"Orphan: First Kill" im Kino:Verrückt geworden

Lesezeit: 2 min

Erwachsene oder Kind? Esther (Isabelle Fuhrman) in "Orphan: First Kill". (Foto: Steve Ackerman/Studiocanal)

"Orphan: First Kill" erzählt von einer Frau, die sich als Kind ausgibt und in eine Familie einschleicht. Ein Psychothriller, dessen Tricks und Schlenkern man atemlos folgt.

Von Doris Kuhn

"The Criminally Insane". Ein amerikanischer Begriff, der das Horrorgenre schon lang mit prima gruseligen Klischees versorgt, insbesondere, weil man ihn im Kino gern mit uralten, furchterregenden "Instituten" kombiniert. Zumindest im US-Kino, wo dieses Subgenre eine lange Tradition hat. Im Gegensatz zum deutschen Horrorfilm, der in diesem Bereich kaum etwas hervorgebracht hat. Gut, in anderen Bereichen hat der deutsche Horrorfilm zwar auch kaum etwas hervorgebracht, aber das ist vielleicht noch mal ein anderes Thema.

Das Thema hier soll "Orphan: First Kill" sein, eine neue Arbeit von Horrorfachkraft William Brent Bell. Der 51-jährige Regisseur aus Kentucky dreht nichts anderes als Horror-B-Pictures, die bemerkenswerten Erfolg haben ("Stay Alive", "Devil Inside" und "The Boy" zum Beispiel).

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Die Betrügerin wird selbst zur Betrogenen, und der Horrorfilm zum Thriller

Bell beginnt "Orphan: First Kill" in einer Anstalt, in der ein paar der typischen Genrekriminellen sitzen. Dass sie gefährlicher sind als ihre Kollegen im Gefängnis, wird klar, wenn man sieht, wie viel Blut sie allein beim Putzdienst vergießen können. Ansonsten trägt der Ort perfekt dazu bei, dass man beunruhigt ist. Eine Festung mit dicken Mauern, schweren Türen, Eisengittern. Panik beim Personal, sobald die Alarmglocke durch die Gänge schallt. Die einsetzende Angst packt sofort auch den Zuschauer, im Gegensatz zu der Kunsttherapeutin, die dort gerade eine ungewöhnlich junge Insassin kennenlernen soll.

Man könnte das merkwürdige Mädchen bereits aus dem Film "Orphan" kennen, einem ziemlich gewaltaffinen Gruselschocker aus dem Jahr 2009. Hier, im Prequel "Orphan: First Kill", der nachgereichten Vorgeschichte also, wird sie unter dem Namen Esther agieren, und unterhaltsamer ist es, wenn man sie noch nicht kennt. Denn sie wiederholt etliche böse Taten aus dem ersten "Orphan"-Teil. Das beginnt bei der Therapeutin, die nach dem ersten Treffen nicht mehr viel Freude am Leben hat. Sie wird zur unfreiwilligen Hilfe für Esther, erst bei ihrer Flucht in die Freiheit, dann bei ihrem nächsten Projekt. Esther (Isabelle Fuhrman), das muss man dazusagen, sieht zwar aus, als sei sie noch ein Kind, neun oder zehn Jahre vielleicht, ist aber eine erwachsene Frau, deren Wachstum zu früh anhielt.

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Das macht sie mit hochstaplerischer Raffinesse wett: Sie verkauft sich als Kind. Diesmal setzt sie sich in ein Nest schwerreicher Eltern, indem sie die Identität von deren jahrelang vermisster Tochter annimmt. Regisseur Bell ist clever genug, den Film damit in ein anderes Genre zu schubsen. Er macht aus dem Horror einen Psychothriller, dessen Tricks und Schlenkern man atemlos folgt. Der süßen Esther wird von den Behörden, der Psychologin, der glücklichen Familie gern geglaubt. Alle sind froh, das Kind zurückzuhaben - selbst wenn Esther in dem ihr fremden Alltag immer wieder gefährliche Fehler unterlaufen. Aber Bell gibt ihr Coolness und Schläue, vielleicht ist man deshalb auf ihrer Seite, aus Bewunderung.

All das ist spannend, bloß neu ist es nicht. Die Sentimentalität gegenüber Kindern, die Familie als Hort reiner Liebe, das sind Standardmotive im amerikanischen Kino. Umso schöner ist Bells nächster Schachzug. Er nimmt dem Ideal der Familie die Verlässlichkeit, er fügt dem Plot einen weiteren Bluff hinzu, denn Esther bekommt überraschend Konkurrenz. Bell gesellt also zu einer bösen Betrugsgeschichte eine zweite, die deutlich böser werden wird und die man an dieser Stelle natürlich nicht verraten darf. In hohem Tempo finden schmutzige Zweikämpfe statt, das evoziert allerhand Schadenfreude, der Ideenreichtum der Filmemacher ist groß und hat meist blutige Konsequenzen.

Orphan: First Kill , USA 2022. Regie: William Brent Bell. Buch: David Coggeshall. Kamera: Karim Hussain. Schnitt: Josh Ethier. Mit Isabelle Fuhrman, Julia Stiles, Rossif Sutherland, Hiro Kanagawa, David Lawrence Brown. Studiocanal, 99 Minuten. Kinostart: 8. September 2022.

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