Mossul:N wie Nazarener

Vor einem Jahr überrannte der IS Mossul

Dieses Haus in Mossul gehörte einmal Christen. Der Schriftzug proklamiert nun Besitzansprüche des IS.

(Foto: dpa)

Die IS-Milizen kämpfen um Mossul, dessen christliche Kultur sie zerstört haben. Sie beschädigten damit ein Jahrtausende altes Vermächtnis der Stadt.

Von Stefan Laube

Während Palmyra in Syrien nun wieder von den Truppen des Assad-Regimes eingenommen ist, kämpft sich die irakische Armee gerade von Süden an Mossul heran. Die Stadt am Tigris im Nordirak wird noch vom "Islamischen Staat" (IS) gehalten, und auch dort hat der Bildersturm gegen das kulturelle Erbe gewütet.

Vor einem Jahr, im Februar 2015, hatten sich IS-Milizionäre filmen lassen, wie sie im Museum von Mossul Skulpturen vom Sockel stürzten. Auch die in Mossul gelegene Ausgrabungsstätte von Ninive, der aus dem Alten Testament bekannten einstigen Hauptstadt des Assyrischen Reiches, traktierten sie mit Presslufthämmern.

Das Kloster Sankt Elias

Die alten Völker hätten falsch gelebt, weil sie Götzen verehrten - so rechtfertigt eine radikalsunnitische Islaminterpretation die Zerstörungen in einer uralten Kulturregion. Erst recht gelten sie dem christlichen Erbe: Im Januar dieses Jahres wurden Satellitenbilder veröffentlicht, die zeigten, dass das Kloster Sankt Elias in der Nähe des Flughafens von Mossul mithilfe von Bulldozern und Sprengstoff dem Erdboden gleichgemacht wurde.

Es war das älteste christliche Kloster im Irak, erbaut um das Jahr 590. Der Ort war bereits während der amerikanischen Besetzung des Irak Ziel von Respektlosigkeit gewesen. US-Soldaten hatten die Wände mit Graffiti wie "I love Debbie" beschmiert, Müll wurde in den alten Zisternen abgeladen. Immerhin blieb der Bau damals stehen, vor einigen Jahren wurden dort noch Ostermessen für Soldaten abgehalten.

"Kloster der Jacobiten; das Dorf wird aber von Mohammedanern bewohnt." Nur spärliche Worte hatte ein in muslimische Gewänder gekleideter Mathematiker und Landvermesser aus Norddeutschland für das Elias-Kloster übrig, als er es im März 1766 sah - vor genau 250 Jahren. Carsten Niebuhr war bereits mehr als fünf Jahre unterwegs, als einziger Überlebender einer sechsköpfigen Reisegruppe. Die übrigen Mitstreiter waren in den ersten Jahren an Malaria gestorben.

IS zerstört einzigartige Kulturgüter aus assyrischer Zeit

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(Foto: dpa)

Edward Said hätte Carsten Nibuhr gemocht

Geldgeber dieser ersten wissenschaftlich konzipierten Expedition nach Arabien und Vorderasien war die dänische Krone gewesen, die Idee ging von dem Orientalisten Johann David Michaelis aus. Der angesehene Professor aus Göttingen wollte die Bibel besser verstehen und die dort erwähnte Flora, Fauna und materielle Kultur an den Originalschauplätzen verifizieren lassen. Was als Projekt biblischer Philologie begann, entwickelte sich zu einem wissenschaftlichen Meilenstein in kultureller Fremderfahrung - bis heute nachzulesen in Carsten Niebuhrs epochemachender "Reisebeschreibung nach Arabien und andern umliegenden Länder".

Nur noch auf sich allein gestellt, hatte Niebuhr seine Reisetaktik grundlegend geändert. Die Todesfälle waren für ihn das Signal, sich den Sitten und Gebräuchen der gastgebenden Länder konsequent anzupassen. Von nun an kleidete er sich wie ein Einheimischer und änderte seine Essgewohnheiten. Einen Dolmetscher brauchte der sprachgewandte "Erdbeschreiber" ohnehin nicht.

Niebuhr wollte als Araber unter Arabern leben und legte europäische Attitüden ab. Der unter dem Namen Abdallah (Diener Gottes) reisende Niebuhr setzte ein frühes Beispiel empathischer Ethnologie. Sein Sohn Barthold Georg Niebuhr, der als Althistoriker und Begründer der quellenkritischen Methode in die Wissenschaftsgeschichte einging, nannte den Vater in seiner biografischen Skizze eine "arabophile" Persönlichkeit, die am Ende der sechsjährigen Reise im Orient vollkommen heimisch geworden sei. Der "Orientalismus"-Kritiker Edward Said hatte bestimmt nicht einen wie Niebuhr im Sinn, als er den westlichen, eurozentrischen Blick auf den Orient in das Zentrum seines kulturwissenschaftlichen Ansatzes stellte.

"Konversion oder Hinrichtung" hieß es früher nicht in Mossul

Von Maximen der Aufklärung geprägt, kann Carsten Niebuhrs Distanz und Offenheit gegenüber religiösen Lebensformen kaum überraschen. Mitten in der christlichen Fastenzeit gelangte er nach Mossul. An deren Regeln hielt er sich nicht, zu sehr war er von den Kaffeehäusern und Basaren angetan. Mit dieser Einstellung kam er den Muslimen näher, erregte aber den Argwohn der arabischen Christen, der Nestorianer und Jakobiten, die auf den Verzehr von Fleisch, Butter, Milch und Eiern beharrlich verzichteten. Die Mossuler Christen verunglimpften den norddeutschen Protestanten als Heiden, ein konstruktiver Umgang war kaum mehr möglich. Besonders allergisch reagierte Niebuhr auf den Missionierungseifer der Dominikaner. Nicht nur in dieser Hinsicht standen ihm die Muslime deutlich näher als die Katholiken.

Sachlich beschreibt Niebuhr die Sehenswürdigkeiten Mossuls. Positiv registrierte er, dass Muslime Christen nicht verböten, das Grab eines ihrer Heiligen in einer ehemaligen Kirche zu besuchen, auch wenn sie inzwischen in eine Moschee umgewandelt worden war. Das Mossul von heute hingegen scheint erstmals in seiner 1800-jährigen Geschichte eine Stadt ohne Christen zu sein. Von den IS-Kämpfern vor die Wahl "Konversion oder Hinrichtung" gestellt, blieb den meisten nur die Flucht. Ihre Häuser versahen die Islamisten mit einem arabischen "N" für "Nazarener" - so bezeichnen die Muslime seit jeher die Christen.

Mitten im 18. Jahrhundert kommt uns eine ganz andere Welt entgegen als jetzt, beim Endkampf des IS um Mossul. Arabische Christen konnten damals zehn Kirchen in der Stadt nutzen. Weil Nestorianer und Jakobiten die Stadt während der persischen Belagerung von 1742 tapfer verteidigt hatten, gewährte ihnen der Pascha große Freiheiten. Die Christen durften sogar eine neue Kirche bauen und sich vollständig auf mohammedanische Weise kleiden; in dieser Kluft stand ihnen selbst der Dienst in der Hofadministration des Paschas offen. Carsten Niebuhr konnte resümieren: "Die Christen leben wohl in keiner Provinz des türkischen Reiches in so gutem Verständniß mit den Mohammedanern als zu Mosul".

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