen Meinung als harmlose protestantische Pfarrerstochter gibt. Die Mezzosopranistin darf nicht nur die erste Hälfte in ihrer schwedischen Muttersprache eröffnen, sondern auch die zweite mit einer (nicht der berühmten) Barkarole von Offenbach. In der eigentlichen, weil mit der umfangreichsten Gesangspartie ausgestatteten Hauptrolle der Eurydike verdient sich die amerikanische Sopranistin Kathryn Lewek höchsten Respekt, weil sie hinreißende Schwelltöne, perfekte Koloraturen und saubere Spitzentöne abliefert, während sie ein geradezu grausam geschmackloses Kostüm zum ordinären Pummel zurechtstutzt.

Offenbach gestand seinen Frauenrollen eine eigene, klare, weibliche Erotik zu

Kosky hatte angekündigt, mit der Rolle der Eurydike das emanzipatorische Moment bei Offenbach zu betonen, weshalb Lewek am Schluss auch mal probeweise einen Phallus anlegen darf. Doch er gesteht ihr nicht zu, womit Offenbach seine Frauenrollen tatsächlich ins Zentrum rückte: eine für die Epoche unerhört klare weibliche Erotik. Das berühmte Duett, in dem sich Jupiter (Martin Winkler) Eurydike als summende Fliege nähert, zieht die Regie als schnelle Nummer sexueller Stellungswechsel durch. Der Porno tritt an die Stelle einer Erotik, die Zeit zur Entfaltung bräuchte, Räume des Uneindeutigen, die Koskys Eindeutigkeit nie zulässt. Vorderhand texttreu, fehlt dieser Produktion doch alles, was Offenbach ausmacht: Delikatesse, Hintersinn, Eleganz und humane Zärtlichkeit. Wahrscheinlich zeigt sich darin ein Epochenmissverständnis, das für die Offenbach-Rezeption in der Gegenwart eine viel größere Hürde bedeutet als die Übertragbarkeit von politischen Witzen.

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